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Die Jugend erhebt ihre Stimme

Das Kosovo hat die jüngste Bevölkerung Europas. Das Durchschnittsalter liegt bei 23 Jahren, 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 18. Bei der Entscheidung über die offene Zukunft der Provinz wollen die Jungen mitreden. Dirk Auer berichtet.

20.03.2007
    Im Hauptquartier der Bewegung Vetevendosje einem einfachen kleinen Haus, mitten im Zentrum Prishtinas: Die Einrichtung ist spartanisch, ein Schreibtisch, veraltete Computer, ein zerschlissenes Sofa und ein paar Stühle. Fatima kommt etwas erschöpft aus dem Nebenzimmer, wo gerade die nächsten Aktionen geplant werden. Die 24-jährige ist in Deutschland geboren und lebt trotz unbefristeter Aufenthaltserlaubnis seit drei Jahren im Kosovo. Irgendwie ist sie hier hängen geblieben, sagt sie, nicht nur, aber auch weil sie auf einmal neugierig auf Politik geworden ist.

    "Ich finde, Deutschland reizt einen nicht so, politisch zu sein. Hier kann man nicht anders als politisch sein, insbesondere wenn man jung ist. Alle Probleme, die man hier hat, wenn man die verfolgt und sieht, wo die Wurzel ist, dann landen die alle hier bei der Frage, dass man nicht frei ist."

    Heftige Zustimmung bei Ilir Ferizaj. Auch er spricht Deutsch, dank Satelliten-Fernsehen und Stefan Raab. Insbesondere die geplante Dezentralisierung der Provinz, durch die serbische und albanische Gemeinden verwaltungstechnisch voneinander getrennt werden sollen, wird noch für viel Unmut sorgen, ist sich der Informatik-Student sicher.

    "Dezentralisierung heißt: Serben bekommen große Autonomie, werden Ministaaten, serbische Teile in Kosovo. Also ich hätte nichts dagegen, wenn sich Serben integrieren würden und mit Prishtina zusammenarbeiten. Aber sie kriegen die Kommunen und arbeiten weiter mit Belgrad zusammen."

    Wird der Plan des finnischen UN-Unterhändlers Martti Ahtisaari umgesetzt, bedeutet das de facto die Teilung der Provinz, befürchtet Ilir. Seine Wut richtet sich vor allem gegen die eigenen Politiker, die diesem Plan zugestimmt haben. Die ursprünglichen Ziele, für die sie einmal angetreten waren, hätten sie für ihre eigenen Machtinteressen jedenfalls verraten, meint auch Glauk Konjufca, einer der Sprecher von Vetevendosje.

    "Ich sehe mich als Bürger Kosovos nicht in den Institutionen repräsentiert. Denn die Internationalen haben überall das Sagen, sie kontrollieren alles. Wenn wir unsere Politiker kritisieren, dann deshalb, weil sie Teil des Systems geworden sind. Dieses gesamte Regime ist antidemokratisch. Es regiert mich, ohne dass ich es wählen konnte."

    Recht geschickt verknüpft Vetevendosje die Forderung nach sofortiger Unabhängigkeit mit sozialen Themen. Kosovo hat die jüngste Bevölkerung Europas. Das Durchschnittsalter liegt bei 23 Jahren, 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 18. Jährlich treten Zehntausende junger Kosovaren neu auf den Arbeitsmarkt, der nur den wenigsten eine reguläre Beschäftigung bieten kann. Es ist eine Generation, die mit ansehen musste, wie sich Kriegshelden in korrupte Politiker und Geschäftsleute verwandelte und die sich auf der anderen Seite fragt, welche Berechtigung die riesigen Gehälter der Internationalen eigentlich haben, wenn es sieben Jahre nach Kriegsende noch nicht einmal ein funktionierendes Stromnetz gibt. Die Ungeduld in der Bevölkerung wächst, ist sich Fatima sicher, und verweist auf den wachsenden Zulauf, den die Bewegung erhält - insbesondere seit der jüngsten Demonstration Anfang März, die zu ihrer Erleichterung friedlich blieb. Denn Gewalt lehnt sie ab.

    "Wir versuchen es mit einer alternativen Methode, vielleicht einer jugendlicheren, aber auch moderneren."

    Fatima deutet auf einige Fotos an der Wand, auf denen die jüngsten Aktionen Vetevendosjes dokumentiert sind:

    "Wir haben hier zum Beispiel bei den Autos der UN die Luft rausgelassen, wir haben die ganzen Ventile gesammelt und denen dann mit der Post geschickt."

    Mit solchen Aktionen hat sich Vetevendosje zur einzigen wirklichen Opposition in Kosovo entwickelt. Und als solche wird sie von der Regierung und der UN-Verwaltung zunehmend ernst genommen, zumal sich neue Konflikte ankündigen: In den nächsten Wochen wollen die Aktivisten jene Albaner zum Widerstand aufrufen, die im Zuge der geplanten Dezentralisierung zur Minderheit in den neuen, serbisch dominierten Verwaltungsbezirken zu werden drohen. Dort ist die Situation nur deshalb noch relativ ruhig, glaubt Fatima, weil die Betroffenen noch gar nicht wüssten, was sie erwartet.

    "Wenn die Leute wissen, wohin dieser Prozess führt, dann haben wir auch nicht mehr viel zu tun. Dann werden die selber kommen. Wenn man es genau weiß, dann lässt einen das Gewissen gar nicht zu Hause bleiben. Mir wäre es auch lieber, ich hätte Unrecht. Dann hätte ich mehr Zeit, mich um die Musik zu kümmern und Texte zu schreiben. So hab ich halt keine Zeit."
    Der finnische UNO-Chefvermittler Martti Ahtisaari
    Der finnische UNO-Chefvermittler Martti Ahtisaari hat klare Vorstellungen. (AP)