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Die Jahresbilanz der NADA

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) meldet für das Jahr 2009 insgesamt 9040 Trainingskontrollen - soviel wie nie. Hinzu kommen 4878 Wettkampfkontrollen, sodass erstmals mehr als 14.000 Kontrollen in Deutschland analysiert worden. In 41 Fällen wurden Verfahren eingeleitet.

Von Jens Weinreich | 07.05.2010
    Rekordzahlen allein schaffen kein Vertrauen. So sagen die reinen Zahlenkolonnen, die von der NADA in Berlin vorgestellt wurden, wenig aus. Denn im Prinzip müssten die Umstände jeder einzelnen Kontrolle in die Statistik eingebracht werden. Wurde wirklich konsequent unangemeldet kontrolliert? Wie glaubwürdig sind die Kontrollen und Kontrolleure? Derlei Fragen gibt es viele.
    NADA-Geschäftsführer Göttrik Wewer, ehemals Staatssekretär im Bundesinnenministerium:

    "Ich glaube, dass das Volumen, das wir haben, den generellen Abschreckungseffekt gut abbildet. Aber wir beide wissen und alle wissen, dass es eine Dunkelziffer gibt, die wir mit den Kontrollen nicht abdecken. Worüber wir diskutieren und wahrscheinlich auch streiten, ist die Frage: Wie groß ist dieses Dunkelfeld? Das weiß ich nicht, und das wissen wahrscheinlich auch sie nicht. Es sei denn, sie sagen mir das jetzt."

    Korruptionsexperten sprechen von 95 Prozent unentdeckter Fälle. Im Dopingbereich hat jüngst ein Forscherteam eine Studie vorgestellt, in der es heißt, allein im Nachwuchsbereich würden schon sieben Prozent der Athleten dopen. Irgendwo zwischen jenen sieben und 95 Prozent dürfte sich die Dunkelziffer im olympischen Hochleistungssport bewegen.

    2009 gab es bei mehr als 14.000 Kontrollen 41 "Verstöße gegen die Anti-Doping-Richtlinien", wie es im Amtsdeutsch heißt. Längst geht es nicht mehr nur um positive Proben. In 21 Fällen wurden Sportler mit Sperren zwischen drei Monaten und vier Jahren belangt. Der spektakuläre Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist in dieser Statistik enthalten.

    Der Fall Pechstein führte auch dazu, dass die NADA den Plan, selbst einen indirekten Nachweis zu führen, vorerst ad acta gelegt hat. Göttrik Wewer:

    "Da ist man klug beraten, sein Pulver erstmal trocken zu halten und mal zu gucken, wie das ausgeht, welche Hinweise das Gericht gibt, wie sorgfältig man arbeiten muss. Was an Gutachterfragen in solchen Verfahren hochkommen kann, das haben wir jetzt erfahren und das ist noch nicht durch. Insofern haben wir da ein bisschen abgewartet. Aber wir sind jetzt mit unserer Profildatenbank in den Echtbetrieb gegangen, haben inzwischen von knapp 700 Athleten 2850 Datensätze in der Datei drin und sammeln da kräftig weiter. Wir haben die Zahl der Blutproben innerhalb der Trainingskontrollen, das werden sie in der Statistik gesehen haben, deutlich angehoben. Früher war das ein relativ geringer Anteil, inzwischen ist das deutlich mehr, und damit füttern wir kräftig unsere Profildatenbank und hoffen, dass wir den einen oder anderen Treffer auch landen können."

    Gemäß Vorstandschef Armin Baumert, der eine zweite Amtszeit antritt, war man in den vergangenen Monaten nah dran an spektakulären Fällen:

    "Es gibt eben herausragende Namen, die intern besprochen werden, und wo wir abwägen müssen, ob die Verwertbarkeit unserer Erkenntnisse ausreicht, um juristisch standzuhalten. Denn das ist ja letztendlich entscheiden. Denn wir können uns ja nicht auf ein dünnes Eis begeben und dann einbrechen im wahrsten Sinne des Wortes."

    Zahlen sind das eine. Behauptungen von Dopingfahndern, die sich öffentlich nicht belegen lassen, das andere. Dopingbekämpfung bleibt ein Glaubenskampf. Die einen sehen die NADA zu nah an Sport und Politik. Baumert, ehemals Leistungssportchef des DSB, verteidigt sich gegen den Vorwurf, die NADA sei ein Papiertiger:

    "Also, wenn man das in der Entwicklung der NADA betrachtet, in Deutschland, seit 2002, glaube ich, dass diese Begrifflichkeit eher zu den Anfangszeiten der alten NADA gehört. Wir sind in unseren Entscheidungen unabhängig geblieben und hoffen, das auch weiter zu sein. Es würde komplizierter werden, wenn für über die Finanzierung Probleme bekämen und somit über das Geld Einfluss genommen werden könnte. Das ist momentan noch nicht erkennbar."

    Als eine ihrer Hauptaufgaben bezeichneten es Wewer und Baumert, international für mehr Chancengerechtigkeit einzutreten. Das sei man deutschen Sportlern schuldig. Gemäß Baumert verfügen unter den weltweit 205 Nationalen Olympischen Komitees nur 125 Nationen über eine Nationale Antidopingagentur. Davon würde maximal die Hälfte auf dem Niveau der deutschen NADA arbeiten. Bei einem Workshop kürzlich in London haben Deutsche, Schweizer und Österreicher der Welt-Agentur (WADA) ein entsprechendes Papier mit Vorschlägen überreicht. "Wenn die erfolgreichsten zehn Nationen bei Olympischen Spielen oder Leichtathletik-Weltmeisterschaften vergleichbare Testbedingungen hätten, wären wir schon einen gewaltigen Schritt weiter", sagt Wewer.

    Parallel zu den Bemühungen der NADA will das Bundesinnenministerium auf der europäischen Sportministerkonferenz kommende Woche eine so genannte "Initiative Chancengleichheit" vorstellen. BMI-Staatssekretär Christoph Bergner (CDU) hatte zuvor bereits im Deutschlandfunk erklärt, er strebe einheitliche Regeln in ganz Europa an: "Es geht uns nicht darum, bei uns die Dinge weicher oder laxer zu machen. Wir wollen vergleichbare Regimes in der Dopingbekämpfung durchsetzen." Dies wäre zumindest ein Schritt, um auch das Vertrauen in Dopingstatistiken zu stärken.