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Die Kohle als Eigenheimzulage

Es ist kurz nach Sieben. Lars steht in der Küche und bereitet das Frühstück. Seine Freundin Monika rubbelt sich im Badezimmer die Haare trocken. Die beiden Söhne Martin und Thomas sitzen im Wohnzimmer vor dem Fernseher – "Cartoon Network" gehört fest zu ihrem morgendlichen Programm.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Eine halbe Stunde bleibt noch Zeit. Dann beginnen für Thomas und Martin der Kindergarten und die Schule. Monika muss hinaus zum Flughafen, wo sie bei einer Charterfirma als Sekretärin arbeitet. Für Lars geht es hinab in die Tiefe des Berges – er arbeitet bei Store Norske, der norwegischen Kohlengesellschaft, als Mechaniker unter Tage. Für diesen Job kamen die Nikolajsens vor anderthalb Jahren nach Spitzbergen.

    Das Gehalt war der wichtigste Grund – ohne Frage. Doch hinzu kam: Es war an der Zeit, etwas anderes zu machen, bevor man zu alt dafür wird. Ich bin fast 30 und habe immer in der Gegend gelebt und gearbeitet, in der ich aufgewachsen bin – und da habe mir gesagt: jetzt oder nie. Doch natürlich: das Geld, die Tatsache, dass wir jeden Monat etwas zur Seite legen können, etwa für unser Haus, das war der eigentliche Antrieb. Es gibt viele, die kamen ursprünglich für fünf Jahre nach Spitzbergen und blieben dann ein ganzes Leben.

    Fertig angezogen, frisiert und mit dezentem Make-up gesellt sich Monika zu Lars hinzu, in der kleinen Küche wird es eng. "Ohne mich!", hatte die gut aussehende 25jährige mit dem langen, schwarzen Haar geantwortet, als ihr Lars von der Jobannonce erzählte. Was bitte solle sie an einem kargen, kalten, dunklen Ort wie Spitzbergen, noch dazu mit zwei Söhnen im Alter von drei und fünf?

    Lars bewarb sich dennoch – und er bekam die Stelle. Natürlich, sagt er, wäre ich geblieben, wenn Monika darauf bestanden hätte. Doch sie gab dem Projekt Spitzbergen eine Chance – die Vorteile waren einfach zu verlockend: 40 Prozent mehr Lohn, nur die Hälfte der Steuern, die Miete bezuschusst, der Um- und Rückzug bezahlt. Nach sieben Jahren, so haben die beiden gerechnet, wird der Kredit für ihr Haus 16 Kilometer südlich von Tromsø restlos bezahlt sein. Monika:

    Meine Eltern reagierten zunächst ziemlich negativ – sie dachten an Eisbären und die Kinder, daran, dass Spitzbergen so weit entfernt ist und wir uns nicht so oft sehen würden. Aber jetzt haben sie sich daran gewöhnt und finden es spannend, wie wir hier leben. Inzwischen haben sie uns zwei Mal besucht und herausgefunden, dass das Herkommen gar nicht so kompliziert ist. Nein, mittlerweile erlebe ich nur noch positive Reaktionen.

    Thomas und Martin kommen nur widerwillig an den Frühstückstisch, und auch hier klebt ihr Blick am Bildschirm. Die hellblonden Haare haben die beiden von ihrem Vater. Monika deutet auf den Karton mit der haltbaren Milch. Das ist einer der Nachteile, sagt sie. Im Supermarkt gibt es nicht jeden Tag frische Waren, dafür ist der Weg vom Festland einfach zu weit. Doch daran würde man sich mit der Zeit gewöhnen. Überhaupt sei sie überrascht, wie normal inzwischen alles funktioniere. Im Grunde würde sich ihr Alltag auf Spitzbergen von dem daheim nicht wesentlich unterscheiden:

    Einen Monat nach unserer Ankunft bekamen Martin und Thomas einen Platz im Kindergarten. Und dadurch lernt man natürlich auch sehr schnell andere Leute kennen. Woran man sich gewöhnen muss, ist die ständige Fluktuation – kaum hat man einen etwas engeren Kontakt zu einer Familie geknüpft, bricht die ihre Zelte ab und kehrt aufs Festland zurück. Und dann ist das natürlich eine sehr kleine Gesellschaft hier – jeder kennt jeden, jeder weiß, was der andere gerade macht. Aber für uns war das bislang noch kein Problem. Ansonsten aber kann ich nichts Negatives am hiesigen Leben finden.

    Und Lars fügt hinzu:

    Ich meine, wir haben hier auf Spitzbergen ein größeres Angebot als daheim – sowohl was Geschäfte, aber auch was das Freizeitangebot für die Kinder betrifft. Ohne Frage.

    Draußen ist es bitter kalt, die Heizung im Auto läuft auf Hochtouren, auf der Rückbank sitzen Thomas und Martin – eingepackt in dicke Overalls. Heute morgen ist Lars derjenige, der die Kinder bringt – sein wie auch Monikas Arbeitgeber haben Verständnis, wenn es einmal etwas später wird. Überhaupt, sagt Lars, ziehen die meisten hier auf Spitzbergen an einem Strang. Kaum jemand habe ja Familie – und so stehen Nachbarn und Bekannte oft füreinander ein. Auch der Umgang mit den Lehrern und Pädagogen ist sehr viel persönlicher als daheim. Sie tun alles, meint Lars, um Neuankömmlinge möglichst schnell zu integrieren und an das Inselleben zu gewöhnen:

    Ganz bestimmt, da wird hier viel getan. Man investiert eine Menge Geld, damit Familien mit Kindern sich wohl fühlen – Kindergartenplätze sind ausreichend vorhanden, die Schule ist sehr gut, das ganze Umfeld stimmt. Mir scheint, dass man versucht, das Leben auf Spitzbergen möglichst familienfreundlich zu gestalten – und das ist wunderbar!