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"Die Kirchenkrise ist im Vatikan angekommen"

Der Papst hat den Vatikan nicht im Griff, sagt der Journalist Hanspeter Oschwald. Im Kirchenstaat würden schon seit längerem eine Vielzahl unterschiedlicher Machtgruppen um die Vorherrschaft ringen. Um ihre Gegner zu diskreditieren, lancierten einzelne Kleriker - wie bei der "Vatileaks"-Affäre - immer mal wieder geheime Informationen an die Presse.

Hanspeter Oschwald im Gespräch mit Peter Kapern | 01.06.2012
    Peter Kapern: Auch der Vatikan ist in der digitalen Welt angekommen. Vor ein paar Jahren noch, da wäre die Affäre, die den Zwergstaat gerade erschüttert, wohl auf den Namen "Vatigate" getauft worden. Im Zeitalter der Enthüllungsplattformen firmiert sie jetzt aber als "Vatileaks". Der Kammerdiener des Papstes sitzt im Knast, in seiner Wohnung sind vertrauliche Papiere gefunden worden, die er, so der Vorwurf, gestohlen haben soll. Ein jüngst erschienenes Buch mit dem Titel "Sua Santitá" ist gespickt mit geheimen Dokumenten, der Chef der Vatikanbank Ettore Gotti Tedeschi wird unter fadenscheinigen Gründen gefeuert. Kurz und knapp: Im Vatikan ist, na ja, die Hölle los.

    Bei uns am Telefon ist nun Hanspeter Oschwald, langjähriger Rom-Korrespondent und Autor des Buchs "Im Namen des Heiligen Vaters". Guten Morgen!

    Hanspeter Oschwald: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Oschwald, bislang ist ja nur die Oberfläche von "Vatileaks", dieser Affäre um Indiskretionen und Durchstechereien, erkennbar. Was spielt sich Ihrer Meinung nach hinter den Mauern des Vatikan tatsächlich ab?

    Oschwald: Also ich glaube schon, dass das Aktuelle, was jetzt bekannt geworden ist, ja letzten Endes nur die Fortsetzung vieler Indiskretionen darstellt, die es seit Jahren gibt. Nuzzi hat ja auch schon ein Buch über die vatikanischen Korruptionen, Geldaffären, die Vatikanbank veröffentlicht – immerhin 2009. Das heißt also, da ist schon etliches Material herausgekommen.

    Es ist offensichtlich ein Machtkampf, der wahrscheinlich schon zur Zeit von Papst Johannes Paul II. begonnen hat, und manch einer, der damals beim Wechsel des Papstes auf den Deutschen Benedikt XVI. zu kurz gekommen ist, der rächt sich, würde man weltlich sagen, oder versucht, sich in Position zu bringen.

    Für mich ist eigentlich ein Motiv ganz entscheidend, und das ist, sich in Stellung zu bringen für den nächsten Papst. Im Grunde gibt es bereits Kämpfe, Positionierungen für das Konklave, das in einigen Jahren mit Sicherheit kommen wird, und da muss man sich doch rechtzeitig in Position bringen und vor allem es gibt wahnsinnig viele Enttäuschte, die eben nicht zum Vertrauenskreis von Bertone, dem Kardinal Staatssekretär, und von Ratzinger gehören. Ich nehme an, dass es darum geht, sich in Position bringen und einige Missstände den Journalisten – Nuzzi ist ja nicht der einzige – zu stecken, damit rechtzeitig bekannt wird, wie geht es eigentlich zu, und das muss man sehen.

    Kapern: Herr Oschwald, Sie sagen also, im Vordergrund steht eine Positionierung für die Zeit des nächsten Konklave, bei dem ein neuer Papst gewählt werden muss. Können Sie uns erläutern, welche Gruppierungen sich da Ihrer Meinung nach wie positionieren?

    Oschwald: Also es gibt eine ganze Menge von Gruppen, die in der Öffentlichkeit relativ wenig bekannt sind. Zunächst sind es mal die klassischen Machtgruppen. Das sind Kardinäle, die sich zu Abendessen treffen, zu informellen Kreisen. Da gibt es den Kreis um Bertone, das ist eine ganze Seilschaft. Es gibt einen Kreis um seinen Vorgänger, den Angelo Sodano, das sind viele Enttäuschte, die ihre Karriere nicht so gemacht haben, wie sie sich es dachten, als eben Bertone Kardinal Staatssekretär wurde. Und es gibt Machtgruppen, beispielsweise das Opus Dei, das sehr viel Einfluss hat, weil es vor allem viel Geld hat und offensichtlich auch schon die Vatikanbank, um die es immer wieder geht, gerettet hat. Dann gibt es die Communione e Liberatione, das ist "Gemeinschaft und Befreiung", die in Italien sehr mächtig sind.

    Man darf nicht vergessen: Immerhin vier Schwestern dieser Gemeinschaft sind diejenigen, die den Papsthaushalt führen. Dann gibt es die Fokularen, die Legionäre Christi. Die sind inzwischen aufgrund von Sexualskandalen in den Hintergrund getreten, aber ihre Seilschaften haben die natürlich noch immer. Das spielt sich vor allem auf Arbeitsebenen ab, wo eben Dokumente vorbereitet werden, wo Gruppen gebildet werden, und in der Regel gehört dazu auch, sozusagen als Anführer oder Referent der Seilschaft, gehört in der Regel auch ein Kardinal.

    Kapern: Geht es denn diesen Gruppen, die Sie gerade genannt haben, nur darum, Macht und Einfluss, Posten und Pöstchen zu gewinnen, oder stehen dahinter auch kirchenpolitische Positionen, die sich da gewissermaßen jetzt gerade den Schlagabtausch liefern?

    Oschwald: Das ist eigentlich so der Hintergrund überhaupt, denn diese Gruppen sind alle sehr autoritätsgläubig, sehr gehorsam gegenüber dem Papst, in ihrem Sinn wohl verstanden richtig, aber es sind eben alles Gruppen, die sehr konservativ bis reaktionär sind. Und die Reformbewegungen, was alles relativ ist im Vatikan, aber immerhin es gibt Reformkräfte, die einfach sehen, so kann es nicht weitergehen auch mit der Kirche insgesamt – die Kirchenkrise ist im Vatikan angekommen -, die wollen natürlich auch ihre Position ausbauen, um eventuell den Kirchenkurs, den römischen Kurs neu zu bestimmen. Das ist auch, wenn man so will, weltlich gesprochen ein ideologischer Machtkampf.

    Kapern: Sie haben das Stichwort Kirchenkrise genannt. Ist das nicht eine europäische Sichtweise? Aus dem Vatikan ist immer wieder zu hören, dass die katholische Kirche auf anderen Kontinenten, in Afrika, in Lateinamerika, doch blüht.

    Oschwald: Ja, ja. Immer wenn Forderungen aus Deutschland kommen, heißt es, "ach nehmt euch nicht so ernst, die Welt ist ganz anders, in Deutschland haben wir die Krise", aber wir haben sie in ganz Europa. Aber: Vergessen wird, dass der Musterkonzern Lateinamerika letzten Endes für die katholische Kirche zu einem Teil verloren ist, den man sich früher nicht vorstellen konnte.

    Ein lateinamerikanischer Bischof hat gesagt, Lateinamerika ist nicht mehr katholisch. Früher war das eigentlich selbstverständlich der katholische Kontinent, heute kann man vielleicht noch von 40 Prozent sprechen, weil amerikanische Sekten wahnsinnig aggressiv geworden sind, nachdem gerade Ratzinger und der damalige Papst die Basisgemeinden, die Theologie der Befreiung mit allen Mitteln bekämpft haben. Jetzt haben wir einen sehr konservativen Episkopat in Lateinamerika und weitaus weniger Kirchgänger, weitaus weniger Katholiken.

    Also die Krise soll man sich nicht schönreden, dort ist es genauso schlimm, in Afrika ähnlich, auch wenn dort relativ viele Priester da sind. Aber Priester in Afrika – so hat mir mal der Leiter der Afrika-Abteilung im Vatikan vor Jahren schon gesagt -, wissen Sie, das ist wie bei uns früher: Kinderreiche Familien, wenn sie was werden wollen, wenn sie aus dem Elend kommen wollen, werden sie Pfarrer oder Fußballprofi. Fußballprofi kann nicht jeder.

    Kapern: Ganz kurz noch, Herr Oschwald. Hat Papst Benedikt XVI. eigentlich dazu beigetragen, dass es zu diesen Intrigen jetzt innerhalb des Vatikan kommt?

    Oschwald: Ja insofern, als er gut meinend eben nicht regiert hat. Das ist der Hauptvorwurf gegen ihn: er hat den Vatikan nicht im Griff. Und deshalb können sich all diese Bewegungen, überhaupt diese Gruppen bilden. Früher war es so, der Kardinal Staatssekretär war das Alter Ego, also die Ergänzung des Papstes, was der Papst nicht konnte, konnte der und umgekehrt. Das ist heute nicht mehr der Fall. Der Papst ist ein sehr liebenswürdiger, theologisch hoch gebildeter Kirchenführer und sein Kardinal Staatssekretär ist eben auch kein Mann der Machtausübung. Und wo dieses Vakuum an der Spitze besteht, bilden sich, ziehen sich eben Kräfte herein, die dort nicht hingehören.

    Kapern: Hanspeter Oschwald, der Vatikan-Experte, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Oschwald, ich danke Ihnen vielmals für Ihre Erläuterungen und Einschätzungen. Schönen Tag und auf Wiederhören.

    Oschwald: Bitte sehr. Danke!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.