Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Die Karstadt-Krise

Wesseling – eine Kleinstadt mit 37 Tausend Einwohnern zwischen Bonn und Köln. Seit gut einer Stunde haben die Geschäfte geöffnet. Langsam strömen die ersten Menschen in die Flach-Flengler-Straße. Die warme Morgensonne wirft ein warmes Licht auf die verkehrsberuhigte Einkaufsstraße und schiebt den grauen Beton-Schleier - den Charme der 80er Jahre - zur Seite.

Von Dietmar Reiche | 13.10.2004
    Neben einigen kleineren Fachgeschäften und mehreren Discountern ist es vor allem die Filiale von Karstadt/Quelle, die die Passanten anlockt.

    Auch dieses Warenhaus steht auf der Verkaufsliste und gehört zum Sanierungsplan des Karstadt -Vorstands. Ein schwerer Schlag für die Menschen in Wesseling.

    Wenn Karstadt hier dicht macht, nee, wär nicht so gut. Wenn man hier in die Fußgängerzone geht – und, weiß nicht – ohne Karstadt sind mehr Ramschläden hier.

    Ich find das nicht so gut, weil das ist ein Geschäft, wo man alles kriegt, wo man alles findet und die restlichen Geschäfte sind nicht so gut und ich fänd`s schade, wenn`s weggehen sollte.

    Tja, so wie ich in den Nachrichten mitbekommen habe, sollen die ja drei Jahre noch offen bleiben und dann als GmbH geparkt werden. Das alles habe ich mit gekriegt und mehr nicht. Also sagen wir mal so: für Wesseling ganz wichtig, weil wenn Karstadt hier zumacht, dann ist hier so gut wie gar nichts mehr. Da ist ja nur noch der Marktkauf und dann stirbt das immer mehr aus ….


    Tabula Rasa bei Karstadt/Quelle. Europas größter Einzelhandelskonzern schreibt rote Zahlen und will sich von fast jeder zweiten Filiale trennen. Ingesamt geht es um 77 kleinere Warenhäuser mit 4200 Beschäftigten. Konzernchef Christoph Achenbach:

    Wir schließen keine Häuser, die schwarze Zahlen schreiben. Das wäre Kapitalvernichtung. Das habe ich auch immer gesagt. Aber wir bleiben dabei. Wir werden die 77 Häuser in einer eigenen Vertriebseinheit separieren mit dem Ziel, sie in den nächsten drei Jahren abzugeben.

    Ausverkauf bei Karstadt. Nur 89 größere Filialen mit mindestens 8000 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen im Konzern bleiben – das sogenannte Kerngeschäft.

    Damit nicht genug: 300 Fachgeschäfte wie die Bekleidungshäuser Sinn Leffers und Wehmeyer und die Sportgeschäfte Runners Point sollen verkauft werden. Noch einmal 5800 Mitarbeiter. Auch die Beteiligung an der Kaffeehauskette Starbucks will der Konzern abstoßen.

    Von den Arbeitnehmern verlangt das Unternehmen finanzielle Opfer. Durch die Sanierung versucht der Einzelhandelsriese Kosten in dreistelliger Millionenhöhe einzusparen. Die ursprünglichen Planungen mit 145 Millionen Kostenreduzierung für 4000 Vollzeitstellen sind längst überholt. Nun gehe es um deutlich mehr, heißt es bei Karstadt Betriebsbedingte Kündigungen sind wahrscheinlich. Reaktionen der Mitarbeiter:


    Was ich gehört habe, dass Urlaub gestrichen werden soll, dass mehr Stunden gearbeitet werden sollen fürs gleiche Geld. Das ist schon traurig. Deprimierend war die Betriebsversammlung. Weil viele unserer Kollegen nur aus den öffentlichen Medien erfahren haben, was auf sie zukommt. Aber trotzdem ist die Angst, die die Kollegen vor Arbeitsverlust haben, nicht weg.

    Die Arbeitnehmer fühlen sich von der Konzernleitung überrumpelt. Die Sanierungsmaßnahmen hätten wenig mit betriebswirtschaftlichen Argumenten zu tun, klagt Gesamtbetriebsratschef Wolfgang Pokriefke.

    Die 77 Häuser sind für uns deshalb so unerklärlich, weil es zum Großteil gesunde Häuser sind. Und es geht nicht um zehn Tausend oder acht Tausend Quadratmeter, sondern es geht um Inhalte Konzepte. Und es geht darum, den Kunden in Mölln, in Hamburg und Pumuklhausen vernünftig und entsprechend zu bedienen, mit vernünftigen Sortimenten. Und das werden wir auch hinkriegen.

    Nach Ansicht von Wolfgang Pokriefke hat Karstadt eine falsche Sortimentspolitik betrieben. Zudem lieferten 55 der kleineren Häuser gute Erträge. Es bestehe also kein Grund, sich von diesen zu trennen, so der Betriebsrat.

    In Essen – in der Konzernzentrale - sieht das der Vorstand anders. Für neue Investitionen fehle das Geld. Karstadt sei - so Vorstandschef Achenbach wörtlich – klamm. Eine Äußerung, die von den Arbeitnehmervertretern als drohende Insolvenz interpretiert wurde. Karstadt/Quelle steckt in einer tiefen Krise. Doch wie ist es dazu gekommen?

    In den 70er Jahren hatten die Deutschen sich weitgehend mit Konsumgütern eingedeckt, die Grundbedürfnisse waren befriedigt. Der Einzelhandel musste mit neuen Strategien reagieren. Das klassische Warenhaus mit dem vollen Sortiment - von der Autopolitur bis zur Zahnbürste – war in die Jahre gekommen. Karstadt suchte einen Ausweg in der Expansion und kaufte 1977 den Versandhändler Neckermann. 20 Jahre später schluckte Karstadt das Warenhaus Hertie. Anschließend folgte die Fusion mit dem Versandunternehmen Quelle. Hinzu kamen Beteiligungen am Tourismusgeschäft mit Thomas Cook oder der US-Kaffee-Kette Starbucks. Am Ende stand Europas größter Warenhaus- und Versandhandelskonzern.

    Das Prinzip ist einfach: Mit der Größe des Konzerns wächst auch die Macht auf den Märkten, können Einkaufspreise gedrückt und die Kosten reduziert werden. Durch unterschiedliche Geschäftsfelder – durch Diversifikation - sinkt das Risiko.

    Soweit die Theorie, in der Praxis sieht es anders aus. Andreas Kaapke, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung an der Universität zu Köln.

    Sicherlich hat man sich mit der Diversifikation keinen Gefallen getan. Das soll überhaupt nicht besserwisserisch klingen. Das hat damit zu tun, das bestimmte Diversifizierungen vor zehn Jahren noch sehr, sehr brauchbar aussahen. Die haben sich aber in der Zwischenzeit als nicht besonders glückselig machend herausgestellt. Im Übrigen leiden zig andere Konzerne auch darunter. Die Geschichte von Daimler/Chrysler spricht im Prinzip genau die gleiche Sprache. Also das ist kein Karstadt/Quelle-Phänomen. Das ist ein Phänomen, das sich querbeet durch die Unternehmen zieht, in denen in den 80er Jahren, Anfang der 90er Jahre relativ stark eine Diversifikationspolitik gefahren wurde – mit sehr heterogenen Leistungspaletten. Und das hat sich im Nachhinein in den seltensten Fällen als der wirkliche Bringer herausgestellt. Vielfach rudern diese Unternehmen zurück, stoßen diese Geschäftsfelder ab, mit teilweise erheblichen Verlusten, teilweise aber auch ohne dass sie größere Blessuren davongetragen haben. Aber sie hatten aber auch keinen wirklichen Vorteil davon.

    18 Jahre steuerte der Jurist Walter Deuss die Geschäfte des Karstadt-Konzerns und hat diese Strategie vorangetrieben. 18 Jahre lang billigten Aktionäre und Aufsichtsrat die Geschäftspolitik. Sein Nachfolger Wolfgang Urban hielt sich nur kurz an der Konzernspitze. Das umstrittene Sanierungsprogramm funktionierte nicht. Nun werfen Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften den ehemaligen Bossen Missmanagement und Fehlverhalten vor. Genau jene Gruppen also, die mit im Aufsichtsrat saßen, maßgeblich informiert waren und zugleich auch über die Zukunft des Karstadt-Konzerns mitbestimmten. Der ehemalige Manager Deuss schiebt unterdessen den schwarzen Peter seinem Nachfolger Urban zu. Bei seinem Rücktritt vom Amt des Vorstandsvorsitzenden vor vier Jahren habe er ein Unternehmen übergeben, das solide finanziert und meilenweit von einer ernsthaften Krise entfernt gewesen sei.

    Das Spiel mit dem schwarzen Peter findet auch in der Politik Gefallen. Der Ruf nach dem Staat wird immer lauter. Wegen des drohenden Verlustes Tausender Arbeitsplätze forderte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle ein Notpaket für die gesamte Einzelhandelsbranche. Der CSU-Wirtschaftsexperte Johannes Singhammer verlangte sogar, dass der Kanzler Karstadt zur Chefsache machen müsse. Die Schlagzeilen in den Boulevard-Zeitungen werden immer größer. Schröder musste reagieren:

    Es geht nicht, dass dann, wenn es erkennbares Managementversagen gibt, also wie jetzt in der Karstadtfrage, wo nun wirklich offenkundig Unfähigkeit bis zum geht nicht mehr im Gange war. Und dann müssen Menschen darunter leiden, was mir leid tut. Dann wird das mal soeben der Politik vor die Füße gekippt. Das geht nicht.

    Im Kanzleramt hat man also vorsorglich die Notbremse gezogen und die Welt in Schwarz und Weiß aufgeteilt. Schuld an der Krise bei Karstadt/Quelle habe das alte Management, der neue Vorstandschef Achenbach soll nun den Einzelhandelsriesen retten. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement redet Klartext:

    Das Unternehmen ist in der Lage sich selbst zu retten, die Sanierung zu betreiben und ist auch entschlossen, das zu tun. Das ist außerordentlich wichtig. Es geht nicht um den Staat, um den staatliche Einstieg, sondern es geht um eine unternehmerische Lösung, die gefunden werden kann.

    Staatliche Bürgschaftshilfen wie einst beim Baukonzern Holzmann, dem Anlagenhersteller Babcock Borsig oder der Telefongesellschaft Mobilcom sind tabu. Der Staat wird die rettende Hand nicht ausstrecken. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten und leeren Haushaltskassen sind der Politik die Hände gebunden.

    Doch was ist nun tatsächlich schief gelaufen bei Karstadt/Quelle? Handelt es sich um reines Managementversagen, so wie es der Kanzler oder die Gewerkschaft Verdi behaupten oder ist Karstadt nur ein Spiegelbild für den Strukturwandel im Einzelhandel? Die Karstadt/Quelle-Krise hat viele Väter.

    Den Ex-Manager Walter Deuss!

    Das war in den Ansätzen gar nicht schlecht, denke ich. Aber er hat zuviel auf einmal gemacht und damit den Fokus auf das Kerngeschäft völlig aus den Augen gelassen...

    ...s agt Volker Herkert, Analyst der Berliner Bank.

    Der Gesamtvorstand!

    Man hat die Lasten, ähnlich wie es die Politik zur Zeit gerne macht, in die Zukunft verlegt, man hat die stillen Reserven aufgelöst, man hat Dividenden bezahlt, in dem man Immobilien verkauft hat aus dem operativen Geschäft, wurde nichts mehr verdient und hat gehofft: irgendwann wird es schon besser. Und genau das ist nicht eingetreten. Und andere Konzerne haben den Weg eben ins Ausland angetreten, verdienen dort Geld. Karstadt ist diesen Weg nicht gegangen...

    ... sagt Jürgen Kurz von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

    Die Wirtschaftsflaute!

    Wir haben keine Reallohnsteigerung, wir haben Arbeitslosigkeit, also die Kaufkraft geht ja immer weit er den Bach herunter. Das merkt der Einzelhandel...

    ...sagt Lieselotte Hinz von der Gewerkschaft Verdi. Dort ist sie zuständig für den Fachhandel in Nordrhein-Westfalen.

    Tatsache ist: Karstadt wuchs vor allem auf dem Heimatmarkt. Der Konzern erwirtschaftet über 85 Prozent seines Umsatzes in Deutschland und wird nun in vollem Umfang von der wegbrechenden Binnennachfrage erfasst. Für Hilmar Juckel von der Unternehmensberatung BBE ist Karstadt nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche liegt eine Strukturkrise – und die erfasst den gesamten deutschen Einzelhandel.

    Also das, was sich in den Warenhauskonzernen abspielt, ist sicherlich einer der Indikatoren, was derzeit im Handel passiert. Wir sehen das natürlich auch bei den mittelständischen Fachhandelsgeschäften. Die durchleiden ja ähnliche Strukturänderungen. Und der eine ändert sich und der andere ändert sich nicht. Und die, die sich nicht anpassen, an die neuen Verbrauchergewohnheiten, an eine vernünftige Positionierung am Markt, die fallen in der Tat durchs Raster und verschwinden vom Markt. Und jetzt trifft es auch die Großen. Und das gibt natürlich einen Aufruhr im deutschen Handel, weil von den Großen man vermutet hätte, dass die so stabil im Markt sind und immer alles richtig machen. Aber wir wissen selber aus den vielen Beratungen und Unternehmertagungen, die wir durchführen: man schaut immer zuerst auf die Großen und sagt: Die müssen uns doch eigentlich zeigen, wo es lang geht., wie man es besser macht, damit wir davon profitieren können. Und in den letzten Jahren hat das Verhalten der Warenhauskonzerne nur Kopfschütteln ausgelöst. Insbesondere wegen der Rabattpolitik, weil die Fachhändler in der Folge auch gezwungen waren, auch Rabatte zu geben und das hat sie natürlich nachhaltig negativ beeinflusst.

    Die Rabattschlacht des Einzelhandels ist eine Folge der schlechten Konjunkturentwicklung. Ein Phänomen, das auch in anderen Branchen zu beobachten ist, wie zum Beispiel in der Automobilindustrie. Die hohe Arbeitslosigkeit, steigende Abgaben und die wirtschaftliche Unsicherheit prägen das Verbraucherverhalten. Der Einzelhandel versucht gegenzusteuern – mit katastrophalen Folgen.

    1990 betrug der Anteil des Einzelhandelumsatzes an den privaten Konsumausgaben noch 42 Prozent, im vergangenen Jahr waren es nur noch magere 29 Prozent. Angstsparen und Kaufzurückhaltung sind mittlerweile die schärfsten Konkurrenten der Einzelhändler, und es trifft die gesamte Branche. Das Dilemma: Das dritte Jahr in Folge hat der Einzelhandel weniger umgesetzt und schrumpft.

    Zudem kämpft der Einzelhandel mit hausgemachten Problemen. Die massive Flächenausweitung auf der grünen Wiese vor den Stadttoren hat zu einem starken Verdrängungswettbewerb unter den Einzelhändlern geführt. Vor allem die Warenhäuser in den einst so attraktiven Innenstädten leiden unter der neuen Konkurrenz. Unternehmensberater Hilmar Juckel.

    Im Vergleich zu England, Frankreich oder ganz Europa haben wir fast doppelt so viel Verkaufsfläche pro Kopf der Bevölkerung. Zur Zeit 1,3 Quadratmeter Verkaufsfläche pro Kopf der Bevölkerung. Und wenn wir jetzt mal in die Großstädte gehen, in die sogenannten Oberzentren, auch gerade in den neuen Bundesländern, finden wir in den Städten wie zum Beispiel in Erfurt, der Landeshauptstadt von Thüringen, schon Konzentrationen von über deutlich zwei Quadratmeter Verkaufsfläche pro Kopf. Und da kann sich jeder ausrechnen, dass da nicht alle Handelsunternehmen überleben können.

    Auf der grünen Wiese werden pro Quadratmeter je nach Branche sechs bis sieben Euro bezahlt. In Innenstädten, wie zum Beispiel in Köln, bis zu 80 Euro pro Quadratmeter. Ein Preisvorteil, den Einzelhändler in den Citys nur schwer wettmachen können, zumal wenn Unternehmen – wie Karstadt/Quelle – sich nicht auf die neue Situation einstellen. Die Unternehmensberatung Econ Consult beschäftigt sich seit Jahren mit der Standortentwicklung im Einzelhandel. Jörg Lehnert.

    Karstadt ist eine Betriebsform, die vielleicht in dieser Ausprägung – ich sag das mal ganz vorsichtig – nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Zu wenig spezialisiert, zu wenig profiliert. Alle Branchen ein bisschen, aber nichts richtig. Wenn man billig einkaufen will, geht man zu Aldi oder zu Fachmärkten auf der grünen Wiese oder zu ganz anderen Anbietern. Wenn man Qualität kaufen will, dann gibt es schon eine stark profilierte Konkurrenz. Karstadt war früher – und ist es vielleicht noch an den starken Standorten – das Flaggschiff, neben den Metrokaufhäusern Kaufhof und vielleicht hier und da einzelnen anderen. Aber das hat sich ein bisschen überholt. Ich sag mal ganz vorsichtig: Das ist nicht mehr der Grund, warum die Leute in die Städte hineinkommen, es sei denn, es ist der einzige große Anbieter dort.

    Die Konkurrenten Kaufhof und Karstadt locken die Kunden auf ganz unterschiedliche Weise in die Geschäfte - mit unterschiedlichem Erfolg. Dabei kann man den Karstadt-Managern noch nicht einmal mangelnde Innovationsfreude vorwerfen, vielleicht aber fehlendes Kundenverständnis.
    Volker Herkert, Finanzanalyst von der Berliner Bank.

    Kaufhof hat von Anfang an auf Markenkonzepte gesetzt. Hat also nicht versucht, wie Karstadt mit relativ exotischen Vertriebsformen zu arbeiten. Karstadt hat etwa eine Zeit lang versucht, Themen zusammen zu stellen. Dann ist man also, wenn man als Businessman seinen Anzug zusammenstellen wollte, mit Schuhen und Krawatten nicht in eine Schuhabteilung gegangen, nicht in eine Krawattenabteilung gegangen, in eine Anzugsabteilung, sondern hat alles passend zusammen an einem Ort gefunden. Das sind allerdings Konzepte, die sich nicht durchgesetzt haben. Und Galeria hat von Anfang an ein Markenkonzept verfolgt. Hat auf bekannte Marke gesetzt. Hat dort Shops in Shops gebaut. Und das war einfach der Zug der Zeit. Und dort haben sie einen entsprechenden Vorsprung und ein entsprechendes Image. Und das kann Karstadt jetzt nicht einfach imitieren.

    Zu wenig Marken, zu wenig exklusiv – das Karstadt-Management hat also zu spät und zu zaghaft reagiert. Das klassische Warenhaus alter Prägung – ein Gemischtwarenladen - erreicht nicht mehr den modernen Kunden.

    Doch für die Krise sind nicht nur die Vorstände in der Konzernzentrale in Essen verantwortlich. Es sind eben auch der ruinöse Preiswettbewerb, die Flächenausweitung, stagnierende Reallöhne und Massenarbeitslosigkeit: Dieser bittere Cocktail lähmt die gesamte Branche. Der Einzelhandelsriese Karstadt bewegte sich in diesem Umfeld wie ein schwerfälliger Dinosaurier.

    Unter den Bürgermeistern in den kleinen Städten ist unterdessen die Angst ausgebrochen. Welche Läden kommen nach Karstadt, wenn die drei Jahre Schonfrist vorüber sind? Das Schreckgespenst ist noch nicht einmal der drohende Leerstand, sondern es sind die neuen Mieter, die keiner haben will. Billigketten seien als Nachnutzer kein Gewinn für die betroffenen Kommunen, warnte bereits der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg forderte deshalb das Karstadt-Management auf, sogenannte Nachnutzungskonzepte für die einzelnen Warenhäuser mit den Städten und Gemeinden abzustimmen. Die Innenstädte drohen zu veröden - mit dramatischen Folgen für Immobilienpreise und Kommunalsteuern.

    Neu ist das Problem nicht. Seit Jahren kämpfen die Kommunen gegen den Leerstand der Immobilien in den Städten. Karstadt offenbart nur die Symptome der Krise, ist aber nicht deren Ursache. Aufwendige Stadtmarketingaktionen stoßen angesichts der leeren Haushaltskassen recht schnell an die finanziellen Grenzen. Nun könnte ein neues Modell die Städte revitalisieren. Die Standortgemeinschaften!
    Das bereits in Nordamerika praktizierte Projekt der sogenannten "Business-Improvement-Districts" bietet sich nach Einschätzung des Hauptverbandes des Einzelhandels auch für Deutschland an – eine konzertierte Aktion zwischen Handel, Immobilienbesitzern und Kommunalverwaltung. Jörg Lehnert von der Unternehmensberatung ECON.

    Es ist ein Modell, das aus den Vereinigten Staaten im letzten Jahr sehr massiv zu uns rübergekommen ist. Wahrscheinlich aus dem Leidensdruck, den viele Innenstädte erfahren haben. Man hat sich die Idee zu Eigen gemacht, dass eine Eigeninitiative der Immobilieneigentümer - das sind ja auch nicht immer zwingend die, die den Laden betreiben – das eine solche Eigeninitiative vielleicht das Ruder rumreißen kann. In Amerika funktioniert es so, dass man gemeinsam Geld in einen Fonds einzahlt, wenn man es so sehen möchte, und gemeinsam damit beschließt, was damit passieren soll. Es gibt dort die Möglichkeit per Gesetz, alle in einem betroffenen Gebiet zu zwingen, in diesen Fonds einzuzahlen. Damit ist das Phänomen der Trittbrettfahrer ausgeschlossen.

    In Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind erste Modellprojekte in Planung oder bereits am Start, zunächst auf freiwilliger Basis. In Hessen erwägt die Landesregierung eine staatliche Förderung. Die privat-öffentlichen Partnerschaften, bei der Immobilienbesitzer, Einzelhandel und Kommunen Geld in einen Fonds einzahlen, könnten also die Stadtviertel attraktiver machen und die Immobilienpreise wieder stützen. Ziel ist es, den Innenstädten ein neues Gesicht zu geben. Denn das traditionelle Warenhaus allein ist schon lange nicht mehr der Publikumsmagnet. In Zukunft werden Kombinationsangebote aus Handel und Dienstleistungen - wie Gastronomie, Hotels und Theatern - die Innenstädte aufwerten. Die Stadt müsse in Zukunft diesen Mehrwert bieten, so Jörg Lehnert von der Beratungsgesellschaft ECON. In diesem Umfeld hätte das Warenhaus eine wirtschaftliche Chance.

    Welche Zukunft dabei die zum Verkauf anstehenden Karstadtfilialen dabei haben, ist vollkommen ungewiss. Mittlerweile haben mehrere Unternehmen Interesse an den Immobilien bekundet. Für Karstadt dürfte es schwierig sein, die Filialen in einem Block zu verkaufen. Die potentiellen Käufer interessieren sich vor allem für die attraktiven Immobilien – die Filetstücke. Hilmar Juckel von der Unternehmensberatung BBE

    Es ist äußerst attraktiv – gerade für Ausländer, wenn man eine Chance hat, so in den deutschen Mark einzusteigen. Sie wissen, dass viele Ausländer in Deutschland gescheitert sind. Die Amerikaner – GAP hat sich zurückgezogen. Marc und Spencer ist nicht erfolgreich gewesen. Oviesse aus Italien ist nicht gerade erfolgreich in Deutschland, die haben damals ja die Kaufhalle Standorte übernommen. Hier hat man die Chance in Strukturen einzugreifen, sofort einen hohen Marktanteil zu haben. So und wenn die mit Profis anreisen und diese Beteiligung übernehmen und innerhalb kürzester Zeit ein Sanierungskonzept durchziehen. Und wenn hinterher ein solider und rentabler Konzern entstanden ist, dann ist das das Beste, was uns hier überhaupt passieren kann.

    Voraussetzung ist, dass die Banken mitspielen. Sie werden maßgeblich über den Erfolg oder Misserfolg der Sanierung mitbestimmen. Angesichts der mageren Eigenkapitalquote des Karstadt-Konzerns von 15 Prozent werden die Gläubiger die Fäden in der Hand behalten und Einfluss auf den Verkauf von Vermögensteilen nehmen. Im Gegenzug sind die Finanzinstitute offenbar bereit, kurzfristige Kreditlinien von rund 1,6 Milliarden Euro in einen Dreijahreskredit umzuschulden. Damit wäre Karstadt seine dringendsten Geldprobleme erst einmal los. Und auch die Großaktionäre Madelaine Schickedanz und der Versicherungskonzern Allianz sollen grundsätzlich Bereitschaft für die Kapitalerhöhung signalisiert haben – angeblich in Höhe von bis zu einer halben Milliarde Euro.

    Für die Gewerkschaft Verdi steht viel auf dem Spiel. Sie muss um Einfluss und Macht fürchten, wenn die ertragsschwachen Filialen und deren Beschäftigten in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert - und später verkauft werden. Der Vorstand droht offen mit betriebsbedingten Kündigungen, die sogar den gesamten Konzern betreffen könnten.