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Die Interessensvertretung der Autoren

Heinrich Böll und Günter Grass gehören zu den Gründervätern des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS), der am 8. Juni 1969 ins Leben gerufen wurde. Diese erste bundesdeutsche Schriftstellervereinigung setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen, angemessene finanzielle Entlohnung und Absicherung von Autoren und Schriftstellern ein.

Von Frank J. Heinemann | 08.06.2009
    1969 war ein Jahr der Aufbrüche - politisch und kulturell. Was in Paris im Mai 1968 an den Häuserwänden gestanden hatte - "Die Fantasie an die Macht" - kam in der Bundesrepublik an als Weckruf, nicht zuletzt bei den Schriftstellern; die Gruppe 47 sterbensmüde, Sinn- und Überlebenschancen von Literatur im Lauf der Studentenbewegung zweifelhaft geworden, Literatur nicht mehr "Dichtung", sondern ein Sozialprodukt. Und ihre Produzenten erkannten sich als unterprivilegiert, unversorgt im Alter und bei Krankheit.

    "Es soll hier öffentlich Tacheles geredet und unser Anteil an den merkwürdigen Sozialprodukten betrachtet werden, die wir erstellen. Hin und wieder mögen wir ganz kluge Leute sein, als Vertreter unserer Interessen in einer Gesellschaft, die von Interessenvertretern dirigiert wird, sind wir wie Schwachsinnige."

    Das sanfte, aber mit Stacheln gespickte rheinische Parlando von Heinrich Böll gab dem Gründungsakt des neuen Schriftstellerverbands VS am 8. Juni 1969 in Köln die Weihe eines Großschriftstellers. Schon im Jahr darauf ertönten bei einem triumphalen Kongress in Stuttgart die sozial-liberalen Fanfarenstöße der politischen Größe Numero eins.

    "Ich habe versucht, Ihre Frage zu beantworten: Ja, Politik, wie ich sie verstehe, braucht den Schriftsteller."

    Mit Willy Brandt, dem Reformkanzler, als Verbündetem begann ein damals fast unbekannter Münchner Autor, der VS-Gründungsvorsitzende Dieter Lattmann, in Bonn Interessenpolitik für Schriftsteller zu machen. Schon 1972, im Jahr, in dem Lattmann SPD-Bundestagsabgeordneter wurde, gelang es dem VS, eine Bibliothekstantieme durchzusetzen.

    Die sozialpolitisch wichtigere Frucht der Arbeit des VS, der sich schon 1973 der Industriegewerkschaft Druck und Papier anschloss, war jedoch die Künstlersozialkasse. Seit 1986 stellt sie freie Autoren bei der Renten- und Krankenversicherung den angestellten Beitragszahlern praktisch gleich.

    Dritter Aktivposten der Erfolgsbilanz ist der Deutsche Literaturfonds, der Bücher junger Autoren fördert. Doch trotz aller Erfolge: Beim VS, der mittlerweile zur Supergewerkschaft Verdi, der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, gehört, mag sich im Jubiläumsjahr kaum Jubel einstellen.

    Zwar hat der Verband zahlreiche Kräche in den Vorständen überlebt, und selbst die nahezu mörderischen Auseinandersetzungen zwischen einer linken Verbandsfraktion und den seit Mitte der 70er-Jahre in den Westen übergesiedelten DDR-Autoren überstand er.

    Erstaunlich geräuschlos vollzog sich nach 1990 die Integration ostdeutscher Autoren. Dennoch: Junge erfolgreiche Schriftsteller halten den 40-jährigen Verband mehr denn je für unattraktiv.

    "Wenn ich mit ihnen spreche, dann sagen sie relativ offen: Ja, ich habe die Künstlersozialkasse, ich werde von der VG-Wort gut unterstützt, ich habe einen guten Literaturagenten oder Literaturagentin, der mich in allen juristischen Fragen berät. Was brauche ich da noch einen Berufsverband."

    Bitter für Imre Török, den derzeitigen ersten Vorsitzenden, dass ausgerechnet die früheren Erfolge des VS - wie die Sozialkasse - den Verband überflüssig erscheinen lassen. Schmerzlich für Török ist auch, dass ein von ihm geplanter großer Kongress zum 40. Jahrestag in Stuttgart abgesagt werden musste. Wie es in Berlin bei der Gewerkschaftszentrale heißt, wegen der Finanzkrise, in deren Folge wichtige Sponsoren abgesprungen seien. Und die große Mutter Verdi mit ihren rund 2 1/4 Millionen Mitgliedern, kann sie dem Häuflein der 4000 Mitglieder ihrer Fachgruppe VS nicht helfend beispringen? Leider nicht, das wäre denn doch zu teuer, heißt es in Berlin.

    Fest steht allerdings: Ohne den organisatorischen Rahmen der Gewerkschaft wäre der VS wahrscheinlich nicht 40 Jahre alt geworden. Andererseits - und hierin besteht das schier unlösbare Dilemma - finden junge Autorinnen und Autoren das Grau des Gewerkschaftsalltags nicht gerade cool. Ein Alarmzeichen für die Gewerkschaftsspitze müsste sein, dass ausgerechnet der nun 83-jährige Dieter Lattmann, der den VS von Anfang an auf Gewerkschaftskurs getrimmt hatte, heute die Loslösung des VS von Verdi zumindest als Gedankenspiel betreibt.

    "Wenn jetzt nicht bald eine innere Erneuerung des VS passiert, dann wird sich etwas Neues gründen."