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Die innenpolitischen Folgen der Eurokrise

Irland ist das erste der Euro-Länder, dass heute wohl seine Regierung abwählt, weil sich die rund drei Millionen wahlberechtigten Iren von der regierenden Fianna Fail verraten und verkauft fühlen. Sie werfen der Regierung vor, die Rettung bankrotter Banken dem Wohl der Nation vorgezogen zu haben.

Von Martin Alioth | 25.02.2011
    Anlässlich des letzten Streitgesprächs unter den drei Spitzenkandidaten am irischen Fernsehen platzte Enda Kenny der Kragen. Mit großer Sicherheit wird der Vorsitzende der Fine Gael-Partei der nächste Premierminister Irlands werden:

    Hundert Milliarden Schulden habe Irland nun auf dem Buckel; es sei obszön, wie die bisherige Regierung die Gläubiger der Banken auf Kosten des Steuerzahlers schadlos gehalten habe. – An der Basis sind die Kosten dieser Fehlkalkulation nicht zu übersehen:

    Am Rande des Dorfes Julianstown im Pendlergürtel der Hauptstadt Dublin füttert die Krankenschwester Kate Calvey ihre Enten und Hühner. Die Sparmaßnahmen des irischen Staates haben sie bisher rund ein Siebtel ihres verfügbaren Einkommens gekostet.

    Sie habe nicht vom Wirtschaftswunder profitiert, sie habe sich bestimmt nicht bereichert und sei auch nicht schuld am Kollaps. Dass der Staat sich jetzt so hoch verschulde, um fahrlässige Banken zu retten, macht sie zornig.

    In ihrem beruflichen Alltag sieht sie mehr Depressionen und mehr Alkoholmissbrauch.

    Und dann führt sie den Besucher in einen Schuppen, wo zwei Windhunde auf einer Tretmühle trainieren. Zwei weitere Hunde japsen ungeduldig, bis auch sie an die Reihe kommen.

    Der Windhund gilt in Irland als Inbegriff der zuverlässigen, energischen Leistung – wie einst die irische Wirtschaft. Aber diese Hunde kommen buchstäblich nicht vom Fleck. Seit der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union vor knapp drei Monaten die Finanzierung Irlands übernahmen, ist das Land zu jahrelangem Sparen verurteilt. Rund 50 Mrd. Euro – gleich viel wie die Staatsausgaben eines ganzen Jahres – wurden bereits den Banken versprochen. Dafür wird die ewige Regierungspartei Fianna Fail heute an der Urne hart bestraft werden. Aber es droht kein politisches Abenteuer; Extremisten sucht man in Irland vergeblich. Denn:

    In Irland darf man nur zwischen Konservativen und Konservativen auswählen, bemerkt der arbeitslose Architekt Matthew Lambert philosophisch. In der Tat: Fine Gael, ebenfalls eine Zentrumspartei, wird die neue Regierung führen, höchstwahrscheinlich in Koalition mit der überaus gemäßigten Labour-Partei.

    Irlands Exporte blühen bereits wieder, das Land verdient Geld. Aber der einheimischen Wirtschaft geht es miserabel.

    Wegen der Rezession und der Bankenkrise benutzten die Leute keine Taxis mehr, klagt der Taxifahrer Paddy Dunne. Sie laufen stattdessen. Paddys Umsatz ist halbiert, er ist im Verzug mit seiner Hypothek und sucht jetzt Teilzeitarbeit. In seinem Wagen hört er zu, wie seine Passagiere die Auswanderung planen.

    Es sei herzzerbrechend, gerade bei den jungen Leuten, denen jede Hoffnung geraubt wurde. So ist diese Wahl von Zorn und Resignation geprägt. Von der Aussicht auf viele, magere, ohnmächtige Jahre.