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Die Kunst zu klagen, ohne zu leiden

Die Deutschen sind salopp ausgedrückt Weltmeister im Jammern. Wissenschaftlich untersucht hat das Phänomen die Braunschweiger Arbeits- und Organisationspsychologin Simone Kauffeld. Und der Kabarettist Hubert Burghard gibt in seinem VHS-Kurs "Jammern, aber richtig" Nachhilfe im Nörgeln.

Von Ulrike Burgwinkel | 10.01.2013
    Nirgends in der Welt wird so eindringlich, nachhaltig und vor allem auch effektiv gejammert wie bei uns in Deutschland.
    "Was wir darunter verstehen, ist, dass jemand anfängt, zu jammern. Das heißt, er betont den negativen Istzustand, betont, dass er das Opfer ist, dass er nichts machen kann, nichts tun kann, benutzt gerne Killerphrasen: Das geht nicht! Das wird nichts und so weiter."

    Professor Simone Kauffeld ist Arbeits-und Organisationspsychologin. Sie forscht und lehrt an der TU Braunschweig. Über 400 Besprechungen, Teamsitzungen und Meetings in Unternehmen hat sie per Videoaufzeichnung analysiert auf der Suche nach "Jammerspiralen" und ihren Auswirkungen. Die Ergebnisse der Studie wurden in der "Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management" veröffentlicht.

    "Man kann das auch in die Zukunft projizieren: Es wird also nie etwas anderes passieren, es wird nie etwas anderes gehen. Dieses Jammern wird zu einer Spirale, wenn andere Personen darauf reagieren und entweder weiter jammern oder dieses auch bestärken."

    Das Jammern ist die beliebteste Form der Gewissenshygiene.

    Spannend wird es, wenn man an die Wurzel des Übels gelangen möchte, die Frage nach dem Warum. Erst dann kann man auch eine Wurzelbehandlung in Angriff nehmen.

    "Es sind wenige Menschen, die halt einfach gern jammern, wobei wir in diesen Diskussionen schon auch so jammernde Nörglertypen identifizieren können. Das sind aber nicht unbedingt Personen, die als jammernde Nörgler geboren wurden, die frühkindlich geprägt wurden. Sondern man muss sich schon fragen, wodurch werden Menschen zu solchen jammernden Nörglern, und da spielen Arbeitsbedingungen häufig eine Rolle, da spielen vergangene Erfahrungen eine Rolle, über Veränderungsprozesse beispielsweise, die nicht zur Zufriedenheit von Mitarbeitern abgeschlossen wurden, die sie dann dazu verleiten, an weiteren Veränderungsprojekten nicht in der angemessenen Art und Weise mitzuarbeiten."

    Dazu lassen Sie Ihre Schultern möglichst nach ganz unten fallen. Sacken Sie dann mit dem ganzen Oberkörper in sich zusammen. Legen Sie dann bitte noch den Kopf leicht auf die Seite, denn alle anderen sollen ja schon von Weitem erkennen, dass wir es besonders schwer haben.

    Insofern hat das Jammern nach Meinung der Psychologin weitreichende Folgen nicht nur für den Erfolg einer Besprechung. Frustrierte Mitarbeiter sind selten gute oder engagierte Mitarbeiter.

    "Wenn in einem Team viel gejammert wird, kann man davon ausgehen, die Teammitglieder sind weniger zufrieden. Es kommen weniger gute Lösungen raus, die Teamproduktivität ist schlechter. Wir haben uns das in 19 Unternehmen zweieinhalb Jahre später angeguckt und die Innovationsrate, die Produktivität, der Erfolg des Unternehmens ist schlechter in den Unternehmen, in denen viel gejammert wurde."

    Zudem werde von den Sitzungsteilnehmern allzu oft der Nutzen solcher Sitzungen bezweifelt, als Zeitverschwendung oder Pflichtveranstaltung angesehen. Im Durchschnitt werde 16-mal häufiger gejammert, als dass Lösungsansätze vorgetragen würden, sagen die Daten.

    Vom Gesichtsausdruck orientieren wir uns bei den Mundwinkeln ebenfalls nach ganz unten.

    Wenn man zusätzlich in Rechnung stellt, dass in höheren Management- oder Abteilungsleiterzirkeln 75 Prozent der Zeit mit der Vorbereitung und der Durchführung solcher Konferenzen verbracht wird, dann kann von Effektivität nicht die Rede sein, sondern bestenfalls von Optimierungswürdigkeit.

    "Ein Phänomen, das wir beobachtet haben ist, dass Mitarbeiter oft den Handlungsspielraum, den sie haben, gar nicht ausschöpfen. Das heißt, dass ihnen gar nicht klar ist, wie weit gehen meine Grenzen, was kann ich eigentlich bestimmen und diese Grenzen viel kleiner wahrnehmen als sie sind."

    Tatsächlich zieht sich diese gefühlte Fremdbestimmung und Ohnmacht: Ich kann sowieso nichts ändern, sollen doch die da oben etwas machen, nach Kauffelds Beobachtungen durch sämtliche Hierarchieebenen bis zum Chef des Unternehmens, der sich ebenfalls unter Druck fühlt. Durch die Interaktion in der Gruppe entsteht eine emotionale Annäherung: Das Jammern wirkt ansteckend.

    "Gestoppt bekommt man sie direkt, in der Diskussion, indem man beispielsweise auf das Ziel verweist, der Besprechung oder indem man einen Verfahrensvorschlag einbringt, indem man konkretisiert, indem man zurückspiegelt: Habe ich das jetzt richtig verstanden so?"

    Gezieltes Nachfragen gepaart mit "Spiegeln", also Wiedergeben der Jammeräußerung kann die "Opferrolle" aufbrechen und den Jammerer zur Relativierung seiner Klage bringen; es sei denn, er verspricht sich persönliche Vorteile.

    Diese symbolische Grundhaltung ist immens wichtig, um das tatsächliche Aufhalsen von Belastungen frühzeitig abwehren zu können.

    "Ich kenne es auch, dass es bei Vorgesetzten gern gemacht wird und dort für den jeweiligen Mitarbeiter auch eine funktionale Komponente hat, nämlich im Sinne: Ich wehre Arbeit ab, die mein Chef möglicherweise für mich hat. Ich jammere, will sagen, ich komme sowieso schon nicht dazu, meine jetzige Arbeit zu schaffen und dann könnte es diese Funktion haben."

    Selbst in Teamsitzungen könne man einen entlastenden Effekt bemerken, so Simone Kauffeld, und ganz abschaffen könne man das Jammern sowieso nicht, aber man müsse möglicherweise Räume dafür schaffen.

    "Es hat eine soziale Funktion, es betont Gemeinsamkeiten, es ist etwas, wo alle etwas beizutragen haben, es ist also auch ein Thema, in das man sehr gut einsteigen kann und dieses gemeinsame Jammern verbindet natürlich auch enorm."

    Lassen Sie ihren Befindlichkeiten ruhig freien Lauf: 'Oh Gott, oh Gott, oh Gott' oder 'Ne, ne, ne, ne' oder halb vernuschelte Sätze: 'Hach, wer soll sich das noch leisten können, da kommt doch keiner mehr mit, wo soll das noch hinführen.'

    Und es bietet ein Ventil zum Abbau von Frustrationen, ähnlich wie das dem Jammern funktionsverwandte Lästern. Das allerdings wird in eher informellen Gruppen genossen, die sich gut kennen und sich vertrauen.