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Die Klischees der Managerwelt

War das Schweigen des Chefs im Lift nun vertraulich oder kalt? Wer bleibt als längsten im Büro? Die Managerwelt ist leicht zu karikieren. Martin Suter hat versucht die Eitelkeit, Missgunst und den Opportunismus der Chefetagen literarisch bloß zu stellen.

Von Sabine Peters | 01.04.2005
    Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen. Geschichten aus dem Bereich der Arbeit, einem Bereich, der einen großen Teil des Lebens ausmacht, sind selten geworden. Mit einer Ausnahme: Seit einigen Jahren gibt es eine zunehmende Zahl von Büchern, die aus der Innenwelt des Managements, der business class berichten. Bücher, die die Herren mit ihren dekorativen Krawatten und ihren schiefergrauen Dreiteilern - Damen finden sich auf höchster Ebene nicht häufig - in ihren ganzen menschlichen Schwächen und Peinlichkeiten darstellen. Martin Suter hat jetzt erneut einen Erzählungsband vorgelegt, der seine Kenntnis als Insider zeigt. Wer mögen seine Leser sein? Der kleine Angestellte, der bei Königen, Päpsten und Fürsten gern durchs Schlüsselloch schaut und dann eben auch wissen möchte, wie die mittleren und Führungskader, wie die top ten der Wirtschaft leben? Liest der Normalmensch gern über die ökonomisch mächtigen Herrschaften, weil er deren Macht nicht etwa schmäht, sondern bewundert? Oder ist es die Managerkaste selbst, die sich von Suter amüsiert gespiegelt sehen mag, weil sie, ganz mit sich im Reinen, auch ein bisschen Kabarett verträgt?

    Das neue Buch, "Huber spannt aus" schildert detailgenau zahlreiche Elemente, die den Alltag der Manager bestimmen. A lauert darauf, ob er von seinem Vorgesetzten protegiert wird, er überschlägt sich mit Deutungsversuchen, ob das Schweigen des Chefs im Lift vertraulich oder kalt ist. Bs Hobbies sind Arbeiten, Joggen und die Biografien großer Männer. C ist gar nicht der gesichtslose kalte Typ, für den man ihn halten könnte; das zeigt schon die fetzige Melodie, mit der sein Handy klingelt. D achtet darauf, auf der Weihnachtsfeier nicht im falschen Grüppchen zu stehen. E's Schreibtischoberfläche ist zwar akribisch aufgeräumt, aber in einer abschließbaren Schublade wuchert ein Chaos aus benutzten Taschentüchern, alten Spesenbelegen, Tennissocken, angebissener Pizza und dergleichen. F beteiligt sich am Lichterwettbewerb der oberen Kader, nachdem derjenige der größte ist, dessen Bürolicht abends zuletzt ausgeht. G hält einen Vortrag auf der falschen Sitzung, was insofern völlig egal ist, als da wie dort nur Worthülsen ausgesprochen werden. Und so weiter.

    Suters stories sind zuerst als Kolumnen in der Zürcher Weltwoche erschienen, und man fragt sich, ob sie zusätzlich als Buch veröffentlicht werden müssen. Das hier geschilderte Milieu ist sehr leicht karikierbar, eine Männerwelt, in der sich Platzhirsche, Neidhammel und Neurotiker tummeln, in der Selbsttäuschung, Eitelkeit, Kriecherei, Schadenfreude, Missgunst und Opportunismus herrschen. So völlig anders als in der Arbeitswelt des kleinen und mittleren Angestellten geht es also hier nicht zu, abgesehen davon, dass die immense Machtfülle in den Chefetagen ihre eigenen bizarren Ausformungen produziert. Zugegeben, Suter gelingt es, exemplarische Floskeln und Dialoge der business-class wiederzugeben, eine Sprache vorzuführen, die wie ein Panzer funktioniert.

    Der Erkenntniswert ist allerdings begrenzt. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen - aber wer das Buch gelesen hat, wird immer noch nicht verstehen, womit die Manager tatsächlich ihre überlangen Arbeitstage füllen. Mag sein, der Autor hat genau das beabsichtigt. Die stories haben aber noch weitere Makel. Sie sind äußerst durchschaubar, ihre Pointen sind oft nach wenigen Sätzen absehbar. Gepflegte Unterhaltung, der letztlich der Biss fehlt. Woran liegt das? Zum einen daran, dass die Manager, deren Handeln ja tatsächlich weit reichende ökonomische Folgen für Massen von Leuten hat, in eben dieser Funktion nicht angegriffen werden; Suter "entlarvt" sie lediglich auf der privaten Ebene.

    Und da sind sie, o Wunder, ebensolche Würstchen wie jedermann. Dass den stories der Biss fehlt, hat einen weiteren Grund. Es gibt in diesen Texten kein Außerhalb, kein Gegenüber, das heißt es gibt keine Brechung. Untereinander, als Kollegen, Eheleute mag man sich hassen, benutzen, was auch immer - aber der Blick von außen fehlt, oder er wird einmal mehr aus der Perspektive des gelangweilten Managers wiedergegeben.

    Das hat zur Folge, dass Suters stories schließlich selbst wie Panzer wirken. Elegantes schickes Design, und darunter? Gähnende Leere. Vielleicht ist das tatsächlich so in der faktischen Welt der business-class. Aber hier geht es um Fiktion, und der Unterhaltungswert dieser Fiktion ist äußerst begrenzt. Wenn man will, kann man grinsen über all die flachen peinlichen Figuren, aber mehr auch nicht. Gelingende Satiren lassen immer mehrere Saiten anklingen, sie verflechten beispielsweise das Spöttische mit dem Melancholischen, kritische Aufhellung mit finsterer Destruktion. Suters Figuren dagegen sind aus einem Guss. Haltungen und Gefühle wie Freundschaft, Träumerei, Melancholie, Sehnsucht, Widerspruch, Eigensinn und dergleichen sind ihnen fremd. Sie sind keine Subjekte. Insofern kommen sie einem nicht nahe, sie sollen einem wohl auch nicht nahe kommen. Das ist nicht das Ziel von small talk, nicht das Ziel von Herrenplaudereien.

    Martin Suter: Huber spannt aus und andere Geschichten aus der Business Class
    Diogenes Verlag
    240 Seiten, 18,90 €