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Die Hetzjagd auf kubanische Intellektuelle vor zehn Jahren und heute

Im März 2003 begann eine Hetzjagd gegen kubanische Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte, Journalisten. 75 Oppositionelle wurden verhaftet, vor Schnellgerichte gestellt und zu absurd langen Haftstrafen verurteilt. Ein Rückblick auf den "Schwarzen Frühling" von damals und die Opposition in Kuba heute.

Von Peter B. Schumann | 01.04.2013
    Mit einem Macho-Lied provoziert hier Gorki Águila die kubanischen Tugendwächter. Er wollte seine neue CD Mitte März in einem privaten Klub Freunden vorstellen. Doch als er das Haus verließ, erwarteten ihn Agenten der Staatssicherheit und zerrten ihn in einen Wagen. Anderntags wurde er wieder freigelassen.

    Gorki ist der radikalste der kubanischen Punkrocker. Früher hat er oft vom Tyrannen-Saurier Raúl Castro gesungen, und Fidel Castro, den Kommandanten, als 'wandelndes Koma‘ karikiert. Seit Jahren hat er Auftrittsverbot, immer wieder wurde er verhaftet, seine CDs können nur unter der Hand verbreitet werden. Trotz aller Schikanen, die er ständig erleidet, lässt er sich nicht beirren.

    "Ich werde meine Überzeugung nicht verraten, nicht ein Stückchen nachgeben. Ich werde mich auch mit keiner dieser castristischen Institutionen einlassen, denn das sind infame Einrichtungen, die die Kreativität zerstören und das Schönste der Kunst rauben: die Freiheit."

    Dieser unerschütterliche Widerstandsgeist ist in vielen Bereichen der kubanischen Opposition zu finden. Er ist auch charakteristisch für die 75 Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler und Ärzte, die im März 2003 in einer beispielslosen Hexenjagd festgenommen wurden. Kaum zwei Wochen später verurteilten sie Schnellgerichte zu drakonischen Strafen von bis zu 27 Jahren Haft -
    "wegen subversiver Aktivitäten gegen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Kubas".

    Als Schwarzer Frühling ging das Ereignis in die Annalen der kubanischen Revolution ein. Doch der massive Schlag gegen die Menschenrechtsbewegung hat diese keineswegs eingeschüchtert. Die Familienangehörigen der Inhaftierten organisierten sich vielmehr und demonstrieren seither als Damen in Weiß jeden Sonntag friedlich gegen den Unrechtsstaat. Nicht selten werden sie dabei von den berüchtigten Rollkommandos der kubanischen Stasi attackiert. Ihr Beispiel hat vielen Kubanern Mut gemacht, sich oppositionellen Organisationen anzuschließen. Auch im privaten Bereich der Kultur wurden neue Räume geschaffen.

    "Herzlich willkommen bei Estado de SATS. Es ist uns heute eine ganz besondere Ehre, in unserem Programm Berta Soler begrüßen zu können, die Sprecherin der Damen in Weiß, und José Daniel Ferrer, den Koordinator der Patriotischen Unión Kubas im Osten der Insel. "

    Zwei der wichtigsten Stimmen der Dissidenz, eingeladen von Antonio Rodiles, einem jungen Mann Anfang dreißig. Er hat es gewagt, regelmäßig Dissidenten zum Gespräch in sein Haus zu bitten, dieses auf Video aufzuzeichnen und auch noch im Internet zu verbreiten. Das hat es bisher nicht gegeben: ein Forum der Opposition. Antonio Rodiles:

    "Wir wollten damit einen Raum offener Diskussion schaffen, in dem die Vielfalt des Denkens in der kubanischen Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Denn bisher herrschte hier nur ein von oben verordneter Diskurs. Wir aber wollen einen Dialog zwischen den unterschiedlichen Positionen führen. "

    Dieser findet bisher nur innerhalb der Opposition statt und ist auch ständig in Gefahr, verboten zu werden. Die Stasi observiert den Ort mit Videokameras und Richtmikrofonen und hindert oft Besucher daran, dorthin zu gelangen. Antonio Rodiles wurde von den Behörden bereits mehrfach verwarnt und im vergangenen November zum ersten Mal tagelang inhaftiert, dennoch macht er weiter.

    Den gleichen Widerstandsgeist zeigt auch der Schriftsteller und Nationalpreisträger Angel Santiesteban. Anders als die meisten seiner Kollegen hat er den Niedergang des Projektes der Brüder Castro in seinen Blogs immer wieder scharf kritisiert. Im vergangen Dezember fand das Regime die Möglichkeit, ihn aus dem Verkehr zu ziehen - absurderweise wegen einer Scheidungsgeschichte. In einem dubiosen Gerichtsverfahren wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt - wegen Hausfriedensbruchs und Körperverletzung.
    Angel Santiesteban erklärte kurz vor Haftantritt auf seinem Blog:

    "Das ist nur eine Etappe des Kampfes, den wir auch vom Gefängnis aus fortsetzen. Sie werden uns durch solche Akte nicht von unserem Weg abbringen. Im Gegenteil: Das ist nur eine andere Form der Konfrontation, die wir aufgenommen haben für die Freiheit Kubas."

    Das Statement im Internet zeigt, dass der Unterdrückungsapparat einen Teil des Angstpotenzials verloren hat, denn seine Opfer können sich öffentlich wehren. Er ist auch transparenter geworden, seit seine Machenschaften und deren Exekutoren heute oft von unabhängigen Journalisten mit Handykameras festgehalten und ins Internet hochgeladen werden - wie zum Beispiel diese Attacke auf die Bloggerin Yoani Sánchez.

    Sie ist heute die international bekannteste Vertreterin der Dissidenz und sieht wachsende Spielräume für die Opposition gegen das herrschende Regime.

    Die Zivilgesellschaft ist in Bewegung. Sie umfasst nicht nur die Dissidenten, sondern auch die Jugend. Diese geht längst ihre eigenen Wege im Hip-Hop, durch Performances, kleine alternative Filme und vieles mehr. Die Subkultur blüht. Und die verschiedenen kulturellen und politischen Gruppierungen tauschen sich untereinander aus. Lange Zeit ist es der Regierung gelungen, uns zu vereinzeln. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass ein neues Geflecht der Zivilgesellschaft entsteht.