Montag, 25. März 2024

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Die Kirchen im Zweiten Weltkrieg
Glöckengeläut und Gebete für den Sieg

Bischöfe beider Konfessionen forderten die Gläubigen zu treuer Pflichterfüllung an Front und "Heimatfront" auf. Sie beschworen in ihren Predigten göttlichen Beistand für den deutschen Sieg. Bis heute wird eher an den Widerstand erinnert als an die Unterstützung der Propaganda.

Von Michael Hollenbach | 09.09.2019
Beim Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 01.09.1939 reißen Soldaten der deutschen Wehrmacht einen rot-weißen Schlagbaum an der deutsch-polnischen Grenze nieder.
Die deutschen Kirchen setzten der Kriegspolitik Hitlers nichts entgegen (picture alliance)
Schon einen Tag nach dem Angriff auf Polen veröffentlichte der evangelische "Geistliche Vertrauensrat", das Leitungsgremium der Deutschen Evangelischen Kirche, einen Aufruf zum Kriegsbeginn:
"Seit dem gestrigen Tage steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf. Die deutsche evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Wort Gottes gereicht: die Zuversicht des Glaubens, dass unser Volk und jeder einzelne in Gottes Hand steht, und die Kraft des Gebetes, die uns in guten und bösen Tagen stark macht."
Der Theologe, NS-Widerstandskämpfer und Pazifist Dietrich Bonhoeffer (undatierte Aufnahme)
Widerständige Christen wie Dietrich Bonhoeffer konnten von ihren Kirchen keine Unterstützung erwarten (dpa / Archiv)
Die evangelische und die katholische Kirche standen hinter Hitlers Angriffskrieg. Nur wenige Christen - wie Dietrich Bonhoeffer – äußerten öffentlich eine kritische bis ablehnende Position zum nationalsozialistischen Militarismus. Von dem Geist der Bergpredigt – selig sind die Friedfertigen - war in beiden großen Kirchen wenig zu spüren.
Glocken für Führer und Vaterland
Der Krieg wurde nicht bejubelt, aber als nationale Pflicht und Zeit der Bewährung gepriesen. Als die deutschen Truppen wenige Wochen nach dem Überfall auf Polen siegreich in Warschau einmarschierten, läuteten in Deutschland die Glocken der evangelischen wie katholischen Gotteshäusern. Die Leitungen der Kirchen erteilten der Kriegspolitik der Nationalsozialisten ihren Segen. Selbst als viele Glocken aus den Türmen geholt wurden, um sie als Kriegsgerät einzuschmelzen, gab es in manchen Gotteshäusern "Glockenopferfeiern".
Der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche erklärte im Sommer 1940:
"Wir wissen, dass es unsere Gemeinden mit Stolz erfüllt, dieses Opfer für den Führer und das Vaterland bringen zu dürfen. Nur wer bereit ist, sein Leben einzusetzen, vermag das Leben zu gewinnen, und nur das Volk, dessen Söhne auch vor dem Opfer des Lebens nicht zurückschrecken, wird von Gott großer Aufgaben gewürdigt. In solchem Geiste wollen wir Führer und Vaterland die Glocken schenken."
"Ihm war der Apparat wichtiger als das Zeugnis"
Eine der zentralen Persönlichkeiten innerhalb der evangelischen Kirche und Mitglied des Geistlichen Vertrauensrates war der hannoversche Landesbischof August Marahrens. Ein typischer lutherischer Kirchenführer, der nicht den Deutschen Christen angehörte, aber in Treue zum Führer und dessen Krieg stand:
"Er war ein national gefärbter Mann, der den Unterschied zwischen der Demokratie und der Diktatur überhaupt nicht im theologischen Bewusstsein hatte", sagt Joachim Perels, emeritierter Professor für Politikwissenschaften und Sohn des evangelischen Widerstandskämpfers Friedrich Justus Perels. Gerade Landesbischof Marahrens war bereit, auch und gerade in Kriegszeiten dem Nationalsozialismus und Hitler weit entgegenzukommen, um für seine Kirche vermeintliche Freiräume zu bewahren.
"Ihm war der Apparat wichtiger als das Zeugnis", sagt Perels.
Die Sowjetunion als "Todfeind" der Christenheit
Vor allem in der Außen- und Kriegspolitik gab es einen breiten Konsens zwischen den Kirchen und der nationalsozialistischen Führung. Das zeigte sich an dem Freudentaumel der Kirchenleitungen nach dem Sieg über Polen und den angeblichen Erzfeind Frankreich; das zeigte sich später an der Unterstützung des Überfalls auf Russland.
Brände und Soldaten der deutschen Wehrmacht kurz nach dem Grenzübertritt auf dem Vormarsch Richtung Osten.
Gerade der Angriff auf die Sowjetunion fand in den Kirchen Zuspruch (dpa- Zentralbild)
Der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger sah in der Sowjetunion damals "einen Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christenhass fast zu Tieren entartet seien. Und warum?", fragte sich der katholische Geistliche: Weil man die Ordnung des menschlichen Lebens dort nicht auf Christus, sondern auf Judas aufgebaut habe.
Und das oberste evangelische Führungsgremium telegrafierte wenige Tage nach Beginn des "Unternehmens Barbarossa", also des Russland-Feldzuges:
"Der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche versichert Ihnen, mein Führer, in diesen hinreißend bewegten Stunden aufs Neue die unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft der gesamten evangelischen Christenheit des Reiches. Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengange gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf."
Geburtstagsgrüße vom Bischof
In einem der Wochenbriefe, die Bischof August Marahrens regelmäßig an die Pfarrerschaft verschickte, forderte er am 20. Juli 1943 – ein halbes Jahr nach der Niederlage von Stalingrad - die Pastoren auf, Gott zu bitten, dass er "die rücksichtslose Entschlossenheit" schenke, den Krieg mit unbeirrbarer Hingabe frei von aller Sentimentalität zu führen. Das katholische Pendant zu August Marahrens war Kardinal Adolf Bertram:
"Bertram war vor allem: Amt; er war wenig Privatperson. Er war Kardinal, Fürstbischof und Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz", erläutert der Münsteraner Historiker Sascha Hinkel.
Der 1859 geborene Bertram war während des Nationalsozialismus die dominierende Persönlichkeit im deutschen Episkopat, zumal die Bischofskonferenz nur einmal im Jahr zu einer dreitägigen Sitzung zusammenkam und es kein gesondertes Sekretariat für die Arbeit des Leitungsgremiums gab. Bertram, der seit 1919 der Bischofskonferenz vorstand, entschied zwischen den Tagungen oft im Alleingang über die Politik der katholischen Kirche in Deutschland.
Adolf Kardinal Bertram, Fürsterzbischof von Breslau, gestorben 1945
Adolf Kardinal Bertram war ein mächtiger Unterstützer des NS-Regimes (imago stock&people)
Der Breslauer Kardinal suchte ebenso wie Marahrens den Kontakt zu Hitler – zum Beispiel indem er ihm jährlich untertänigst mit einem Telegramm seine Glückwünsche zum Geburtstag übermittelte. Selbst als sich der Vatikan - nach zahlreichen Verstößen gegen das Konkordat - 1937 mit einer Enzyklika gegen die Kirchenfeindschaft und die Rassenideologie der Nazis positionierte, verzichtete Kardinal Bertram auf öffentliche Proteste und blieb - so Sascha Hinkel - bei seiner stillen Eingabepolitik:
"Bis zum bitteren Ende. Er hat sich auf diesen Weg festgelegt. Er hat da so ein Modell im Hinterkopf: Die beiden Autoritäten, die staatliche und die kirchliche Autorität, müssen in Harmonie miteinander zurecht kommen."
Die Kirchen Teil von Hitlers Kriegsmaschinerie
Wer den Krieg als Katholik verweigerte und damit seine Hinrichtung riskierte, der stieß innerhalb seiner Kirche auf Unverständnis. Kardinal Bertrams Credo war vielmehr: Gerade in Kriegszeiten muss auch der katholische Christ der Obrigkeit gehorchen. Ein Grund für diese Haltung war das Trauma des Kulturkampfes, als Bismarck in den 1870er-Jahren die katholische Kirche entmachten und an den Rand der Gesellschaft drängen wollte. De facto wurden die Kirchen zu einem Rädchen in Hitlers Kriegsmaschinerie.