Dienstag, 16. April 2024

Archiv


"Die haben die Nase voll von denen da oben"

Newt Gingrich vertrete all jene in den USA, die enttäuscht seien von der Obama-Regierung, sagt der ehemalige US-Botschafter John Kornblum über den möglichen Kandidaten der Konservativen bei den Präsidentschaftswahlen. Dass Gingrich in der Lage wäre, Barack Obama im November zu schlagen, hält Kornblum für ausgeschlossen.

John Kornblum im Gespräch mit Bettina Klein | 23.01.2012
    Bettina Klein: Wer schon in den 90er-Jahren politisch interessiert und alt genug war, wird sich daran lebhaft erinnern. Newt Gingrich, als durchaus gefürchteter Sprecher des Abgeordnetenhauses, ein Gegenspieler von Bill Clinton, damals demokratischer Präsident. Vielen erschien er im Land der Clinton-Anhänger als der Bösewicht und viele wundern sich jetzt, dass er zu einer solchen Berühmtheit wiedergelangt ist. Er hat überraschend die Vorwahlen im US-Bundesstaat South Carolina am Samstag gewonnen. – John Kornblum, ehemaliger Botschafter in Deutschland, war in den 90er-Jahren für die Clinton-Regierung tätig. Ich habe ihn vor der Sendung in der Nähe von New Orleans erreicht und ihn zunächst gefragt, wie er den Deutschen den Erfolg von Newt Gingrich im Augenblick erklären würde.

    John Kornblum: Ich finde, Ihr Vergleich ist sehr, sehr gut, weil wenn man jetzt die Berichte hier heute Morgen gehört hat und auch die sogenannten "Exit Polls", wo die Leute gefragt werden, warum sie gewählt haben, dann war eine sehr häufige Antwort, wir waren beeindruckt von seinem Mut. Und ich glaube, Gingrich in 1994, er war ein neues Phänomen. Aber jetzt glaube ich, er entspricht sehr der Stimmung unter mindestens einer ziemlich großen Portion der Bevölkerung. Das ist: Die haben die Nase voll von denen da oben, wie man sagt, die haben die Nase voll von der Wirtschaft, auch damit, wie die Gesellschaft funktioniert. Und statt einen ziemlich glatten, sehr erfolgreichen, aber sehr glatten Kandidaten wie Romney, haben sie den hemdsärmeligen, etwas aggressiven Gingrich gewählt.

    Klein: Es hat sich eine Menge getan in den vergangenen Tagen, auch in der Hinsicht, dass sich ja eine andere Prämisse geändert hat, nämlich bisher hieß es ja, Mitt Romney, er sei der einzige Bewerber, der überhaupt in der Lage wäre, Obama zu schlagen. Inzwischen gilt Gingrich nicht nur als wählbar, sondern gerade das, nämlich Obama zu schlagen, trauen ihm nun viele Republikaner zu. Weshalb hat sich auch diese Einstellung so schnell geändert?

    Kornblum: Ich glaube, es hat damit zu tun: Erstens dürfen wir nicht vergessen, wir reden hier von South Carolina, und South Carolina ist im tiefen Süden, es ist einer der konservativsten, aber wenn Sie wollen auch etwas wenig progressiven Bundesstaaten, die es gibt. Es ist eine Hochburg der Tea Party. Aber zweitens ist immer noch wichtig, dass Romney bis vor einer Woche noch einen 20-prozentigen Vorsprung hatte. Dann kamen die Attacken gegen seinen Reichtum, gegen seine Rolle als Heuschrecke, wie man in Deutschland sagen würde, und diese Attacken, auch bei diesen konservativen Republikanern, scheinen irgendwie gehaftet zu sein.

    Klein: Halten Sie das denn auch für möglich, dass Gingrich in der Lage wäre, Obama im November zu schlagen?

    Kornblum: Nein, ich halte das für total ausgeschlossen, weil bis jetzt hat er nur Erfolg gehabt in den Staaten, die klein und etwas angriffslustig sind. Aber die nächste Entwicklung, die nächsten sechs Wochen werden zeigen, wer gewinnt.

    Klein: Herr Kornblum, Sie waren in den 90er-Jahren in der Clinton-Regierung tätig. Wie erinnern Sie sich an die Zeit mit Newt Gingrich damals in seiner Rolle, als er damals versucht hat, Bill Clinton per Amtsenthebungsverfahren zu entmachten?

    Kornblum: Na ja, das war eine sehr dramatische Zeit. Clinton hat nachher zugegeben, dass er Gingrich sozusagen den Weg freigemacht hat, indem, dass er eine ziemlich diffuse, sehr links gerichtete Politik gemacht hat in seinen ersten Jahren. Man darf nicht vergessen: Das war auch die Zeit, wo Hillary Clinton versuchte, die allgemeine Krankenversicherung durchzusetzen. Also Gingrich hat wieder die Frustration der Wähler mit Clinton und seiner, ich nenne das so, links gerichteten Politik – in Amerika ist nichts links, aber seiner links gerichteten Politik – und er hat die Regierung zum Stillstand gebracht. Ich muss nur eine kleine Korrektur machen. Er hat nicht das Amtsenthebungsverfahren angefangen. Er hat die Regierung zum Stillstand durch die Blockade bei den Haushaltsberatungen gebracht. Das Amtsenthebungsverfahren war vier Jahre später. Aber was er in 1994 getan hat, 1994/95, er hat die Regierung zum Stillstand gebracht, und das wird heute gesehen als Wendepunkt für Clinton, wo er sich dann zusammengerauft hat und nachher wieder in 1996 wirklich entschieden gewonnen hat.

    Klein: Aber er hat sich schon auch sehr lautstark im Zusammenhang mit dem Amtsenthebungsverfahren nach meiner Erinnerung zu Wort gemeldet. Hat er nicht damals auch mit sehr viel Schaum vor dem Mund Werte hochgehalten und damals gleichzeitig selbst dagegen verstoßen, was zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war?

    Kornblum: Natürlich. Aber er war nicht der Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus. Das war der Unterschied. – Ja, natürlich, und er hat nicht nur das, sondern er hat diese sozusagen Werte unterstrichen, zur gleichen Zeit, dass er zwei Frauen verlassen hat, dass er eine Frau an dem Tag, wo sie mit Krebs diagnostiziert wurde, gesagt hat, dass er sie verlässt. Er ist alles andere als ein Verfechter der Werte, die für konservative Republikaner wichtig sind, und das zeigt eigentlich, wie tief der Ärger, die Verärgerung im Lande ist, dass trotz dieser Vergehen, wollen wir es so sagen, er immer noch von vielen von diesen Konservativen bevorzugt wird.

    Klein: Das wird selbst in Deutschland, wo das Privatleben ja viel stärker als privat betrachtet wird als in den USA, als Heuchelei gesehen. Und das ist in Amerika ausnahmsweise mal anders, oder ist es nur bei den Republikanern anders?

    Kornblum: Nein. Es wird auch als Heuchelei in den Vereinigten Staaten gesehen. Deshalb sind die Erfolge von Gingrich so bewundernswert. An sich hat er so viele Fehler in seinem Leben gemacht – man könnte auch sein Finanzleben untersuchen -, es gibt viele Fehler, die er gemacht hat. Und Romney mit der einzigen Sünde, wenn Sie wollen, dass er viel Geld durch Private Equity verdient hat, hat ein exemplarisches Leben: alles perfekt, alles sauber. Der Senator von South Carolina, DeMint, der eigentlich ein Tea-Party-Unterstützer ist, der hat das sehr klar und sehr bildlich heute Morgen im Fernsehen gesagt und nachher gesagt, wir müssen ehrlich sein, wir müssen die Bevölkerung überzeugen, sonst was passiert uns, wir enden wie Europa.

    Klein: Verzeihen Sie, Mr. Kornblum, eigentlich Ihren Landsleuten, dass die Gingrich jetzt so zujubeln?

    Kornblum: Oh, es ist nichts zu verzeihen. Ich habe mich versucht, mindestens sehr professionell in solchen Sachen zu verhalten. Ich habe meine eigene Meinung. Aber ich glaube, hier ist die Frage nicht, ob man mit jemand böse oder nicht böse ist, sondern zu verstehen, was im Lande los ist.

    Klein: Sie sehen schon also die Wutbürger, wie sie ja hierzulande genannt werden, am Zug in den Vereinigten Staaten. Mit welchem Ausgang denn dann? Denn die wirklichen Rezepte, die jetzt überzeugend wären, hat natürlich nach Ansicht vieler Beobachter zumindest hierzulande niemand aus der Republikanischen Partei im Augenblick anzubieten, jedenfalls nicht im Vergleich zu Obama?

    Kornblum: Na ja, die Menschen, die jetzt den Ton angeben, die jetzt die ganze Zeit im Fernsehen und so sind, das sind vielleicht, wenn es hoch kommt, 15 Prozent der Wähler in den Vereinigten Staaten. Was wir hier haben ist – und wer soll das sagen, dass das schlecht ist -, wir haben einen klaren Schwarz-Weiß-Kampf zwischen Menschen, die sagen, der Staat soll verschwinden, und einem wie Obama, der sagt, der Staat soll besser sein und soll uns in eine bessere Zukunft führen. Das wird eine sehr interessante Debatte sein.

    Klein: Ist es eigentlich, Herr Kornblum, abschließend gefragt, wenn man diese schnelle Wetteränderung in den Vorwahlen in den vergangenen Tagen und Wochen anschaut, noch möglich, irgendeine Vorhersage für die kommenden Monate zu treffen und abzusehen, wann der Spitzenkandidat dann feststehen wird?

    Kornblum: Ich glaube, der Spitzenkandidat wird wahrscheinlich am 6. März feststehen, weil das der Tag ist, wo ich weiß nicht wie viele, zehn oder zwölf Staaten wählen und auch darunter große Industriestaaten. Wer sich noch nicht gemeldet hat, sind die großen Staaten, und der Erste, der jetzt kommt, ist Florida, aber da werden eine Menge nachher kommen und dann werden wir sehen, wie die Stimmung auch in diesen Staaten ist. Es heißt nicht, dass es liberaler sein wird. Die Tea Party ist eigentlich eine Erfindung der Industriestaaten im mittleren Westen. Aber die Zahl der Menschen, die bis jetzt abgestimmt haben, ist viel zu klein, um wirklich daraus eine Konklusion zu machen. Und in einer Analyse, die ich heute Morgen gelesen habe: Diese Vorwahlen, vor allem Iowa und New Hampshire, sind nur sehr selten Wegweiser für die Zukunft. South Carolina ist interessant – das ist vielleicht ein Titel, den man nicht haben möchte -, weil es immer die Vorwahl von "dirty tricks" gewesen ist, also von schmutziger Wäsche, und die ist auch dieses Mal ziemlich an die Leine gehängt worden. Zum Beispiel die Kandidatur in 2000 von John McCain wurde torpediert in South Carolina, als man behauptete, der hätte ein schwarzes illegitimes Kind. Das hat seine Kampagne torpediert. Dieses Mal hat es auch schmutzige Wäsche gegeben, nicht so sehr wie vielleicht vor vier Jahren, aber es hat Romney ganz klar und vielleicht sogar ganz entscheidend wehgetan.

    Klein: Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, zu den Vorwahlen der Republikaner im Augenblick. Er war in den 90er-Jahren tätig auch für die Clinton-Regierung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Weitere Beiträge zur US-Präsidentenwahl im Novermber:
    Sammelportal US-Wahl 2012