Kinkel: Guten Morgen Herr Meurer.
Meurer: Was hat eigentlich dafür gesprochen - das war ja die Frage Nummer eins -, gestern an Wolfgang Gerhardt als Parteivorsitzenden trotz Dauerserie von Wahlschlappen festzuhalten?
Kinkel: Ja, wir waren im Präsidium und im Bundesvorstand der Meinung, dass das "Bäumchen wechsel dich"-Spiel in dieser zweifellos schwierigen Situation nicht die Lösung für die FDP ist. Präsidium und Bundesvorstand stehen zu Wolfgang Gerhardt. Das hat sich gestern eindeutig gezeigt. Er ist ein guter Vorsitzender und - das ist das entscheidende - er ist sicherlich nicht schuld an unserem schlechten Abschneiden in der letzten Zeit. Jeder andere Vorsitzende hätte die zurückliegenden Wahlen auch nicht gewonnen. Das steht fest.
Meurer: Aber vielleicht weniger hoch verloren?
Kinkel: Na ja, nein, das kann man so nicht sagen. Wir tragen da alle gemeinsam Verantwortung. Man muß in einer Partei eben auch mal in schwierigen Zeiten lernen, dass Wahlen gemeinsam verloren und gemeinsam gewonnen werden und es einfach unfair und billig ist, alles dem Vorsitzenden vor die Türe zu kehren. Und noch etwas, was ich nun selber erfahren habe, und zwar leidvoll: Ich habe schon das Gefühl, dass die Wähler draußen, die Menschen ein feines Gefühl dafür haben, wie Parteien mit ihrem Führungspersonal in schwierigen Situationen umgehen. Da ist eben schon notwendig, dass man Solidarität, Solidität, Stil und Würde in schwierigen Zeiten zeigt. Parteivorsitzende sind nicht eine Art Freiwild, die bei schwierigen Situationen einfach zum Abschuß freigegeben werden.
Meurer: Sie sprechen ja über Ihre eigene Vergangenheit, Herr Kinkel. Müssen Sie da nicht Herrn Gerhardt die Empfehlung geben: warum tut er sich das an?
Kinkel: Nein, die gebe ich ihm nicht, sondern ich war in einer anderen Situation. Ich habe die Partei längst nicht so gut gekannt wie er. Er ist in dieser Partei aufgewachsen. Ich bin im übrigen auch nicht zurückgetreten, sondern ich bin zu einer neuen Wahl nicht mehr angetreten. Das heißt, ich habe meine Amtszeit zu Ende gemacht. Das wäre bei ihm nicht so. Er ist gerade mit großer Mehrheit gewählt worden, und wenn Sie gestern im Präsidium und im Bundesvorstand dabei gewesen wären, dann hätten Sie gemerkt, dass es einfach nicht richtig ist, das immer alles auf den Vorsitzenden allein zu fokusieren. Der braucht Glück, ja, aber dazu müssen ihm auch die anderen helfen. Dazu muß die Füh-rungsmannschaft ihn unterstützen, und das wollen wir tun.
Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass diese Unterstützungsbereitschaft auch für Rainer Brüderle und Guido Westerwelle gilt?
Kinkel: Eindeutig ja. Das ist gestern auch deutlich geworden. Ich meine, beide kön-nen für so manche Diskussionen, die in der Öffentlichkeit geführt werden, nichts. Wissen Sie, da wird ja oft auch eine Menge hinterhergeschrien. Das darf man in solchen Situatio-nen nicht so ernst nehmen.
Meurer: Waren das nur die Medien? Gibt es nicht in der Parteiführung diese Perso-naldiskussion?
Kinkel: Nein, die gibt es nicht in der Parteiführung.
Meurer: Aber bis gestern hat es sie gegeben?
Kinkel: Nein, das hat es nicht gegeben, sondern es war so, dass die Jungliberalen zunächst einmal die Trennung von Fraktionsvorsitz und Parteivorsitz gefordert haben, was sicher im Augenblick auch nicht die Lösung wäre. Im übrigen hat sich der Bundesvorstand und das Präsidium hinter ihn gestellt. Wir müssen uns ja vielmehr fragen, was ist zu tun und woran liegt es. Das muß sauber analysiert werden, damit wir aus dem Tief wieder herauskommen und Wahlen gewinnen. Nichts ist so erfolgreich wie gewonnene Wahlen.
Meurer: Eines würde mich ja interessieren, Herr Kinkel. Sie waren am Sonntagabend dabei, als sich ein Teil des FDP-Vorstandes in einem Berliner Hotel zusammengefunden hat, mit Wolfgang Gerhardt. Wie war die Stimmung am Sonntagabend?
Kinkel: Die war natürlich nicht erfreut. Allerdings hatten wir in Berlin damit rechnen müssen, dass wir kein phänomenales Ergebnis einfahren. Aber die Stimmung war im Prinzip so, wie sie gestern im Präsidium und im Bundesvorstand war. Wissen Sie, wir müssen uns ja ein klein wenig überlegen: woran liegt es zunächst. Da ist eine Tendenz erkennbar, die gegen die kleineren Parteien läuft. Ich habe gestern im Präsidium gesagt, wenn sie sich mal das Berlin-Ergebnis ansehen, dann ist das Ergebnis von SPD, Grünen und PDS um die 50 Prozent. Wenn sie dann dagegen das CDU-Ergebnis halten und auch die anderen Landtagswahlen sich ansehen, mindestens in den neuen Ländern, dann gibt es dort eine Mehrheit links. Wenn die FDP beispielsweise wegfallen würde, was ich nicht glaube - ich bin tief davon überzeugt, dass wir uns wieder erholen -, dann wäre es so, dass auf der bürgerlichen Seite ja keine Mehrheiten mehr möglich wären. Das müssen sich die Menschen schon überlegen. Dann ist es so, dass der ganze Frust über die derzeitige Koalition und Regierung der CDU/CSU vor die Füße fällt. Wir dürfen nicht klagen und weinen, dass das nicht zu uns kommt, aber wir müssen uns schon fragen, woran fehlt es. Es fehlen uns natürlich auch viele Ressourcen im finanziellen Bereich. Wir dringen mit unseren Themen nicht so durch. Wir sind zu wenig eckig und kantig, und wir haben vor allem, wenn ich es richtig sehe, die Konzentration auf eine konsequente Oppositionsrolle, Oppositionspartei bisher nicht geschafft.
Meurer: Also alles Defizite, Herr Kinkel. Was muß jetzt getan werden? Sie haben die Defizite beschrieben. Darüber wird bei der FDP diskutiert. Was will man jetzt tun?
Kinkel: Ich will Ihnen sagen was ich meine, was wir tun müssen. Ich würde zunächst einmal meiner Partei raten, ruhig Blut zu bewahren, nicht herumzuflattern und diese blö-den Personaldiskussionen zu lassen. Das Totenglöcklein hat der FDP bisher schon oft falsch gebimmelt. Der Humus für liberale Ideen ist weiter vorhanden. Ich würde sagen, natürlich darf das nicht heißen, nicht weiter so. Das haben wir verstanden. Nochmals: Konzentration auf konsequente Oppositionspartei. Wir müssen den Mittelstand zurückgewinnen. Wir müssen stärker mit unseren Themen durchdringen: Steuerthema, Mittelstand.
Meurer: Aber wie wollen Sie das erreichen? Das wird seit allen Wahlniederlagen an jedem Wahlabend wiederholt. Was wollen Sie anders machen?
Kinkel: Es ist uns halt eben einfach nicht gelungen. Wir werden natürlich auch nicht mehr so von den Medien wahrgenommen. Das ist jetzt keine Medienschelte, sondern es ist eine ruhige Analyse. Wir sind als kleine Partei in der Opposition, die im Augenblick in vielen Bereichen aus der Sicht der Wähler nicht gebraucht wird, einfach nicht interessant. Deshalb müssen wir kantiger, bemerkbarer, einfach frecher sein und, was für mich ganz wichtig ist, die vorhandenen Synergie-Effekte zusammenführen, nämlich die Kraftfelder Fraktion und unsere Ländervertretungen in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, in Hessen. Wir müssen das Personalgequassele lassen, Vertrauen schaffen und Vertrauen binden.
Meurer: Da haben Sie ja die Möglichkeit, wenn Sie gerade Rheinland-Pfalz ansprechen, beispielsweise bei jetzt anstehenden Entscheidungen im Bundesrat in Mainz entsprechend so zu operieren, dass man die FDP auch wahrnimmt.
Kinkel: Ja, davon gehe ich aus, dass das so sein wird. Sehen Sie, uns sind auch viele Themen geklaut worden. Wir haben ja über Rheinland-Pfalz beispielsweise in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft die Aussteuerung zum Endergebnis vorgenom-men. Es war so, dass in der 630-Mark-Problematik und in vielen anderen Bereichen wir eigentlich mit unserer Fraktionsarbeit vorne dran waren, aber dann die große Oppositionsfraktion CDU/CSU, auf die sich auch die Lichter stärker konzentrieren, uns die Themen weggenommen hat. Nun hat es keinen Sinn, sich zurückzulegen und zu weinen, sondern wir müssen kämpfen und wieder Wahlen gewinnen. Die FDP braucht einfach wieder Mut, und den möchte ich ihr eigentlich zusprechen.
Meurer: Würden Sie empfehlen, dass die FDP sich durchaus mehr abgrenzen muß von der Union?
Kinkel: Es ist absolut klar, dass es keine Koalition in der Opposition gibt. Wissen Sie, das sind alles immer auch Stilfragen. Ich bin nicht jemand, der so fürs Draufhauen ist. Ich bin jemand, der ruhig und gelassen versucht, die Dinge zu regeln.
Meurer: Das wurde Ihnen ja in Ihrer Zeit als Parteivorsitzender vorgeworfen.
Kinkel: Ja, gut, das mag sein. Verstehen Sie, als Parteivorsitzender der FDP brauchen sie schon besonders gute Nerven. Das erfährt jetzt Wolfgang Gerhardt, das hat Genscher erfahren, das hat Lambsdorff erfahren, das hat vor allem auch Kinkel erfahren. Uns steht das Wasser halt immer bis zum Kinn, und wir haben nicht die Polster der beiden großen Volksparteien. Insofern brauchen wir Mut und wir brauchen auch Gelassenheit, aber wir werden es wieder packen. Schreibt uns nicht ab!
Meurer: Und Gerhardt hat auch die Nerven, das durchzustehen?
Kinkel: Gerhardt hat die Nerven. Ich hoffe auch, dass er sie hat. Es wäre im Augenblick für meine Begriffe wirklich völlig falsch, wenn er das Handtuch werfen würde. Er hat das Vertrauen, und wenn ein paar Jungliberale fordern, er soll die Ämter trennen oder gar zurücktreten, dann ist das eine Sache. Die Leute in der Partei, auf die es ankommt, ste-hen zu ihm, wollen, dass er Parteivorsitzender bleibt in dieser schwierigen Zeit. Was würde es denn bringen, wenn es ein anderer wird? Wir müssen uns gemeinsam am Riemen reißen. Das liegt nicht am Parteivorsitzenden; das liegt an der Partei, es liegt an uns.
Meurer: Der frühere Parteivorsitzende der Liberalen, Ex-Außenminister Klaus Kinkel bei uns im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören, Herr Kinkel.
Link: Müntefering zu den Verlusten der SPD
Meurer: Was hat eigentlich dafür gesprochen - das war ja die Frage Nummer eins -, gestern an Wolfgang Gerhardt als Parteivorsitzenden trotz Dauerserie von Wahlschlappen festzuhalten?
Kinkel: Ja, wir waren im Präsidium und im Bundesvorstand der Meinung, dass das "Bäumchen wechsel dich"-Spiel in dieser zweifellos schwierigen Situation nicht die Lösung für die FDP ist. Präsidium und Bundesvorstand stehen zu Wolfgang Gerhardt. Das hat sich gestern eindeutig gezeigt. Er ist ein guter Vorsitzender und - das ist das entscheidende - er ist sicherlich nicht schuld an unserem schlechten Abschneiden in der letzten Zeit. Jeder andere Vorsitzende hätte die zurückliegenden Wahlen auch nicht gewonnen. Das steht fest.
Meurer: Aber vielleicht weniger hoch verloren?
Kinkel: Na ja, nein, das kann man so nicht sagen. Wir tragen da alle gemeinsam Verantwortung. Man muß in einer Partei eben auch mal in schwierigen Zeiten lernen, dass Wahlen gemeinsam verloren und gemeinsam gewonnen werden und es einfach unfair und billig ist, alles dem Vorsitzenden vor die Türe zu kehren. Und noch etwas, was ich nun selber erfahren habe, und zwar leidvoll: Ich habe schon das Gefühl, dass die Wähler draußen, die Menschen ein feines Gefühl dafür haben, wie Parteien mit ihrem Führungspersonal in schwierigen Situationen umgehen. Da ist eben schon notwendig, dass man Solidarität, Solidität, Stil und Würde in schwierigen Zeiten zeigt. Parteivorsitzende sind nicht eine Art Freiwild, die bei schwierigen Situationen einfach zum Abschuß freigegeben werden.
Meurer: Sie sprechen ja über Ihre eigene Vergangenheit, Herr Kinkel. Müssen Sie da nicht Herrn Gerhardt die Empfehlung geben: warum tut er sich das an?
Kinkel: Nein, die gebe ich ihm nicht, sondern ich war in einer anderen Situation. Ich habe die Partei längst nicht so gut gekannt wie er. Er ist in dieser Partei aufgewachsen. Ich bin im übrigen auch nicht zurückgetreten, sondern ich bin zu einer neuen Wahl nicht mehr angetreten. Das heißt, ich habe meine Amtszeit zu Ende gemacht. Das wäre bei ihm nicht so. Er ist gerade mit großer Mehrheit gewählt worden, und wenn Sie gestern im Präsidium und im Bundesvorstand dabei gewesen wären, dann hätten Sie gemerkt, dass es einfach nicht richtig ist, das immer alles auf den Vorsitzenden allein zu fokusieren. Der braucht Glück, ja, aber dazu müssen ihm auch die anderen helfen. Dazu muß die Füh-rungsmannschaft ihn unterstützen, und das wollen wir tun.
Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass diese Unterstützungsbereitschaft auch für Rainer Brüderle und Guido Westerwelle gilt?
Kinkel: Eindeutig ja. Das ist gestern auch deutlich geworden. Ich meine, beide kön-nen für so manche Diskussionen, die in der Öffentlichkeit geführt werden, nichts. Wissen Sie, da wird ja oft auch eine Menge hinterhergeschrien. Das darf man in solchen Situatio-nen nicht so ernst nehmen.
Meurer: Waren das nur die Medien? Gibt es nicht in der Parteiführung diese Perso-naldiskussion?
Kinkel: Nein, die gibt es nicht in der Parteiführung.
Meurer: Aber bis gestern hat es sie gegeben?
Kinkel: Nein, das hat es nicht gegeben, sondern es war so, dass die Jungliberalen zunächst einmal die Trennung von Fraktionsvorsitz und Parteivorsitz gefordert haben, was sicher im Augenblick auch nicht die Lösung wäre. Im übrigen hat sich der Bundesvorstand und das Präsidium hinter ihn gestellt. Wir müssen uns ja vielmehr fragen, was ist zu tun und woran liegt es. Das muß sauber analysiert werden, damit wir aus dem Tief wieder herauskommen und Wahlen gewinnen. Nichts ist so erfolgreich wie gewonnene Wahlen.
Meurer: Eines würde mich ja interessieren, Herr Kinkel. Sie waren am Sonntagabend dabei, als sich ein Teil des FDP-Vorstandes in einem Berliner Hotel zusammengefunden hat, mit Wolfgang Gerhardt. Wie war die Stimmung am Sonntagabend?
Kinkel: Die war natürlich nicht erfreut. Allerdings hatten wir in Berlin damit rechnen müssen, dass wir kein phänomenales Ergebnis einfahren. Aber die Stimmung war im Prinzip so, wie sie gestern im Präsidium und im Bundesvorstand war. Wissen Sie, wir müssen uns ja ein klein wenig überlegen: woran liegt es zunächst. Da ist eine Tendenz erkennbar, die gegen die kleineren Parteien läuft. Ich habe gestern im Präsidium gesagt, wenn sie sich mal das Berlin-Ergebnis ansehen, dann ist das Ergebnis von SPD, Grünen und PDS um die 50 Prozent. Wenn sie dann dagegen das CDU-Ergebnis halten und auch die anderen Landtagswahlen sich ansehen, mindestens in den neuen Ländern, dann gibt es dort eine Mehrheit links. Wenn die FDP beispielsweise wegfallen würde, was ich nicht glaube - ich bin tief davon überzeugt, dass wir uns wieder erholen -, dann wäre es so, dass auf der bürgerlichen Seite ja keine Mehrheiten mehr möglich wären. Das müssen sich die Menschen schon überlegen. Dann ist es so, dass der ganze Frust über die derzeitige Koalition und Regierung der CDU/CSU vor die Füße fällt. Wir dürfen nicht klagen und weinen, dass das nicht zu uns kommt, aber wir müssen uns schon fragen, woran fehlt es. Es fehlen uns natürlich auch viele Ressourcen im finanziellen Bereich. Wir dringen mit unseren Themen nicht so durch. Wir sind zu wenig eckig und kantig, und wir haben vor allem, wenn ich es richtig sehe, die Konzentration auf eine konsequente Oppositionsrolle, Oppositionspartei bisher nicht geschafft.
Meurer: Also alles Defizite, Herr Kinkel. Was muß jetzt getan werden? Sie haben die Defizite beschrieben. Darüber wird bei der FDP diskutiert. Was will man jetzt tun?
Kinkel: Ich will Ihnen sagen was ich meine, was wir tun müssen. Ich würde zunächst einmal meiner Partei raten, ruhig Blut zu bewahren, nicht herumzuflattern und diese blö-den Personaldiskussionen zu lassen. Das Totenglöcklein hat der FDP bisher schon oft falsch gebimmelt. Der Humus für liberale Ideen ist weiter vorhanden. Ich würde sagen, natürlich darf das nicht heißen, nicht weiter so. Das haben wir verstanden. Nochmals: Konzentration auf konsequente Oppositionspartei. Wir müssen den Mittelstand zurückgewinnen. Wir müssen stärker mit unseren Themen durchdringen: Steuerthema, Mittelstand.
Meurer: Aber wie wollen Sie das erreichen? Das wird seit allen Wahlniederlagen an jedem Wahlabend wiederholt. Was wollen Sie anders machen?
Kinkel: Es ist uns halt eben einfach nicht gelungen. Wir werden natürlich auch nicht mehr so von den Medien wahrgenommen. Das ist jetzt keine Medienschelte, sondern es ist eine ruhige Analyse. Wir sind als kleine Partei in der Opposition, die im Augenblick in vielen Bereichen aus der Sicht der Wähler nicht gebraucht wird, einfach nicht interessant. Deshalb müssen wir kantiger, bemerkbarer, einfach frecher sein und, was für mich ganz wichtig ist, die vorhandenen Synergie-Effekte zusammenführen, nämlich die Kraftfelder Fraktion und unsere Ländervertretungen in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, in Hessen. Wir müssen das Personalgequassele lassen, Vertrauen schaffen und Vertrauen binden.
Meurer: Da haben Sie ja die Möglichkeit, wenn Sie gerade Rheinland-Pfalz ansprechen, beispielsweise bei jetzt anstehenden Entscheidungen im Bundesrat in Mainz entsprechend so zu operieren, dass man die FDP auch wahrnimmt.
Kinkel: Ja, davon gehe ich aus, dass das so sein wird. Sehen Sie, uns sind auch viele Themen geklaut worden. Wir haben ja über Rheinland-Pfalz beispielsweise in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft die Aussteuerung zum Endergebnis vorgenom-men. Es war so, dass in der 630-Mark-Problematik und in vielen anderen Bereichen wir eigentlich mit unserer Fraktionsarbeit vorne dran waren, aber dann die große Oppositionsfraktion CDU/CSU, auf die sich auch die Lichter stärker konzentrieren, uns die Themen weggenommen hat. Nun hat es keinen Sinn, sich zurückzulegen und zu weinen, sondern wir müssen kämpfen und wieder Wahlen gewinnen. Die FDP braucht einfach wieder Mut, und den möchte ich ihr eigentlich zusprechen.
Meurer: Würden Sie empfehlen, dass die FDP sich durchaus mehr abgrenzen muß von der Union?
Kinkel: Es ist absolut klar, dass es keine Koalition in der Opposition gibt. Wissen Sie, das sind alles immer auch Stilfragen. Ich bin nicht jemand, der so fürs Draufhauen ist. Ich bin jemand, der ruhig und gelassen versucht, die Dinge zu regeln.
Meurer: Das wurde Ihnen ja in Ihrer Zeit als Parteivorsitzender vorgeworfen.
Kinkel: Ja, gut, das mag sein. Verstehen Sie, als Parteivorsitzender der FDP brauchen sie schon besonders gute Nerven. Das erfährt jetzt Wolfgang Gerhardt, das hat Genscher erfahren, das hat Lambsdorff erfahren, das hat vor allem auch Kinkel erfahren. Uns steht das Wasser halt immer bis zum Kinn, und wir haben nicht die Polster der beiden großen Volksparteien. Insofern brauchen wir Mut und wir brauchen auch Gelassenheit, aber wir werden es wieder packen. Schreibt uns nicht ab!
Meurer: Und Gerhardt hat auch die Nerven, das durchzustehen?
Kinkel: Gerhardt hat die Nerven. Ich hoffe auch, dass er sie hat. Es wäre im Augenblick für meine Begriffe wirklich völlig falsch, wenn er das Handtuch werfen würde. Er hat das Vertrauen, und wenn ein paar Jungliberale fordern, er soll die Ämter trennen oder gar zurücktreten, dann ist das eine Sache. Die Leute in der Partei, auf die es ankommt, ste-hen zu ihm, wollen, dass er Parteivorsitzender bleibt in dieser schwierigen Zeit. Was würde es denn bringen, wenn es ein anderer wird? Wir müssen uns gemeinsam am Riemen reißen. Das liegt nicht am Parteivorsitzenden; das liegt an der Partei, es liegt an uns.
Meurer: Der frühere Parteivorsitzende der Liberalen, Ex-Außenminister Klaus Kinkel bei uns im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören, Herr Kinkel.
Link: Müntefering zu den Verlusten der SPD