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Die Katze im Sack kommt mir spanisch vor

Redensarten sind in aller Munde: Sportlern werden die Daumen gedrückt, Politiker lassen die Katze aus dem Sack und in der Liebe kann man den Kopf verlieren. Solche Wortverbindungen machen die Sprache bunter und die "Phraseologie" zu einer sehr komplexen Angelegenheit.

Von Andrea Westhoff | 06.05.2010
    Posner: "In Redensarten und auch in Sprichwörtern organisiert eine Kultur ihr Wissen."

    Hohkamp: "Es ist eine Sonde in die Vergangenheit rein, aber es ist nötig, sie mit Vorsicht zu benutzen."

    Kaschuba: "Es geht um Wissen, dann geht es aber auch um eine bestimmte Ästhetik bei der Redensart: Wer die kennt, gehört dazu, wer die nicht kennt, gehört nicht dazu."

    Redensarten sind ein weites Forschungsfeld für Sprachwissenschaftler, Historiker und Volkskundler. "Fertigbauteile" der Sprache, zusammengesetzt aus historischen Ereignissen und Erfahrungen, Meinungen und Mahnungen, Traditionen und kreativen Ideen – kurz: "Volksmund" in seiner ganzen Breite.

    Aber auch wenn ihr Sinn meist klar auf der Hand liegt, die eigentliche Bedeutung ist oft "flöten gegangen". Und so muss der Sprachforscher Roland Posner bis in die antike Mythologie zurückgehen, um zu erklären, was zum Beispiel hinter der Redensart "das Glück beim Schopf packen" steckt:

    "Das Glück, lateinisch Fortuna, war ja eine Göttin und den meisten Göttern sind gewisse Attribute zugeordnet, ihr war ein Rad zugeordnet. Und das hat ja auch Sinn, denn es gab schon sehr früh Lotterien, in denen die Räder sich drehten und nicht beeinflussbar waren zum Beispiel in dem Punkt, an dem sie stoppten. Und da lag es natürlich nahe, dass man dem Glücksrad in die Speichen greifen wollte, und dann ist man schon ganz nah beim 'das Glück beim Schopf packen'. Die Frage ist nur, was für ein Schopf? Und da ist dann die Erklärung: Der griechische Ausdruck für Glück - oder einer der griechischen - war Kairos, der glückliche Augenblick und den Kairos haben die Griechen modelliert als einen Jüngling, der das Haar nur auf der Stirn trug und das Haar am Hinterkopf ausrasiert hatte, damit man ihn nämlich nicht beim Schopf packen kann."

    Redensarten, mit ihrem bildhaften Ausdruck, sind für Professor Roland Posner besonders interessant, denn er leitet an der TU-Berlin die "Arbeitsstelle für Semiotik". Diese Wissenschaft von den Zeichen untersucht alles, was Menschen nutzen, um sich zu verständigen: Sprache und Schrift, Embleme und Symbole, aber auch Gestik, Mimik und Körperhaltung. Und die wiederum spielen bei der Entstehung vieler Redensarten eine wesentliche Rolle.

    Wer früher zum Beispiel jemandem Glück wünschte, legte vier Finger über den stärksten, den Daumen – ein Zeichen für geballte Kraft. Und da dieser auch ein Symbol der Macht war – mal des Guten, als Gottesfinger, mal des Bösen – wurde aus der abergläubischen Geste eine Beschwörungsformel: "Ich drück' dir die Daumen!"

    "Einer der Hauptbezugspunkte sind körperliche Erfahrungen, die wir haben, dass wir in allen Kulturen von dem von uns gut gekannten, weil ja körperlich erfahrenen Bereich des Leibes, des Körpers ständig Verallgemeinerungen aber auch Übertragungen zu anderen nicht-körperlichen Phänomenen machen. Denken Sie nur an die Verwendung des Wortes Kopf oder Haupt."

    Wo das Gehirn sitzt, da walten Verstand und Vernunft – sollten zumindest. Deshalb lässt man sich Nachdenkenswertes "durch den Kopf gehen" oder "verliert" ihn, wenn man sich "Hals über Kopf verliebt" hat. Aber auch Macht und Herrschaft "verkörpern" sich hier: Wenn der "Kopf eines Unternehmens" seinen "Kopf durchsetzen" will, muss mancher Untergebene "Nackenschläge einstecken" – oder er lernt, sich zu "behaupten".

    In redensartlichen Gesten zeigen sich kulturelle Unterschiede und überdauern allgemein-menschliche Erfahrungen:

    "Heute rauft sich kaum ein Mitteleuropäer die Haare, aber im Nahen Osten gibt es Klageweiber, die bei Beerdigungen, teilweise sogar für Geld, sich die Haare ausraufen, damit man die Trauer körperlich mit erfahren kann. Und wenn einer heute in Mitteleuropa sagt: 'Das ist ja zum Haare raufen', dann tut das niemand, aber jeder versteht, so schlimm ist das, dass ich das tun könnte."

    Vor allem aber lässt sich anhand körperbezogener Redensarten ein "zivilisatorischer Wandel" beobachten, wie Roland Posner es nennt. Denn viele Gesten, Bewegungen und Verhaltensweisen sind mit technischen Entwicklungen verbunden.

    Mit den ersten Automobilen wurde – nicht nur redensartlich – die "Wirtschaft angekurbelt". Und zu Zeiten der Telefonerfindung musste "auf Draht sein", wer als fortschrittlich gelten wollte, andernfalls wurde ihm "Dampf gemacht". Doch im Computerzeitalter fällt vielen bei dieser Redensart bald nur noch eine heiße Dusche ein, und dann haben sie die Bedeutung gar nicht mehr "auf dem Schirm".

    Bei manchen Redensarten aber kann selbst der historisch und kulturwissenschaftlich gewiefte Sprachforscher schon mal auf den Holzweg geraten, weil die vermeintlich klare Phrase im Laufe der Zeit wirklich eine heftige "Wendung" erfahren hat:

    "Das ist typisch für Redensarten: Weil wir ihren Ursprung nicht verstehen, trotzdem aber die Pointe bis heute verstehen, möchten wir gerne, dass da doch ein Sinn ist, und deshalb machen wir das, das nennt sich dann Volksetymologien."

    Die "Schäfchen", die der Kluge beizeiten "ins Trockene" bringt, waren eigentlich die niederdeutschen "Schepken – Schiffchen" – die beim Sturm besser nicht auf dem Wasser bleiben sollten.

    "Glück und Segen" riefen sich jüdische Händler im Mittelalter zu, wenn sie sich begegneten: "hazloche und broche" – was für die Umstehenden wie "Hals- und Beinbruch" klang und angesichts der holprigen Straßen irgendwie auch einen Sinn ergab.

    Und der "Kater" nach durchzechter Nacht, war eigentlich der griechische Katarrh, eine Schleimhautentzündung, die sich tatsächlich ähnlich unangenehm anfühlt.

    In viele Redensarten spiegeln sich aber auch ganz konkrete Ereignisse, Erfahrungen und Einstellungen vergangener Zeiten wider.

    "Jemandem das Wasser reichen können." Hier geht es um mittelalterliche Tischsitten, als die vornehmen Herrschaften zwar mit den Fingern aßen, sie sich aber nicht schmutzig machen wollten.

    Oder: "Den Laufpass bekommen": Das war ursprünglich durchaus eine feine Sache denn er bescheinigte einem Soldaten im 19. Jahrhundert, dass er regulär entlassen und nicht desertiert war.

    Redensarten können also als mündliche Quellen der Sozial- und Alltagsgeschichte dienen.

    "Gleichwohl muss bedacht werden, dass die Realitäten, die dadurch abgebildet werden, doch so deutungsbedürftig sind, dass wir es nicht eins zu eins nehmen können," sagt Michaela Hohkamp, Professorin für Neuere Geschichte an der FU Berlin. Aber dann – "quellenkritisch" betrachtet – erzählen die Redensarten doch komprimierte Geschichten und Geschichte, etwa über "alles, was Recht ist" beziehungsweise war. Zum Beispiel: "ein Schlitzohr sein".

    Ein Schlitzohr, also ein Betrüger, war früher einer, der tatsächlich einen Riss im Ohr hatte – ein Bäcker beispielsweise, dessen Brötchen nicht die vorgeschriebene Mindestgröße hatten. Unehrliche Handwerker wurden aus ihrer Zunft ausgeschlossen, und zum Zeichen riss man ihnen den typischen Ohrring aus.

    Die Rechtsprechung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war ziemlich grausam, es wurden vor allem Körperstrafen verhängt: Misshandlungen, Verstümmelungen, die einerseits der Abschreckung dienen, andererseits Verbrecher kennzeichnen sollten. Denn es ging weniger um "Schuld" als um "Ehre":

    "Das ist auch der Grund, warum die Strafen sich so sehr an diesen Körper gerichtet haben, Ehre ist eigentlich das symbolische Kapital für die Gesellschaft schlechthin, und das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Wenn gleich noch mal unterschieden werden sollte zwischen männlicher Ehre und weiblicher Ehre, die weibliche ist sehr stark konnotiert mit sexuellem Fehlverhalten, während es bei Männern eigentlich für die frühe Neuzeit speziell eigentlich eher verbunden ist mit Versagen im Haushalt und in der Beziehung zur Ehefrau zum Beispiel oder auch zu den Nachbarn."

    Wenn zum Beispiel ein Mann sich von seiner Frau schlagen ließ und sich nicht gebührlich wehrte und klagte, wurde ihm zur Strafe "aufs Dach gestiegen" – und das heißt, das Dach wurde wirklich abgedeckt, wie vielfach urkundlich belegt ist.

    "Und in dem Zusammenhang ist es interessant, dass dieses Dachabdecken dann oftmals von Frauen vollzogen worden ist und gar nicht von Männern. Und das zeigt uns auch, wie die Beziehungen zwischen Frauen und Männern in der frühen Neuzeit strukturiert waren: Nicht so, dass nur die Männer wirklich öffentlich agiert haben, sondern auch die Frauen, und in diesem Kontext hier ist das auch bildlich überliefert, zum Beispiel."

    Redensarten zum Recht zeigen außerdem, dass viele Strafen "öffentliche" waren:

    Da wurden Sünder "an den Pranger gestellt" – mitten auf dem Marktplatz mit einem Halseisen angekettet; Verurteilten "hängte man etwas an", einen "Klotz ans Bein" oder ein Schild um den Hals; oder sie wurden "zur Sau gemacht", indem sie eine Schweinemaske tragen mussten.

    "Das Zeigen und das Schauen, das gehört zu der Strafpraxis auch dazu in der frühen Neuzeit," erklärt die Historikerin Michaela Hohkamp. Nicht der Täter stand im Mittelpunkt des Rechts, sondern die Gemeinschaft – die sollte intakt bleiben:

    "Und das heißt, dass diejenigen, die bestraft worden sind, dann auch wieder aufgenommen worden sind. Und um das zu gewährleisten, war es auch wichtig, die Strafe als Ritual zu inszenieren, und ganz öffentlich zu zeigen, das ist gebüßt und jetzt kann es wieder angehen."

    Was bedeutete es dann aber, wenn jemand körperlich "gezeichnet" war durch eine Strafe!? Markierungen oder Verstümmelungen konnten ja nicht wieder rückgängig gemacht werden:

    "Das heißt aber nicht, dass die Reintegration unmöglich gewesen, sondern das zeigt nur, es ist etwas passiert. Das ist das eine. Und das Zweite ist, dass Strafen sehr unterschiedlich nicht nur nach Vergehen, verhängt worden sind, sondern eben auch nach Stand und nach Geschlecht. Und dass die härtesten Strafen verhängt worden sind gegen Menschen, die ohnehin schon nicht mehr so ganz dazugehört haben."

    Eine Ständegesellschaft mit klaren, festen Grenzen – und jeder Stand, jede Gruppe hat dann auch noch jeweils eigene Redensarten.

    Bürgerliche Frauen im 19. Jahrhundert tratschten nicht, sie "plauderten aus dem Nähkästchen", wo sich zwischen Nadel, Faden und Häkelgarn zum Beispiel heimliche Liebesbriefe verstecken ließen, wie man bei Fontanes Effi Briest lesen kann.

    "Mit allen Wassern gewaschen" sein konnten eigentlich nur Seeleute, die auf den sieben Weltmeeren gereist waren. Und "Leg' mal einen Zahn zu", sagte man nicht zu seinem Zahnarzt, sondern zur Küchenmagd. Denn früher hing der Kochtopf an einem Gestell mit Zacken – oder "Zähnen" über der Feuerstelle. Und wenn man ihn einen Zahn niedriger befestigte, wurde das Essen schneller heiß.

    "Es gibt die generalistischen Redeweisen, jeder kennt, entweder auf einem bestimmten bildungsbürgerlichen Niveau oder eben im nationalen Sprachraum, und dann gibt es die abgrenzenden Redensarten – wer die kennt, gehört dazu, und wer die nicht kennt, gehört nicht dazu."

    Professor Wolfgang Kaschuba leitet das Institut für Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität, und als Vertreter dieser modernen Volkskunde ist er weniger interessiert an den Sitten und Gebräuchen, die in Redensarten konserviert sind. Für ihn erzählen sie vor allem etwas über "soziale Landschaften", wie er es nennt.

    "Das geht dann eben nicht nur um das Wissen, sondern auch um die Ästhetik, einen Stil einer Redensart. Also wenn jemand sich im Begriff verwählt, nur Halbbildung, das ist ja für Bildungsbürger was ganz Grauenhaftes so, ja. Es ist aber genauso peinlich für Jugendliche, wenn Erwachsene versuchen, ihren Slang zu imitieren, und knapp daneben langen. Und das sind heute solche Grenzlinien, die ganz fein durch die Gesellschaft gezogen sind, die nicht mehr so grob sind wie die frühere ständische Gesellschaft oder die Bildungsschichten des Kaiserreichs, aber da spielen gerade eben diese Redensarten eine ganz wichtige Rolle. Warum? Weil es immer Anknüpfungspunkte sind."

    Nun hat man allerdings heute den Eindruck, dass Redensarten nach und nach verloren gehen. Befragungen haben gezeigt: Viele Jugendliche wissen nicht nur nicht, woher Redewendungen kommen, oft verstehen sie auch ihren Sinn gar nicht mehr.

    "Wir haben einen auf dieser Ebene epochalen Umbruch. Weil dieses geteilte Wissen, das gemeinsame Wissen entschieden zurückgeht," aber es entstehen auch immer neue Redensarten, meint der Volkskundler Wolfgang Kaschuba:

    "Jugendgruppen unterscheiden sich zum Teil eben auch nach Redensarten, und eine verbreitete große Community, in der Redensarten eine wichtige Rolle spielen, ist die Computersprache, und wir haben heute eben auch einen Ausschluss auf der Ebene der Generationen. Ältere sind zum Beispiel bei dieser Computersprache vielfach ausgeschlossen."

    Zum Beispiel und hier stockt der Redefluss. Sagen Jugendliche heute wirklich, wie Sprachforscher behaupten: "Besorg' dir mal ein Upgrade für dein Hirn" zu einem, der früher "nicht alle Tassen im Schrank" hatte?

    Die Grenzen der sprachlichen "sozialen Landschaften" sind da, aber sie verändern sich fortwährend, und dann wird es eben schnell peinlich.

    Eine Grenzziehung über Redensarten lässt sich auch international beobachten – und dabei gingen die Völker – früher zumindest – nicht unbedingt nett miteinander um:

    "Das kommt mir spanisch vor" heißt heute einfach "Kommt mir seltsam vor". Eine Redensart aus dem 16. Jahrhundert, als der Habsburger Karl V. die deutsche Kaiserkrone übernahm. Der war ein Spanier, der ganz neue höfische Sitten mitbrachte, vor allem aber seinen strengen katholischen Glauben und die Inquisition. Und über all dieses Spanische sagte der Volksmund "Das ist mir fremd" und meinte auch: "Das will ich nicht"!

    "Redensarten sind ja immer Codes, und die tendieren natürlich zum Stereotyp, also zu Verkürzung und Vereinfachung, und in all unsere Stereotypen spielt beides eine Rolle: wer wir sind, aber auch wer die sind, die jetzt gerade nicht mitreden. Und gerade die negativen Eigenschaften werden eben sehr gerne anderen Völkern zugeschrieben, damit entlastet man sich natürlich selber auch."

    Das Gesicht verlieren, mit dem Kopf durch die Wand gehen, über seinen Schatten springen, eine ruhige Kugel schieben, ins Abseits geraten, bankrott sein, einen Sündenbock suchen, Torschlusspanik haben, grünes Licht geben.

    Redensarten sind Teil der mündlichen, der Alltagskultur. Aber welche wirklich bleiben, welche neu dazu kommen, lässt sich ganz schwer voraussagen.

    "Die brauchen so etwas wie ein zündendes Bild," meint der Sprach- und Gestenforscher Professor Roland Posner von der TU-Berlin.

    "Es muss etwas sein, was alle Leute am eigenen Leib erfahren haben, es geht in erster Linie um Stärke, um Anschaulichkeit, um Erfahrung zusammen mit Emotionsbeteiligung, und es muss in irgendeiner Weise ausgefallen sein."

    Und für Professor Wolfgang Kaschuba, Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der HU-Berlin, steht fest:

    "Es braucht ein Thema, das leicht kommunizierbar ist und von Interesse ist, und das funktioniert, natürlich nicht mit Geheimwissen, sondern das muss was ganz öffentlich Zugängliches sein: Wetter, Fußball, Essen, solche Dinge, und das andere ist, dass zwei oder drei Leute stehen bleiben um dieses Thema, um diese Floskel herum und damit was anfangen können, dass es so etwas wie Common Sense gibt. Redensarten müssen extrem anschlussfähig sein."

    Und das ist auch schon wieder eine Redensart: "Anschlussfähig sein", da weiß heute jeder, was gemeint ist. Aber vor 150 Jahren, bevor Telefonleitungen und Kabelnetze unseren Alltag und damit die Sprache durchzogen, wäre uns das "spanisch" vorgekommen – den Engländern übrigens "griechisch". Weiß der Teufel, wieso ...