Donnerstag, 28. März 2024

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Die Intrige

In Großbritannien hat sich der Campus Roman schon vor gut vierzig Jahren etabliert: Für die Campus Novel, wie die Engländer sagen, gilt gemeinhin Sir Kingsley Amis Roman vom "Lucky Jim" als Auftakt, erschienen ist er 1954. Nun kann man feststellen, daß der Campus Roman auch hierzulande Fuß gefaßt hat: Dietrich Schwanitz, ehemals Anglistik-Professor an der Universität Hamburg, hat seinem erfolgreichen Erstling "Der Campus" den Roman "Der Zirkel" hintergeschickt. Die Universitätsstadt Berlin ließ das nicht lange auf sich sitzen und produzierte "Die Intrige", der Untertitel nennt das Genre: "Ein Campus-Roman". Geschrieben hat ihn Dorothee Nolte, eine junge Hochschulredakteurin beim Berliner Tagesspiegel. Anders als Schwanitz, dessen Romane nach angelsächsischem Vorbild im Milieu der Lehrkräfte spielen, geht es Nolte um den Alltag der Studenten: "Im Campus-Roman - zum Beispiel der von Dietrich Schwanitz - wird ein Student sich kaum wiederfinden, weil die Probleme, die behandelt sind, eher die ältere Generation innerhalb der Universität betreffen. Es ist wichtig, daß man als Student mal sieht, hier wird jemand beschrieben, der eine gottverdammte Magisterarbeit zu schreiben hat. Das ist kein großartiges literarisches Thema, aber ein großes, wichtiges Thema für die Person, die sie schreiben muß. Auch wenn die Recherchen in diesem Roman ein wenig romanhaft ablaufen, so ist das doch ein Thema, in dem man sein eigenes Leben wiedererkennt, und das einem vielleicht was nützt, wenn man es gelesen hat."

Tanya Lieske | 03.02.1999
    "Die Intrige" nimmt ihren Ausgang in einem Seminar, das Professor Knospe am Institut für Kulturwissenschaft gegeben hat. Das Seminar, stark interdisziplinär, zeitgeistig und multikulturell ausgerichtet, ist typisch für die Aufbruchstimmung, die nach verknöcherten Jahren an der Humboldt- Universität in Berlin-Mitte herrscht. Es gibt das Institut für Kulturwissenschaft wirklich, wenn auch ohne jenen Professor Knospe, der zu Beginn des Romans seine Studenten in die Semesterferien entläßt. Zu ihnen gehören der karrierebewußte Jurist Jonas, die Ethnologin Eva, Sheila, die amerikanische Geschlechterforscherin, Hans, der Philosoph, der trockene Doktorand Sigmund und die Romanistin Britta. Ihnen allen legt Professor Knospe den Gegenstand des Seminars noch einmal ans Herz: "Die Intrige im Spannungsfeld von Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Medialität bis hin zum Internet". Britta, die Romanistin beginnt daraufhin mit den Recherchen für ihre Magisterarbeit, die sie an Originalschauplätze nach Italien führen werden. Britta hat nämlich einen Zusammenhang entdeckt zwischen den Kolportageromanen der Lydia Ottone und denen des vergessenen italienischen Schriftstellers Giuseppe Firenze: "‘Die Art, wie Giuseppe Firenze seine Intrigen aufbaut, ist genial, und mir ist sofort eine gewisse Ähnlichkeit mit den Techniken von Lydia Ottone aufgefallen: Die langsame Exposition, die Konzentration auf wenige Charaktere, die rasende Spannung im Mittelteil und dann das völlig überraschende Ende, mit dem die Intrige sich quasi selbst ein Schnippchen schlägt. Vor allem aber die bewußt eingeführten, aber nicht weiterverfolgten Erzählstränge, das, was ich Leerstellen nenne.’ Britta war ganz erhitzt vom Sprechen und von der Julisonne, auch von dem selbst gefundenen Begriff der Leerstelle. Ja, sie wollte Giuseppe Firenze vor dem Vergessen retten."

    Es versteht sich, daß Noltes Roman denselben Kriterien folgt, im Campus-Jargon müßte man an dieser Stelle wohl sagen, daß sich Inhalt und Form der Intrige in Selbstreferenz durchdringen. Die Studenten erliegen im Laufe ihrer Recherche zur Intrige einer ebensolchen, und erst ein beherztes, wiewohl posthumes Eingreifen der Lydia Ottone vermag den Fall zu entwirren. Eine detaillierte Strukturanalyse der deutschen Untergattung des Campusromans möge künftigen Magistergenerationen vorbehalten sein, nur so viel sei hier angedeutet: Im Verhältnis von Theorie und Praxis liegt der Hase im Pfeffer. Nolte ist wie Schwanitz angetreten, nach angelsächsischem Vorbild die Barrieren zwischen ernsthafter und unterhaltender Literatur einzureißen. Dabei geht sie mit solcher Gründlichkeit zu Werke, daß manche Pointe sich in exponierter Stellung verkühlt - etwa, wenn es heißt, daß Professor Knospe etwas in ihr zum Blühen brachte.

    Die Qualitäten dieses Campus-Romans entfalten sich eher beiläufig im Hintergrund. "Die Intrige" bietet erhellende Einblicke in den studentischen Alltag an einer Massenuniversität, ob es nun um mangelhaft ausgestattete Bibliotheken geht oder um Hausarbeiten, deren Themenstellung für vernunfbegabte Menschen an Schwachsinn grenzt. Überzeugend gestalten sich auch die Schauplätze des Romans von der Mensa bis zum Potsdamer Platz, dies ist genausogut ein Berlin-Roman wie ein Campus-Roman: "Hier, im Scheunenviertel, der Spandauer Vorstadt, in Mitte und Prenzlauer Berg, waren die neuen Galerien, Kneipen, Läden, Musiklokale und kleinen Theater, hier wohnten Studenten und Künstler, hier wurde gehämmert und gemeißelt, gebaut und saniert, bis spät in die Nacht hallten die Hackeschen Höfe mit Hoftheater und dem Varieté Chamäleon wieder von dem Gelächter der Vergnügunssüchtigen, kurz: In diesen wenigen Quadratkilometer lag das El Dorado der Kulturwissenschaftler. Nirgendwo sonst in der Stadt verbanden sich Geschichte, Gegenwart und Zukunft auf so vielversprechende Art und Weise, coolere Straßenzüge gab es in ganz Deutschland nicht."

    Fortsetzung folgt auch hier, einen zweiten Campus-Roman will Dorothee Nolte noch veröffentlichen. Vielleicht wird sie sich danach ja fortwagen aus der Einfriedung des universitären Lebens: Von ihren Stadtansichten würde man gerne mehr erfahren.