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Die Lage in Ägypten ist nicht schlechter "als zu Zeiten Mubaraks"

Optimistisch hat Klaus Brandner (SPD), den Vorsitzenden der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe im Bundestag, die Rede des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi nicht gestimmt. Es gebe trotz einiger Fortschritte viele Unzulänglichkeiten in Ägypten, mahnt Brandner. "Jede Demokratie ist nur so stark, wie sie mit Minderheiten umgeht."

Klaus Brandner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 31.01.2013
    Christiane Kaess: Mein Kollege Tobias Armbrüster hat gestern Abend mit Klaus Brandner gesprochen von der SPD. Er ist Mitglied des Bundestages und Vorsitzender der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe und er hat der Rede Mursis ebenfalls zugehört. Tobias Armbrüster hat ihn zuerst gefragt: Wenn wir uns heute anschauen, was in Ägypten passiert, stimmt es Sie dann optimistisch, was der Präsident heute gesagt hat?

    Klaus Brandner: Optimistisch kann mich das in keiner Weise stimmen, weil die Lage insgesamt gesehen aus meiner Sicht viel schwieriger ist als der Präsident, der für sein Land geworben hat und für einen Prozess wirbt. Da bin ich weitaus realistischer. Ich bin in der letzten Woche noch in Ägypten gewesen, habe mehrere Städte besucht. Und ich habe jetzt das Land häufiger bereist, um mir doch einen Eindruck machen zu können. Und ich habe ihn auch damit konfrontiert, dass nicht nur die politischen Bewegungen tief gespalten sind, sondern auch, dass die Gesellschaft tief gespalten ist und dass meine tiefe Überzeugung ist, man wird diesen Prozess der Spaltung nur überwinden, wenn ein starker Präsident nicht nur sagt, ich will den Dialog, sondern dass er den Dialog auch organisiert und deutlich macht, dass Dialog am Ende nicht heißt, die Mehrheit bestimmt alles. Das mag ein demokratisches Grundprinzip sein, aber jede Demokratie ist auch nur so stark, wie sie mit Minderheiten umgeht.

    Tobias Armbrüster: Und haben Sie bei solchen Gesprächen mit Mursi denn das Gefühl, das kommt bei dem Präsidenten an?

    Brandner: Er hört in jedem Fall zu. Er hat sich auch sehr viele kritische Fragen anhören müssen, auch über die Äußerungen gegenüber Juden und Zionisten, wo man ihn mit seinen wörtlichen Aussagen zitiert hat. Er hat versucht, das ins rechte Licht zu rücken. Ich glaube, an diesem Punkt ist ihm das nicht so sehr gut gelungen. Aber ich will auch ganz deutlich sagen, er steht natürlich vor einer Herkulesaufgabe und die hat er versucht, der deutschen Öffentlichkeit klar zu machen, nämlich dass in den letzten zwei Jahren fünf Wahlprozesse ohne größere Gewalt das erste Mal nach einer so langen Diktatur durchgeführt worden sind. Und wir alle haben gesagt, das war eine relativ faire Wahl, sie war nicht gefälscht. Aber die Probleme im Land, die politisch zu lösen sind, sind mit den Wahlen allein ja noch nicht gelöst. Ganz im Gegenteil: Die Erwartungen sind groß und das Land hat in vielen Punkten, ökonomisch zumindest, zwei Jahre lang Stillstand erlebt.

    Armbrüster: Aber wenn wir uns dann vor diesem Hintergrund ansehen, wie sich dieser Mann um jede klare Aussage gedrückt hat, muss man sich dann nicht die Frage stellen, ist das der richtige Mann an der Spitze des ägyptischen Staates?

    Brandner: Ich habe ihn als Werber für das Land verstanden und rücke natürlich auch diesen Punkt, den Sie ansprechen, nicht deutlich genug Position zu beziehen, in einen Gesamtkontext und sage, was entwickelt sich eigentlich in diesem Land. Und bei diesem Gesichtspunkt bin ich etwas duldsamer im Umgang mit ihm, weil ich sehe, dass wir schon einen Fortschrittsprozess haben. Ich stimme nicht denen zu, die sagen, es ist alles schlechter geworden. Die Lage der Medien ist offener geworden, die Frage von Amtszeitbegrenzungen, auch von Wahlen, die durchgeführt worden sind. Es ist eine Entwicklung hin in einen Rechtsstaat, der mir überhaupt nicht ausreicht. Aber es gibt eben Dinge, die ich nicht wegdiskutieren möchte. Und insofern hat er an dem Punkt eine Chance vertan, klarer und deutlicher Position zu beziehen, wie Sie es an dem Beispiel seiner Aussagen der Vergangenheit gegenüber Juden oder Zionisten vielleicht ansprechen wollen. Das sind solche Schwachstellen, wo er nicht nur die Chance nicht genutzt hat, offensiver Klarstellung zu betreiben.

    Armbrüster: Aber sind das nicht sehr viel mehr als nur Schwachstellen? Ich erinnere da an Äußerungen, die wir heute gehört haben, dass die Lage der Menschenrechte in Ägypten heute schwieriger ist als in der Ära Mubarak. Wir haben Folter in ägyptischen Gefängnissen noch immer an der Tagesordnung, Genitalverstümmelung bei Mädchen sind im Land weit verbreitet. Und dann natürlich in den letzten Tagen haben wir gesehen, wie hart Polizei und Armee gegen friedliche Demonstranten vorgehen. Kann man mit so einem Politiker wirklich noch Geduld haben?

    Brandner: Man muss aus meiner Einschätzung schon unterscheiden. Geduld haben wir in dem Punkt natürlich überhaupt keine. Man muss nur wissen, wo man herkommt. Und deshalb ist meine Auffassung: Die Menge der Gewalt aus der Historie war doch erheblich größer. Es kann ja keiner davon reden – und das sage ich sehr deutlich und darum konfrontieren wir ihn ja auch damit -, es gibt viele Unzulänglichkeiten. Aber ich würde nicht den Standpunkt vertreten, es ist schlechter geworden als zu Zeiten Mubaraks.

    Armbrüster: Und woran machen Sie das fest?

    Brandner: Zum Beispiel an der Medienarbeit, zum Beispiel an Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, wie im Rechtsverfahren umgegangen wird. Es gibt viele Dinge, die überhaupt kritisch angegangen werden. Aber die Menge der Fälle, auch im Gespräch logischerweise mit unseren Diplomaten, oder auch mit Medienvertretern, wo ich natürlich mit vielen das Gespräch dort führe. Darum sage ich, es wäre fatal zu glauben, das Land ist auf einem guten Weg, aber die Situation hat sich nicht verschlechtert. Das will ich damit ausdrücken.

    Kaess: Mein Kollege Tobias Armbrüster im Gespräch mit Klaus Brandner von der SPD. Er ist Mitglied des Bundestages und Vorsitzender der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.#

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