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"Die hatten alle Angst" vor dem Murdoch-Konzern

In der britischen Medienlandschaft herrsche "eine ziemlich brutale und zynische Kultur", sagt der frühere Großbritannien-Korrespondent Peter Bild. Praktisch alle Politiker hätten mehr oder weniger alles gemacht, um Murdoch-Zeitungen auf ihre Seite zu bringen.

Peter Bild im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.07.2011
    Peter Kapern: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", diese alte Weisheit gilt offenbar auch in der Medienbranche der USA. Dass Wall Street Journal, früher eines der angesehensten Blätter der Welt, scheint nun nur noch einen Zweck zu erfüllen, nämlich die Weste seines Besitzers weißzuwaschen. Der heißt Rupert Murdoch und ist jüngst bis zum Hals im Abhör- und Bestechungssumpf versunken.
    So ahnungslos können Journalisten also sein. Von all den Bestechungen und Abhöraktionen hätten sie rein gar nichts gewusst, das beteuerten gestern Rupert Murdoch und sein Sohn James bei der spektakulären Anhörung im britischen Parlament. Die Verantwortung liege bei denen, denen sie vertraut hätten. Das haben wir eben gehört. So versuchen sie sich reinzuwaschen im größten Medienskandal seit den Hitler-Tagebüchern. – Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat gestern Abend mit Peter Bild, dem langjährigen Korrespondenten vieler wichtiger britischer Zeitungen, über den Auftritt der Murdochs gesprochen.

    Peter Bild: Mein Eindruck war, dass sie damals nichts wussten, weil sie auch nichts mehr wissen wollten. Dass es eine Kultur gab, eine ziemlich brutale und zynische Kultur, nicht nur bei News International, auch bei anderen englischen Medien – davon habe ich auch ein bisschen Erfahrung -, das ist ja nichts Neues. Dass sie aber zu Details, zu Lauschangriffen auf Mordopfern und so weiter, nichts wissen wollten, den Eindruck habe ich.

    Dirk-Oliver Heckmann: Man muss sich das also so vorstellen. Denken Sie, dass die Spitze dieses Unternehmens gesagt hat, ihr Reporter bringt bitte uns die Storys, die die Leser lesen wollen, aber wir wollen über die Methoden gar nicht so genau bescheid wissen?

    Bild: Die sagen natürlich – und das hat auch Rebekah Brooks, die Chefredakteurin von "News of the World", "The Sun" und Chefmanagerin in London für News International -, das haben die alle mehr oder weniger so gesagt. Irgendjemand in der Organisation, in der Redaktion musste natürlich wissen, woher die Storys kamen, aber keiner scheint wirklich nachgefragt zu haben, außer vielleicht diejenigen, die nicht mehr bei News International sind. Das kann man als Erklärung oder als Ausrede sehen, und da sind eigentlich die Parlamentarier nicht sehr viel weiter gekommen.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, Herr Bild, dass solche Methoden alles andere als beschränkt sind auf "News of the World", und haben gesagt, Sie hätten da selber auch Erfahrungen gemacht. In welcher Art?

    Bild: Dass man nicht mit Lauschangriffen, aber dass man praktisch alle Methoden, ob am Rande der Legalität - ich wurde nie gefragt, etwas Illegales zu tun, aber manchmal fragte ich mich schon, ob das moralisch ist, was die von mir verlangen -, dass man da praktisch alles macht, um die Story zu bekommen, das ist gang und gäbe, glaube ich, aber nicht nur bei den englischen Zeitungen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es bei der Bildzeitung, bei Spiegel, Stern und vielleicht anderen deutschen Medien nicht so sehr anders ist.

    Heckmann: Bleiben wir trotzdem mal auf der Insel. Es hat dort ja offenbar eine schier unglaubliche Nähe zwischen Politik, Polizei und dem Murdoch-Konzern gegeben, mit dessen dunklen Machenschaften. Auch Premierminister Cameron gerät in die Defensive. Wie gefährlich dürfte der Skandal für ihn noch werden?

    Bild: Ich glaube, dieser Skandal hat Dinge ans Tageslicht gebracht, die eine Mehrheit der Bevölkerung einfach für nicht möglich gehalten hätten. Wenn ich früher behauptet hätte, die britische Gesellschaft sei so korrupt und die Demokratie, oder, sagen wir, die Politik wirklich nur eine Scheindemokratie, und wenn ich behauptet hätte, dass man sich die Polizei und die Justiz und die Politik erkaufen kann, wenn man genug Geld, genug Auflage und somit genug Einfluss hat, wenn ich das behauptet hätte, hätten sie mich vielleicht für einen Spinner oder als einen Verschwörungstheoretiker gehalten. Heute nicht mehr! So scheint es wirklich so zu sein. Es ist klar, dass die Stärke der Auflage von Rupert Murdochs Zeitungen praktisch alle Politiker – es geht nicht nur hier um Cameron, sondern auch Gordon Brown und auch um Tony Blair -, die hatten alle Angst und haben mehr oder weniger alles gemacht, um die Murdoch-Zeitungen auf ihre Seite zu bringen.

    Heckmann: Und die Lage ist in der Tat so, dass man von einer Scheindemokratie sprechen muss, wie Sie es eben getan haben?

    Bild: Ich fürchte ja. Ob sich das jetzt geändert hat, wird man sehen, und die Parlamentarier und die Politiker fühlen sich endlich mal gestärkt, dass sie praktisch die Macht dieses Imperiums gebrochen haben oder meinen, gebrochen zu haben. Ob das wirklich so ist, wird man erst in einigen Monaten sehen. Aber es ist klar, dass die Politiker nicht mehr so viel Angst haben vor den Medien, oder sagen wir vor allem vor den Murdoch-Medien.

    Heckmann: News Corporation ist ja einer der größten Medienkonzerne der Welt. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Teile dieses Konzerns in den Abgrund gerissen werden, wenn wir zum Beispiel mal an die USA denken?

    Bild: Das ist, glaube ich, nicht nur für Rupert Murdoch, aber auch für seine Minderheitsaktionäre das Allerwichtigste, denn inzwischen untersucht auch das FBI die Möglichkeit, dass vielleicht Lauschangriffe auf Opfer von den Angriffen auf New York und Washington, also "nine-eleven", wie man das so schön nennt, dass die auch Opfer vielleicht von Lauschangriffen sind. Also das ist für Murdoch und sein Imperium ganz, ganz gefährlich. England – gut, wir nehmen uns sehr wichtig auf der Insel – aber ist nur fünf Prozent des Medienimperiums und ich glaube schon, wenn es nicht anders geht, dass Murdoch einfach sich von seinen englischen Zeitungen trennen würde, ehe er das amerikanische Imperium gefährdet.

    Kapern: Ein Gespräch mit dem britischen Journalisten Peter Bild, das mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann gestern Abend geführt hat.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews
    und Diskussionen nicht zu eigen.


    Deutschlandradio aktuell vom 20. Juli 2011: Cameron muss seine engen Beziehungen zum Murdoch-Imperium erklären

    Deutschlandradio aktuell vom 19. Juli 2011:Murdoch vor dem Medienausschuss

    DLF-Interview vom 20. Juli: Wissenschaftler Esser über den Auftritt des Medienmoguls vor dem britischen Parlamentsausschuss

    DKultur-Interview vom 20. Juli 2011: EU-Politiker Watson: Europa braucht neue Regularien gegen Medienkonzentration