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Die Hölle im Kopf

Der Roman "Der General und der Clown" spielt sieben Jahre nach dem furchtbaren Völkermord der Hutus an den Tutsis nicht am Ort des grauenvollen Geschehens, sondern in einem Bade- und Kurort im Markgräflerland im Südbadischen. Der General versucht sich durch das Niederschreiben seiner Erinnerungen von den Traumata der Vergangenheit zu befreien.

Von Lerke von Saalfeld | 27.01.2009
    "Dieser Stoff kam im Wege eines Zeitungsartikels zu mir, der davon handelte, dass deutsche Bundeswehrpiloten aus dem Kosovo-Krieg, wo sie Einsätze geflogen haben, traumatisiert zurückgekehrt sind. Und der Psychologe, der über das sogenannte posttraumatische Belastungssyndrom referiert hat, hat als Beispiel verwiesen auf einen kanadischen General, Roméo Dallaire, der 1994 in Ruanda die UN-Truppe befehligt hat und den man sechs oder sieben Jahre nach seiner Rückkehr aus Ruanda in Ottawa in einem Park gefunden hat, unter einer Bank liegend, zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib, voll mit Spiritus und mit Psychopharmaka. Und dieses Bild dieses Menschen, der dort gelegen ist, hat mich aus Gründen, die ich nicht kenne und die ich vielleicht auch gar nicht kennen will, fasziniert, und ich habe assoziiert damit sofort die Situation eines Mannes, der dort ausgeharrt hat, der vermutlich eine hohe Moralität besessen haben muss, und dann habe ich weiter recherchiert. Und so hat sich der Roman nach vielen Stationen der konkreten Recherche in seine fiktionale Form verwandelt."

    Der Roman "Der General und der Clown" spielt sieben Jahre nach dem furchtbaren Völkermord der Hutus an den Tutsis nicht am Ort des grauenvollen Geschehens, wo innerhalb von hundert Tagen 800.000 bis eine Millionen Menschen - die genaue Zahl wird keiner je erfahren - mit bestialischer Gewalt gemeuchelt wurden, der Roman spielt in einem Bade- und Kurort im Markgräflerland im Südbadischen. Denn, so der Autor:

    "Afrika ist nicht so weit, Afrika beginnt im Schwarzwald sozusagen. Wenn die Geschichten ihren inneren Kern haben und der irgendwo gut verknüpft ist mit der Wirklichkeit, gibt es Koinzidenzen, die einen selbst verblüffen. Ein Teil der "Völkermörder" ist in die nordeuropäischen Länder geflohen, so dass wir davon ausgehen müssen, dass heute unter uns durchaus Menschen leben, die involviert waren in den Völkermord."

    Rainer Wocheles Roman-General John F.Geisreiter, nachgebildet dem authentischen kanadischen UN-Kommandeur Dallaire, der über seine Ruanda-Erfahrungen in einer Autobiographie - "Handschlag mit dem Teufel" - Zeugnis abgelegt hat, kommt in den Kurort Bad Niedermatten, alias Bad Krozingen, um sich durch das Niederschreiben seiner Erinnerungen von den Traumata der Vergangenheit zu befreien, als er ohne politische und militärische Unterstützung durch die UNO den Völkermord geschehen lassen musste. Der kanadische General im Roman war früher in Lahr stationiert, seine Familie stammte aus dem Schwarzwald und wanderte nach Kanada aus. John F. Geisreiter ist sich seiner Sache nicht so sicher; für alle Fälle trägt er eine Pistole bei sich, denn, sollte ihm die Bewältigung seiner Schreckenserfahrungen nicht gelingen, will er Selbstmord begehen. Immer wieder schwirren ihm seine Erinnerungen durch den Kopf, werden Assoziationen durch kleine Vorfälle ausgelöst, die in ihm die Gräueltaten des dort Geschauten wach rufen. Wochele erfindet dafür im Roman eine Stimme, die den General heimsucht:

    "Natürlich ist mein John F.Geisreiter eine Kunstfigur. Wir sind nicht im Bereich des Lebensweltlichen, wir sind im Bereich der Kunst. Und ich erlaube mir, diese Figur auf der einen Seite so realistisch wie möglich zu zeichnen, aber doch auch mit Dingen zu versehen, die nur die Literatur kann. Ich dramatisiere die inneren Selbstgespräche, die er führt, wenn er sich zurückerinnert. Man kennt aus der klinischen Literatur dieses Syndrom, diese Umschaltpunkte. Als ich davon las, merkte ich, 'Mensch, das ist ja wunderbar, das sind ja praktisch psychische Rückblenden, die schon da sind'. Um aber nicht in eine Eindimensionalität hineinzugeraten, wenn Geisreiter sich an seine schrecklichen Erfahrungen erinnert, habe ich ihm eine Kopfstimme beigegeben, auch um eine Gegenposition aufzubauen, denn diese dritte, diese Kopfstimme ist zynisch, ist überheblich, beschimpft ihn, macht ihn lächerlich, führt ihn immer wieder zurück auf seine Anfänge, um anders mit diesem Grauen umgehen zu können."

    Die leibhaftige Gegenfigur zum General ist der Clown, die fröhliche Lissy Brändle. Durch Zufall begegnen sich die beiden und kommen sich immer näher. Lissy ist stellvertretende Hotelmanagerin just in dem Hotel, in dem der General abgestiegen ist. Lange verschweigt Geisreiter der jungen Deutschen seinen früheren Beruf, denn Lissy ist Friedensaktivistin, engagiert sich bei amnesty und bei "Ohne Rüstung leben". Ihren Vater lehnt sie ab, weil der als Bundeswehroffizier Leiter einer Tornado-Staffel ist und im Jugoslawienkrieg Einsätze geflogen hat. Langsam wächst das Vertrauen zwischen den beiden, Geisreiter gibt Lissy sogar die Niederschrift über sein Leben in Ruanda zu lesen. Lissy taucht in eine andere Welt ein, die sie vorher als Pazifistin kategorisch verachtet hat. Sie verkörpert die Gegenwelt:

    "Lissy Brändle hat für sich den Humor entdeckt als etwas, das uns das Leben leichter macht, als etwas, das die Harschheiten und Spitzen und scharfen Kanten der Wirklichkeit wieder in den Hintergrund schieben kann. Insoweit, glaube ich, signalisiert diese Lebenshaltung auch, dass wir mit den größeren Schrecklichkeiten, wie sie etwa der Alltag von Geisreiter während des Völkermordes gezeigt und beinhaltet hat, vielleicht auch fertig werden könnten, wenn der Humor Platz hat. Geisreiter hat sich zum Schluss abberufen lassen von seinem Kommando in Kigali, weil das Hass-Radio aufgerufen hat, ihn zu ermorden, aber auch, wie er selbst sagt, weil er zwei wichtige Dinge verloren hat, die ein guter Militärführer nach seiner Meinung haben muss, nämlich, den Humor und die Selbstironie. In dem Buch geht es auch komisch zu. Es wird viel gut gegessen, es wird auch gelacht, es sind eine Reihe von witzigen Situationen, weil die Wirklichkeit für alle nicht nur erfreulich ist. Und um diesen anderen Aspekt der Wirklichkeit und des menschlichen Lebens zu zeigen, hier die humorvolle und komische Lissy Brändle."

    Rainer Wochele hat seinen Roman eng gestrickt und temporeich gebaut. Er fängt auch die Atmosphäre in Ruanda zu Zeiten des Bürgerkriegs beklemmend lebensnah ein, denn der Autor hat nicht nur die Quellen befragt, sondern auch am Ort der Verbrechen persönlich recherchiert. Geschickt verbindet er die beiden Welten. So taucht zum Beispiel im Badebetrieb des Kurortes ein schwarzhäutiger Masseur auf, den Geisreiter sofort als einen der besonders grausamen Killer aus Ruanda identifiziert - 'Afrika ist auch im Schwarzwald'. Sie erkennen sich gegenseitig, Geisreiter überlegt, ob er ihn anzeigen soll. Stattdessen versucht der Masseur eines Morgens, den General beim Schwimmen im Bad zu ertränken, erfolglos. Auch die Welt der Militärs ist klein, Geisreiter trifft zufällig auf den Vater von Lissy, die beiden verstehen sich, und als Lissy tatsächlich ihren Widerstand gegen den Vater aufzugeben beginnt und ihn auf dem Fliegerhorst besucht, ist sie durchaus beeindruckt von dem, was sie dort erlebt. Auch die Welt der Soldaten kann menschlich sein.

    Wochele hat viel in diesen politischen, durchaus raffinierten Roman hineingepackt, aber manchmal verlaufen die einzelnen Handlungsstränge doch ein wenig zu glatt oder zu unwahrscheinlich. So wenn beim Besuch des Generals auf seinem alten Stützpunkt in Lahr wiederum ein alter Bekannter aus Kigali auftaucht, ein Belgier, vor dem Geisreiter die Flucht ergreift. Oder wenn gegen Schluss des Romans der gerade emotional wieder gefundene Vater Lissys bei einem Tornado-Absturz in der Schweiz ums Leben kommt.

    Der Hauptstrang des Romans ist jedoch packend und eindringlich erzählt. Nie wirkt der politische Hintergrund des Geschehens aufdringlich oder belehrend. Es gibt keine festen Gewissheiten, keine schwarz-weiß-Zeichnungen. Der Roman endet auch nicht mit einem Happy-End. Geisreiter liiert sich nicht mit Lissy, sondern kehrt zurück nach Kanada und ein Jahr später erscheint sein Buch "At the Gates of Hell'. Ein Name taucht darin nicht auf, der Name des Masseurs Ngilimana. Warum, das soll hier nicht verraten werden, obwohl - oder vielleicht gerade weil - für den Autor eine der Schlüsselszenen des Romans sich um den plötzlichen Selbstmord des Masseurs dreht, über den die Gäste im Speisesaal des Kurhotels tuscheln. Geisreiter hört schweigend zu:

    "Er erinnert sich ohne Hass an ihn, und er schenkt sich noch mal ein Glas des guten badischen Weines ein und sagt "Santé Ngilimana" und dann denkt er, "Gott sei seiner armen Seele gnädig und vergib uns unsere Schuld". Das ist eine meiner Lieblingsszenen, weil sie etwas zeigt, was aus dieser ganzen Schrecklichkeit herausführen kann, nämlich der Versuch eines Verstehens und nicht ein Erneuern des Hasses, der Abscheu, der Verurteilung."