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Die Japaner - "die Preußen Asiens"

Gemeinsinn, lebenslanges Lernen und eine Überlebenskultur der Mäßigung - die drei Säulen des Konfuzianismus, entstanden 500 vor Christus, sind bis heute Grundlage japanischen Handelns, sagt Manfred Osten. Handeln, das nur ein Ziel kennt: die Chaosüberwindung.

20.03.2011
    Michael Köhler: Verzweifelte Rettungsversuche haben die Bilder der letzten Tage und Wochen aus Japan bestimmt. Nach Erdbeben und Tsunami bietet sich ein Bild der Verwüstung, die Reaktorkatastrophe hält die Welt in Atem, der Verzehr von ungekochter Milch aus Fukushima ist laut Präfektur und Gesundheitsamt inzwischen verboten, mehr als 8000 Menschen sind nach offiziellen Angaben ums Leben gekommen. Dies einige nüchterne Daten.
    Der langjährige Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und Kulturhistoriker Manfred Osten war als Diplomat lange in Japan. Ihn habe ich gefragt: Herr Osten, wir haben in den letzten Tagen häufig vom und über Katastrophen-Stoizismus der Japaner gehört. Stimmt das eigentlich so? Kann man es sich so leicht machen und sagen, na ja, mit Shintoismus und genug Konfuzianismus im Gepäck, da meistert man noch jede noch so große Katastrophe?

    Manfred Osten: Ja, Herr Köhler, ich denke, dass wir da ein wenig zurückgehen müssen in die Geschichte Asiens. Diese Fukushima-Katastrophe steht in einem indirekten Rapport mit jenem Chaos rund um 500 vor Christus in China. Das heißt, das ist damals die Geburtsstunde einer Staatsmoral und Gesellschaftslehre geworden, die bis heute wirkmächtig geblieben ist, unter anderem eben auch in Japan, ganz besonders in Japan. Das heißt: der Konfuzianismus. Das heißt, wir haben es hier zu tun mit einer enorm pragmatischen, auf Chaosüberwindung orientierten Lebensphilosophie, die selbst aus dem Chaos entstanden ist und seit etwa 2000 Jahren das geistige Betriebsgeheimnis, meine ich, auch einer Nation wie Japan ist. Das heißt, die Japaner sind schon deshalb eigentlich die Preußen Asiens, weil sie schon durch die Natur gezwungen sind zu einer leistungsorientierten, das heißt konfuzianisch geprägter Arbeitsethik im Verbund mit Strenge, Disziplin und vor allen Dingen auch Sekundärtugenden als Bedingung einer sozialen Intelligenz, die notwendig ist, existenziell ist praktisch für die Bewältigung von Katastrophen.

    Köhler: Sie sagen, das sei wirkmächtig. Wie sehr prägt denn dieser Konfuzianismus rein alltagspraktisch das Leben in Japan?

    Osten: Der prägt es insofern, als diese großen drei Säulen des Konfuzianismus zu den Selbstverständlichkeiten der Erziehung und Bildung gehören. Das heißt nämlich einerseits Gemeinsinn, zum anderen lebenslanges Lernen und zum dritten eine Überlebenskultur der Mäßigung. Das heißt, wenn man diese drei Pfeiler sich einmal ansieht, vor dem Hintergrund von Katastrophen, mit denen Japan ja seit Urzeiten lebt, ergibt sich daraus eine sehr pragmatische Form, sich mit diesen Katastrophen irgendwie abzufinden. Das oberste Gebot, was ich zuerst erwähnte, der Gemeinsinn, ist im Grunde nichts anderes als die Disziplinierung aller Affekte eines egoistischen Eigensinns, also Panik, Pessimismus, Negativität jeder Art, eben zu Gunsten des Überlebens des Kollektivs, denn in großer Gefahr kommt eben nur die Gruppe durch und nicht das Individuum. Das ist also ein ganz anderer Aspekt, den ich dort in den fast sieben Jahren, in denen ich in Japan gewesen bin, immer wieder erlebt habe.

    Köhler: Darf ich mal was einwenden aus westlicher Perspektive. Das klingt ja sehr sympathisch, was Sie da sagen. Aber sind dann nicht die sozialen Pflichten größer als die individuellen Rechte?

    Osten: Ja, natürlich! Das ist ja damit gemeint. Dieser Gemeinsinn bedeutet natürlich ein hohes Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Kollektiv, das heißt der Familie und dann schließlich auch gegenüber der Nation und überhaupt der Gesellschaft.

    Köhler: Die deutschen Kernkraftwerksbetreiber schicken morgen kerntechnische Hilfsgüter nach Japan. Das Deutsche Atomforum hat das heute in Berlin mitgeteilt. Es sollen 20 Paletten Hilfsgüter runtergeflogen werden mit Filtern, Masken, Strahlenmessgeräten und so weiter. Lassen sich die Japaner gerne in dieser Situation helfen?

    Osten: Ja das ist eine sehr interessante Frage. Im Grunde richtet sich der japanische Stolz eigentlich mehr darauf, letztlich auf das Bewusstsein, wir können es eigentlich selber schaffen. Und dass das jetzt möglich ist, zeigt eben, dass hier eine Dimension von Gefahr da ist, dass sie eben noch in diesem Falle das wahrscheinlich akzeptieren werden. Aber man muss das sehen, dass eben 1995 im Zusammenhang mit dem riesigen Erdbeben in Kobe die Regierung ausländische Hilfsangebote abgelehnt hat, damals allerdings wirklich zum Schaden der Opfer, und daraus könnte möglicherweise auch ein Lernen aus diesem Fehler resultieren, dass man es diesmal nicht noch mal wiederholt.

    Köhler: ... , sagt der Kulturhistoriker und frühere Diplomat in Tokio Manfred Osten über konfuzianistische Traditionen in Zeiten von Kernreaktorkatastrophen.

    Sammelportal "Katastrophen in Japan"