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"Die können die zehn Euro behalten"

Das im April eingeführte Bildungspaket läuft nur schleppend an, ausgerechnet am Schulanfang, wo Zuschüsse besonders nötig wären. Komplizierte Anträge, endloser Papierkrieg und langwierige Behördengänge schrecken mögliche Empfänger ab.

Von Kai Rüsberg | 17.08.2011
    Das nach langem politischen Kampf im April endlich eingeführte Bildungspaket bekommt jetzt zum Schulanfang besondere Bedeutung. Nach dem schleppenden Start nehmen mittlerweile mehr Menschen die Zusatzleistungen in Anspruch. Das Bildungspaket bietet für die Kinder von Hartz-IV- und Sozialhilfe-Empfängern Zuschüsse für Klassenfahrten, Nachhilfe, Mittagessen oder Sport- und Musikangebote.

    Eigentlich soll das Bildungspaket eine Hilfe für Kinder von Hartz-IV-Empfängern sein. Bildung soll damit für alle erschwinglich bleiben. Hilfeempfängerin Saha Somajiah hat sieben Kinder. Sie könnte jede Hilfe bei der Erziehung und Ausbildung gut gebrauchen. Doch nun hat sie aufgegeben.

    "Bildungspaket überhaupt nicht mehr. Sehr kompliziert. Nur mit Hin und Her gegangen, das würde ich nicht mehr machen. Also die können die zehn Euro behalten."

    Das Geld hatte die 25-jährige Mutter bereits vor Ostern beantragt, um den Fußballverein für ihre Söhne bezahlen zu können. Außerdem braucht sie Geld um die Mittagsbetreuung, Klassenfahrten und Schulbücher zu bezahlen. Doch bei sieben Kindern kam ständig wieder eine neue Aufforderung, schriftliche Belege einzuholen und abzugeben.

    "Die haben immer so viele, jeden zweiten Tag, Briefe geschickt: Das benötigen wir und das benötigen wir. Ich muss zum Verein gehen, hin und her. Mein Mann ist krank. Er hat einen Schaden am Rücken, und da muss ich das alles selber machen."

    Innerhalb von gut zwei Wochen sollte sie laut einem Schreiben der Jobcenter-Behörde Belege einholen und abliefern. Mache sie dies nicht, wurde sie unmissverständlich davor gewarnt, wörtlich, "können die Geldleistungen ganz versagt werden." und weiter: "Dies bedeutet, dass Sie (...) keine Leistungen mehr erhalten." Sogar den Krankenversicherungsschutz könne sie verlieren.

    Die Geschäftsführerin der Bochumer Behörde, Martina Fischer, kennt diesen Einzelfall nicht, verneint aber generell, dass die Behörde beim Bildungspaket Fristen setze.

    "Es gibt keine Fristen, innerhalb derer man etwas einreichen muss. Wir können natürlich Anträge nur dann bearbeiten, wenn sie vollständig sind. Aber das ist nichts Ungewöhnliches."

    Tatsächlich gibt es ähnliche Fälle aber auch in anderen Jobcentern in ganz Deutschland. Die Bundesagentur für Arbeit hat eine entsprechende Praxis in einem Berliner Jobcenter erst vor wenigen Tagen öffentlich als rechtswidrig bezeichnet.

    Die Frauenberatungsstelle Donum Vitae in Bochum hat sich den Fall der jungen Mutter nun angesehen. Die Vorsitzende Ingrid Borchert:

    "Das ist Bürokratie hoch drei, was wir uns nicht wünschen. Dieses Bildungspaket ist eine gute Sache und sollte eigentlich von den Empfängern als Geschenk empfunden werden und positive Auswirkungen haben, aber durch die ganzen Vorschriften und Formulare, die sie beibringen müssen, wird es eher zur Belastung."

    Die Tierpflegerin Susanne lebt auch in Bochum. Sie ist alleinerziehend mit zwei Kindern, drei und fünf Jahre alt. Die 26-Jährige will anonym bleiben, fürchtet ein Stigma wenn bekannt wird, dass sie Hilfe bezieht - insbesondere für ihre Kinder.

    Als im Kindergarten die Abschlussfahrt anstand, wollte sie nicht wieder zurückstecken. Deswegen überwand sie ihre Scheu und hat das neue Bildungspaket für Hartz-IV-Empfänger beantragt. Und nun stehen neue Kosten an:

    "Der Tornister ist nicht gerade sehr billig. Ich weiß nicht, wie das mit den Schulbüchern ist, da bekomme ich noch Bescheid, inwiefern ich da Eigenleistung zahlen muss. Die Hefte, Stifte, ..."

    Doch auch insgesamt ist das Bildungspaket, trotz intensiver Werbung, noch nicht bei allen angekommen. Weniger als die Hälfte der Berechtigten haben in Bochum bislang Hilfen aus dem Bildungspaket beantragt. Für die Schulausstattung gibt es bundesweit aber oft zusätzliche Hilfe von privaten oder kirchlichen Unterstützervereinen.