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Die Kraft der Knolle

Chemie. - So intensiv Knoblauch nach seinem Genuss riecht, so sehr schätzen seine Anhänger seine Vorzüge für die eigene Gesundheit. Seit Jahrtausenden setzen Menschen zwischen Frankreich und China auf die Heilwirkungen der Kraftknolle. Eine US-Forscherin warf jetzt einen wissenschaftlichen Blick auf das Gewächs.

Von Volker Mrasek | 20.06.2005
    Sie gelten schon mal als eigenbrötlerisch und weltabgewandt. Doch manchmal sind es andere Dinge, die Forscher und Gelehrte in die Isolation treiben...

    "Ich wusste, dass Du im Labor bist! Ich hab’ Dich schon im Flur gerochen! "

    Das und manches andere musste sich Lindsey Macpherson zuletzt anhören. Denn die Doktorandin am berühmten Scripps-Forschungsinstitut im kalifornischen La Jolla experimentierte wochenlang mit Knoblauch ...

    "Morgens musste ich den Knoblauch immer präparieren. Ich benutzte eine ganz normale Knoblauchpresse und drückte jeden Tag zehn Zehen aus. Das hat ganz schön gerochen! Aber ein paar Leute haben immer noch mit mir zusammengearbeitet."

    Macphersons Tapferkeit ist es zu verdanken, dass sich nun endlich eine äußerst "knoflige" Frage beantworten lässt: Warum brennt frischer Knoblauch eigentlich so auf der Zunge? Welcher Inhaltsstoff ist dafür verantwortlich? Und wie kommt es überhaupt zu diesem Schmerzempfinden, von dem man ja fast schon sprechen kann? Erstaunlich, aber wahr: Bisher vermochte die Wissenschaft hier keine exakte Auskunft zu geben. Obwohl Knoblauch seine Karriere als Küchengewürz schon vor ewigen Zeiten begann. Darüber wunderte sich auch Ardem Patapoutian, Assistenzprofessor für Zellbiologie am Scripps-Institut:

    "Wir arbeiten schon länger über Proteine auf der Oberfläche von Körperzellen, die uns Hitze und Schmerz empfinden lassen. Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass sich diese Rezeptoren auch von pflanzlichen Naturstoffen anregen lassen. Zum Beispiel von Capsaicin, dem Stoff, der Chili-Pfeffer so scharf macht. Es gibt auch Thermo-Rezeptoren, die auf Kälte reagieren und gleichzeitig von Pfefferminze aktiviert werden. Sie erzeugt ja so ein gewisses Kältegefühl im Mund. Nur wie das bei Knoblauch genau abläuft - das wusste man bisher nicht."

    Man ahnte wohl, dass es sich um eine schwefelhaltige Verbindung handeln muss, die unsere Rezeptoren auf Lippen und Zunge reizt. Denn davon enthält Knoblauch eine ganze Menge. Doch erst jetzt wissen es die Kalifornier genau: So richtig scharf macht die Knollen erst eine Substanz namens Allicin. Sie trägt auch zum charakteristischen Geruch von Knoblauch bei und soll das Gewürz so gesund machen ...

    "Wir stellten fest, dass nur frischer Knoblauch eine Reaktion der Rezeptoren hervorruft. Nur er enthält auch das Allicin. Steckt man Knoblauch dagegen in die Pfanne oder in den Ofen, dann wird Allicin zersetzt. Und das deckt sich ja auch mit den Erfahrungen, die man beim Kochen macht: Gebratener oder gebackener Knoblauch hat nicht mehr diesen beißenden Geschmack wie die rohen Knollen."

    Das Allicin aktiviert gleich zwei verschiedene Thermorezeptoren: jenen, der auch auf Chili anspricht. Und einen weiteren, der unter anderem von Zimt- und Senföl ausgelöst wird ...

    "Diese Rezeptor-Proteine sind die Ausläufer von Nervenzellen, die uns helfen, Umweltreize wahrzunehmen. Sie lassen uns spüren, ob etwas heiß oder kalt ist. Oder ob es Schmerzen verursacht. Also kann man sagen: Der stechende Geschmack von frischem Knoblauch tut uns weh! Denn er aktiviert unsere Schmerzrezeptoren.

    "Ist scharfer Knoblauch deshalb vielleicht gar schädlich? Verbrennen wir uns irgendwie Lippen und Zunge, wenn wir die Knollen roh verzehren? Biologe und Knoblauch-Fan Patapoutian gibt Entwarnung:

    "Es gibt Leute, die sagen: Das ist ein angenehmer Schmerz! Und da liegen sie nicht falsch. Die Schärfe von Knoblauch schadet uns sicher nicht! Es gibt sogar die Theorie, dass die rohen Zehen leichte Entzündungen in unserem Mund hervorrufen. Und dass wir dadurch andere Gerüche und Aromen besser wahrnehmen. Vielleicht mögen deshalb so viele Leute Knoblauch, Chilis oder Senf: Sie schärfen unseren Geschmacksinn."