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Die Kompromisse der Koalition

Die Beschlüsse der schwarz-gelben Koalition aus der vergangenen Nacht sind auf scharfe Kritik gestoßen. Die Koalition selbst spricht von deutlichen Verbesserungen für Familien, Rentner und Krankenversicherte. Die Details der Vereinbarung hier.

Von Christel Blanke | 05.11.2012
    Im Gesundheitsbereich setzte sich die FDP durch: Zum 1. Januar wird die Praxisgebühr abgeschafft. Auf eine Senkung der Kassenbeiträge, wie sie die Unionsparteien forderten, wird verzichtet. Der liberale Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr spricht im Deutschlandfunk von einem starken Signal. Zum einen werde die gute finanzielle Lage der Krankenkassen zur Entlastung der Patienten genutzt. Zum anderen Bürokratie abgebaut:

    "Denn die Praxisgebühr hat ihren eigentlichen Zweck - die Arztzahlbesuche zu reduzieren - nicht erfüllt, sondern hat zu viel Ärger, zu viel Bürokratie und Belastung geführt."

    Im Gegenzug stimmt die FDP dem vor allem von der CSU geforderten Betreuungsgeld zu. Allerdings wird es nicht zum 1. Januar, sondern erst zum 1. August 2013 eingeführt. Dann gibt es für Kinder im zweiten Lebensjahr, die nicht in einer staatlichen Einrichtung betreut werden, zunächst 100 Euro im Monat, ein Jahr später 150 Euro. Das gilt dann auch für Dreijährige. Das Geld kann in bar ausgezahlt werden oder zur Ausbildung der Kinder angelegt oder zur privaten Altersvorsorge verwendet werden. In den letztgenannten Fällen gäbe es 15 Euro im Monat mehr. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt ist zufrieden:

    "Wir haben jetzt echte Wahlfreiheit geschaffen."

    Die spätere Einführung des Betreuungsgeldes entlastet nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler auch den Haushalt, für den die Koalition sich ein neues Ziel gesetzt hat. Schon 2014 will sie ohne Neuverschuldung auskommen. Dafür sollen unter anderem Einmalzahlungen wie letzte Rate für den Euro-Rettungsschirm, die 2014 fällig wird - das sind 4,3 Milliarden Euro - herausgerechnet werden. Der FDP-Chef im ARD-Morgenmagazin:

    "In Zeiten, in denen wir von anderen Europäern fordern: Bringt Euren Haushalt in Ordnung, egal wie schwierig es ist, ist es doch gut, wenn wir
    als Deutsche mit gutem Beispiel vorangehen, wir haben uns darauf verständigt, dass wir gemeinsam mit einem strukturell ausgeglichenen
    Haushalt schon für 2014 arbeiten wollen, es ist ein Signal der Stabilität."

    Eine Einigung gab es auch im Streit um Zuschüsse für die Renten von Geringverdienern. Deren Altersbezüge sollen aufgestockt werden, damit sie höher ausfallen als die Grundsicherung von 688 Euro. Allerdings gibt es dafür hohe Hürden. Denn einen Zuschuss bekommt nur, wer 40 Jahre Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt und zusätzlich privat vorgesorgt hat. Und besonders viel gibt es auch nicht. Von etwa zehn bis 15 Euro ist die Rede, die es aus Steuermitteln geben soll. Trotzdem, sagt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU, in der ARD, sind Geringverdiener die Sieger des Koalitionsgipfels:

    "Die neue Regelung für die Bekämpfung der Arbeitsarmut, also die Rente nach Lebensleistung, die wir jetzt einführen, die Zuschussrente mit neuem Namen. Da ist ganz wichtig, dass diese Männer und Frauen wissen: am Ende, wenn sie 40 Jahre eingezahlt haben, sie haben ihre eigene Rente, sie müssen nicht zum Sozialamt und die private Vorsorge gibt's obendrauf. Es lohnt sich und das ist neu."

    SPD und Grüne kritisieren die Einigung scharf. Es sei ein ziemlicher Zynismus zu sagen, wir erfinden eine Lebensleistungsrente für Menschen, die mehr als 30 oder 40 Jahre gearbeitet haben, und die liegt dann nur zehn oder 15 Euro über der Sozialhilfe, so SPD-Chef Sigmar Gabriel. Claudia Roth, Vorsitzende der Grünen, äußert sich ähnlich. Gegen das Betreuungsgeld wollen die Sozialdemokraten Verfassungsbeschwerde einlegen. Die Grünen wollen eine Klage prüfen.