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Die Künstler des neuen Libyens

Zum ersten Mal seit rund vier Jahrzehnten gehen die Libyer zur Wahl: Am Samstag wird über die neue verfassungsgebende Versammlung abgestimmt. In Libyen ist ein neues Zeitalter angebrochen – auch für libysche Künstler.

Von Louise Brown | 05.07.2012
    "Die Kunst ist politischer. Die Kunst präsentiert die politische Meinung."

    Abdulmagid Abdulrhman sitzt in seiner feuchten Hochparterre-Wohnung in Hamburg, vor dem Fenster der bleierne Hamburger Himmel. Es ist ein weiter Weg von seiner Heimat in Tripolis bis hierher : Von den Palmen am Horizont im Hafen, von der Sonne, die die Wände der Altstadt erwärmt. Dennoch – und es ist ein passendes Klischee – leuchtet Abduhrhmans Gesicht wie ein Sonnenstrahl vor grauen Wolken auf, wenn er vom "Libyen nach Gaddafi" spricht.

    "Niemand hat gedacht in Libyen, eines Tages kommt eine Revolution. Bis heutzutage haben die Leute einen Schock, dass Gaddafi getötet (wurde). Bis heute, man findet, das ist wie in einem Cartoon-Film, oder so."

    Abdulrhman, 40 Jahre, ist kein Mann von großen Worten, auch wenn er gerade an der Universität Hamburg in Kunstgeschichte promoviert. Wie alle Künstler lässt er lieber seine Kunst für sich sprechen. Das sind riesige, großflächige Leinwände. Erdige Farben: Gelb, Rot, Braun und Schwarz. Dazu Figuren, wie übergroße Keith Haring-Männchen, teils schemenhaft, teils stark umrandet in weiß. Farbauswahl und primitive Figuren sind beabsichtigt. Sie sollen an die mehr als 10.000 Jahre alte Felskunst Libyens erinnern, die teils haushoch Tänzer, Kühe oder Elefanten zeigt; weiße Umrisse in dunklem Stein - eingraviert in den Höhlen der libyschen Wüste.

    Abdulrhman bezieht sich bewusst auf diese uralte Kunst aus der Wüste: auf eine Vergangenheit lange vor der Gaddafi-Zeit.

    "Kunst in Libyen bedeutet ein Teil von ganz Nordafrika. In Nordafrika in der großen Sahara gibt es eine richtig alte Kultur von der Sahara und die Felsbilder zeigen das."

    Zwanzig Jahre hat Abdulrhman gebraucht, bis er die Kontakte und die Mittel hatte, um nach Deutschland zu kommen. Ein leichter Grauschimmer in seinem Bart verrät die Jahre - und vielleicht auch den täglichen Druck, als Künstler unter dem Regime Gaddafis zu leben.

    "Man findet keine richtigen Materialien, man benutzt die Lackiererfarben von den Autos, man entdeckt oder findet immer eine Naturfarbe, Farben von der Natur oder Pigmente von den Pflanzen oder so."

    Auch das Ausstellen der Werke war schwierig: Zu den Besuchern des Art House, des einzigen Kunstvereins in Tripolis, gehörten vor allem Mitarbeiter des Regimes. Überhaupt: Die ständigen Beobachtungen von Gaddafis Leuten. Als Architekturstudent malte Abdulrhman in den Farben der Flagge von König Idriss I., aus der Zeit, als Libyen 1951 seine Unabhängigkeit erlangte. Prompt wurde er verhört. Dabei ist er noch glimpflich weggekommen.

    ""Ich habe gesehen, jemand von uns, ein Künstler, hat seine Meinung geäußert oder gemalt und ist ins Gefängnis gegangen und hat großen Ärger bekommen."

    Unter Gaddafi ließ sich die Kunstszene Libyens in zwei Schulen einteilen: Die Realitätstreue, die an den Akademien in Tripolis gelehrt wurde - ihre Künstler sollten Libyen als perfektes Land abbilden. Dann eine Handvoll Maler wie Salam Tamimi und Eli Ezouik, die moderne, abstrakte Kunst in westlichem Sinne kreieren. Wie Abdulmagid Abdulrhman beziehen auch sie sich auf die Jahrtausende alte Sahara-Kunst des Landes.

    Und nun: eine neue Kunstform. Als würde das Land aus versteckten Künstlern bestehen, findet man heute an fast jeder Hauswand Tripolis "Kunst" in der Form von Graffitis. Vorbei das Klima der Angst, das der libysche Schriftsteller Hisham Matar in seinem Roman "Im Land der Männer" beschrieben hat. Dafür: Gaddafi auf dem Mond, am Galgen, als Ungeziefer. Tripolis ist ein Freilichtmuseum geworden. Und erinnert so an die Felskunst in Libyens Wüste: Wie dort wird gelebter Alltag in einfachen, cartoonhaften Bildern vermittelt. Da aber hören dann die Vergleiche zwischen alter und neuer Kunst auf:

    "Man sieht in den Felsbildern Alltag - aber heute sieht man in den Graffitis Rache gegen das alte Regime!"

    Abdulrhman will jetzt eine Reihe von Panoramabildern von der Revolution malen. Natürlich im Felsbilderstil. Und in den Farben Rot, Schwarz und Grün: die der Unabhängigkeitsflagge von 1951. Die Farben des neuen Libyens.