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Die Kunst des absichtslosen Wartens

Eine Frau sitzt jahrelang am Bahnhof und wartet auf ihren Geliebten. Als er dann doch noch kommt, will sie ihn nicht mehr. Ursprünglich als No-Theater inszeniert, präsentiert der japanische Komponist Toshio Hosokawa das Stück "Hanjo" derzeit als Kammeroper in der Gebläsehalle Duisburg.

Von Christoph Schmitz | 30.09.2011
    Eine Kammeroper über das "absichtslose Warten" hat der japanische Tonsetzer Toshio Hosokawa mit "Hanjo" komponiert. Anders als bei Samuel Becketts existentialistischem Stück "Warten auf Godot" zielt das Warten bei Hosokawa auf eine Erlösung. Und die ist bei ihm nicht außerhalb des Wartens, sondern in diesem selbst zu finden.

    Die zenbuddhistische Dimension liegt schon dem Text zugrunde, auf dem das Libretto basiert, einem alten No-Spiel von Yukio Mishima. Aber das Warten ist hier nicht schon von vornherein ein glücklicher Zustand. Es wird im Verlauf des Stücks geläutert. Der schmerzhafte Wandlungsprozess ist das Thema von "Hanjo". Er macht es zu einem fesselnden Drama, auch wenn nicht besonders viel passiert in den 80 Minuten pausenloser Spielzeit.

    Die Geisha Hanako wartet an einem Bahnhof seit Jahren Tag für Tag auf ihren Geliebten, mit dem sie einst, nach einem kurzen Glück, die Fächer als Versprechen der Wiederbegegnung ausgetauscht hat. Alle halten diese Frau mittlerweile für verrückt, die ältere Jitsuko nimmt sie bei sich auf als Objekt ihrer eigenen Begierde. Als Hanakos Geliebter, Yoshio, doch noch endlich kommt, streiten er und die eifersüchtige Jitsuko um die mädchenhafte Frau. Mit Gewalt geht Yoshio gegen Jitsuko vor. Doch Hanako erkennt den einst Geliebten in seiner Brutalität nicht mehr wieder, lehnt ihn als einen dieser Willens- und Machtmenschen ab, löst sich damit von ihrer zielorientierten Sehnsucht und findet zu jener befreienden Absichtslosigkeit.

    Der Komponist Hosokawa hat diese Geschichte in ein Klanggespinst überführt, das zwischen traumhafter Leichtigkeit und harter Realität changiert. Wie ein Klangteppich spannt sich die Partitur auf. Das Kölner Spezialensemble für Neue Musik, die "musikFabrik", lässt mit gewohnter Präzision die seidige Textur, ebenso wie die grob gewebten Abschnitte erklingen und entwickelt dabei über den gesamten Abend einen nie abbrechenden Spannungsbogen. Punktgenau dirigiert von Garry Walker.

    Mit der schwedischen Sopranistin Kerstin Avemo ist die Rolle der traumverlorenen und zugleich mit ihrer inneren Pein ringenden Hanako perfekt besetzt. In ihrer Stimme verbinden sich Zartheit und Entschiedenheit der Figur. Auch Ursula Hesse von den Steinen gibt mit ihrem dramatischen Mezzo der erdenschweren Jitsuko den richtigen Ton. Und schließlich Georg Nigl als Yoshio – beeindruckend, wie er seinen Bariton ins Agressivschroffe drängt. Und alle drei Solisten lassen sich mit Haut und Haut auf die Inszenierung des spanischen Regisseurs Calixto Bieito ein, was keine Kleinigkeit ist. Denn Bieito lässt erwartungsgemäß keine ätherischen Wesen über die Bühne schweben, sondern macht aus Hanako eine geschundene und psychopathische Frau in roten Löcherstrapsen und zerrissenem Tüllröckchen. Ihre wie bandagiert wirkenden Füße sind blutig geworden vom dauernden Hinundher auf dem spitzen Schotter der Bahnschienen, wo sie auf ihren Yoshio wartet.

    In der Mitte der Bühne, vom Publikum bis tief in den Hintergrund verläuft das Gleis, rechts und links Erde, Wasser, Gräben, wo auch die Musiker in kleinen Gruppen hocken. In die Industriearchitektur der Duisburger Gebläsehalle fügt sich das Bühnenambiente bestens ein. Calixto Bieito choreographiert die Leidensgeschichte mit einer fast unheimlichen Langsamkeit und Spannung. Er verzichtet auf jegliche buddhistische Exegese, wie es diese Oper selbst, vor allem aber das Motto der dritten Ausgabe von Willy Deckers Ruhrtriennale nahegelegt hätte.

    Bieito zeigt ganz und gar stimmig, wie sich die kaputten Figuren in einem dramatischen Prozess aus ihrem qualvollen Leben herauswinden. Am Ende glaubt man ihnen das Glück.

    Linktipp:
    Programm der Ruhrtriennale 2011