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"Die Hamas ist für uns das, was sie immer war"

Trotz des Zusammenschlusses von Fatah und Hamas spricht die Hamas nach wie vor von der Vernichtung Israels: Ein klares Zeichen, dass sie nach wie vor "eine mörderische, hoch kriminelle und brutale, blutige Terrortruppe" sei, sagt Dieter Graumann.

Dieter Graumann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.05.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Gestern erst unterzeichnete Palästinenserpräsident Abbas das Versöhnungsabkommen mit der radikal-islamischen Hamas. Am Abend dann traf er bereits in Deutschland ein. Die Palästinenser verbinden mit dem Besuch viele Hoffnungen, auch die in Deutschland lebenden. Sie erwarten, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel stärker für die Sache ihrer Landsleute im Gaza und im Westjordanland einsetzt.

    O-Ton Mahmud Abbas: Wir eröffnen ein neues Kapitel. Wir überwinden die Spaltung von Hamas und Fatah. Das ist eine gute Nachricht für alle Palästinenser.

    Heckmann: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gestern in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Hier legten die gemäßigte Fatah und die radikal-islamische Hamas, vertreten durch Khaled Meschaal ihre jahrelange Fehde zu den Akten. Seit gestern also hält sich Abbas wie gehört in Berlin auf, Gespräche unter anderem mit der Bundeskanzlerin stehen auf dem Programm. Der Palästinenserpräsident hatte aber auch ein Treffen mit Dieter Graumann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, vorgeschlagen, der aber lehnte ab. Weshalb? Das möchten wir jetzt von ihm erfahren. Schönen guten Morgen, Herr Graumann.

    Dieter Graumann: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Graumann, der verstorbene Bundespräsident Johannes Rau hatte das Motto ausgegeben, Versöhnen statt Spalten. Ist es nicht auch für Sie an der Zeit, sich zu versöhnen mit der palästinensischen Seite?

    Graumann: Aber selbstverständlich! Wir wollen uns doch auch versöhnen und wir suchen doch auch den Frieden, und der Friede wird kommen, wenn alle bereit sind, den Frieden auch in ihre Herzen zu lassen, wenn alle aufeinander zugehen – alle Parteien. Das müssen alle tun mit ehrlichen Absichten und dann wird das auch funktionieren – selbstverständlich.

    Heckmann: Aber kann ein Friedensprozess in Gang kommen, ohne dass man mit der anderen Seite spricht?

    Graumann: Natürlich muss man miteinander sprechen. Jetzt spielen Sie auf die Gesprächsabsage an. Ich hätte mich natürlich gerne auch mit Herrn Abbas getroffen. Aber Sie müssen ja verstehen, vor welchem Hintergrund das Ganze sich abspielt. Herr Abbas hat gerade in diesen Tagen diese neue fatale Verbrüderung mit der Hamas vollzogen, und die Hamas ist für uns das, was sie immer war: eine mörderische, hoch kriminelle und brutale, blutige Terrortruppe. Nichts, gar nichts hat sich daran geändert. Hören Sie sich an, was die Hamas in diesen Tagen sagt. Sie sagt in diesen Tagen, dass sie Israel niemals anerkennen wird und weiter vernichten will. Das kann kein Partner für den Frieden sein und in dieser neuen Situation Herrn Abbas zu treffen, hätte für uns bedeutet, diesem komischen Verbrüderungsprozess auch noch einen Anschein von Legitimität zu verleihen, und ich glaube, das wäre ein schlechtes Zeichen gewesen.

    Heckmann: Politische Beobachter halten den bisherigen Boykott der Hamas durch die westliche Welt für einen Fehler, da er nichts als Stillstand gebracht habe. Muss man nicht, um Frieden zu erreichen, auch mit der Hamas reden?

    Graumann: Ich glaube, die Hamas ist ganz bestimmt nicht die Lösung im Nahen Osten. Nein, die Hamas ist ein Teil des Problems selbst. Schauen wir doch uns an und hören wir uns an, wir haben es gerade bei Ihnen sogar wieder gehört, was die Hamas zum Tod von Osama bin Laden gesagt hat. Sie hat gesagt, das ist ein heiliger arabischer Krieger gewesen. Jetzt noch im Nachhinein idealisiert sie, glorifiziert sie diesen Massenmörder. Da sehen wir doch, mit wem wir es zu tun haben. Sollen wir mit solchen Mördern und Terroristen sprechen? Soll Israel mit anderen sprechen darüber, wie die eigene Existenz ausgelöscht werden kann? Die Hamas-Charta sagt bis heute nicht nur, dass Israel vernichtet werden soll, sondern dass alle Juden getötet werden sollen. Die Hamas hat in Gaza ein beinhartes Regime errichtet, freiheitsfeindlich, frauenfeindlich, gegen Homosexuelle. Wie können wir mit solchen Menschen ins Gespräch kommen? – Nein, es geht nur, wenn die Hamas sich grundlegend ändert. Dann natürlich!

    Heckmann: Viele Experten allerdings sehen die Hamas nicht so als monolithischen Block, wie Sie sie beschreiben, sondern verweisen darauf, dass darin auch durchaus gemäßigte Kräfte vertreten sind. Und in der Tat, die Zahl der Selbstmordanschläge und auch der Entführungen im Gaza-Streifen beispielsweise, die ist zurückgegangen.

    Graumann: Sie ist vielleicht deshalb zurückgegangen, weil auch Israel jetzt anders die Dinge bewertet und vielleicht auch offensiver dagegen vorgeht. Das mag so sein. Aber die Hamas selber ist doch weiter ein sehr absolut monolithischer Block. Das hat doch mit Freiheit und Demokratie nichts zu tun. Schauen Sie sich mal an, wer dort regiert und was für ein Regime in Gaza errichtet worden ist. Nein! Also ich glaube, solange die Hamas in ihrer Charta sagt, dass sie alle Juden auslöschen will, ganz ausdrücklich, unter solchen Umständen kann man schwer mit diesen Menschen reden, und Herr Abbas hat sich ein ganzes Stück hinauskatapultiert aus der Glaubwürdigkeit. Wer mit solchen Menschen paktiert, der ist unglaubwürdig.

    Heckmann: Die Tatsache, Herr Graumann, dass die Hamas jetzt die Hand ausgestreckt hat gegenüber der Fatah, die könnte dadurch erklärt werden, dass der Rückhalt für die Hamas schwindet, auch im Gaza-Streifen übrigens. Müsste man diese Gelegenheit nicht nutzen, dass sich die Hamas offenbar bewegt?

    Graumann: Ich wäre sehr glücklich, wenn das der Fall wäre, aber warum sagt dann die Hamas noch in diesen Tagen, dass sie Israel weiter auslöschen will. Das passt doch einfach nicht zusammen. Nein, ich glaube, der Frieden kommt, wenn alle mit offenen Armen, offenen Herzen aufeinander zugehen. Dann werden alle schwere Kompromisse machen müssen, auch Israel wird das tun müssen, wird das auch tun. Aber solange es so starke Kräfte gibt, die Israel ausdrücklich vernichten wollen, wird es schwer. Die Hamas wird ja unterstützt vom Iran, der sehr mächtig ist, der immer wieder Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel äußert, der die Atombombe sogar entwickelt. Das ist eine Situation, in der Israel bereit sein muss, um seine Menschen schützen zu können.

    Heckmann: Wenn die Hamas weiterhin so ist, wie Sie sie beschreiben, und Abbas jetzt auf die Hamas zugeht und eingeht, was halten Sie denn davon, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Westerwelle wie selbstverständlich das Gespräch mit Abbas führen?

    Graumann: Zunächst einmal, denke ich, hat die Bundesregierung einen anderen Herrn Abbas eingeladen. Sie hat den einen eingeladen und der andere ist gekommen. Sie hat den Herrn Abbas des Friedens eingeladen und gekommen ist nun Abbas plus Hamas. Das konnte ja die Bundesregierung nicht vorher wissen. Und im Übrigen vertraue ich ganz den verantwortlichen Politikern im Land, der Bundeskanzlerin und Herrn Westerwelle und auch den Oppositionspolitikern, Herr Steinmeier ist ein profilierter, glaubwürdiger Politiker, auch jenen bei den Grünen, dass sie Herrn Abbas die richtige Botschaft übermitteln, dass sie ihm sagen, er muss sich entscheiden zwischen dem Frieden und dem Pakt mit dem Terror.

    Heckmann: Verstehe ich Sie richtig, dass es besser gewesen wäre, Abbas wieder auszuladen?

    Graumann: Nein, das habe ich nicht gesagt. Da haben Sie mich nicht richtig verstanden. Ich glaube, es ist vernünftig, dass die Bundesregierung dieses Gespräch führt, das Gespräch sucht, auch andere deutsche Politiker, und Herrn Hamas die richtige Botschaft übermitteln, dass der Frieden einen neuen Impuls braucht und dass dafür alle glaubwürdig sein sollen.

    Heckmann: Ich möchte noch ganz kurz einen anderen Punkt ansprechen, Herr Graumann. In Deutschland wird heftig darüber diskutiert, ob die Bundeskanzlerin Freude über die Tötung Osama bin Ladens hätte zum Ausdruck bringen dürfen. Was ist Ihre Haltung dazu?

    Graumann: Ich glaube, die Bundeskanzlerin wird ein Stück zu Unrecht kritisiert. Sie hat Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass es gelungen ist, dem internationalen Terrorismus einen Schlag zu versetzen. Darüber müssen wir alle uns doch freuen. Und meine allerersten Gefühle gelten in diesen Tagen besonders den Opfern von damals und den Hinterbliebenen, die doch niemals über den Tod ihrer Familien und über die Opfer hinweg gekommen sind. Diesen Menschen gelten meine Gedanken. Ich hoffe, dass sie in dieser Nachricht ein bisschen Trost finden können. Eine Botschaft ist aber auch: Gerechtigkeit hat keine Verfallszeit und Massenmord muss am Ende bestraft werden. Ich glaube, so ist es richtig. Und Freude über den Tod eines einzelnen Menschen muss man nicht empfinden, aber Freude darüber, dass die Welt vielleicht ein bisschen sicherer werden kann.

    Heckmann: Sie hat allerdings gesagt, dass sie sich darüber freut, dass Osama bin Laden getötet worden ist, und nicht, dass ein Schlag gegen den internationalen Terrorismus erfolgreich gewesen ist. Hat sie sich da aus Ihrer Sicht etwas in der Wortwahl vergriffen?

    Graumann: Ich habe es gesehen, sie musste spontan antworten, sie hat es ja gestern noch einmal erklärt. Ich glaube, wir alle freuen uns, wenn die Welt ein bisschen weniger gefährlich, ein bisschen sicherer wird. Aber hier sind wir wieder beim Thema Hamas: Die Hamas befürwortet ja das, was Osama bin Laden getan hat, wofür er stand, und deshalb müssen wir weiter wachsam sein. Diese Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus ist leider noch immer nicht vorbei.

    Heckmann: Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, war das hier im Deutschlandfunk-Interview. Herr Graumann, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Graumann: Herzlichen Dank!