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Die Last mit der (Raum-)Luft

Ökologie. - Da meint man, man tut sich etwas Gutes und baut ein Haus aus Holz, legt Parkett statt Teppich und Linoleum statt PVC. Eine Treppe aus heimischer Kiefer und noch eine Täfelung unter die Decke und alles nicht mit schädlichen Lacken versiegelt, sondern natürlich geölt, damit das Holz atmen kann. Das Haus atmet dann auch kräftig durch, nur die Bewohner haben ihre Last mit der Luft. Wissenschaftler des Fraunhofer-Institutes für Holzforschung in Braunschweig erforschen die Raumluft in den holzgefüllten Bauten und sind zu erstaunlichen Erkenntnissen gekommen.

01.04.2003
    Von Jo Schilling

    Ökologisch und natürlich mit Gesund gleichzusetzen, kann ein Trugschluss sein. Das zeigen Messungen, die Dr. Tunga Salthammer regelmäßig durchführt. Er ist der Leiter des Fachbereiches Chemische Technologie und Umweltforschung des Fraunhofer Institutes für Holzforschung in Braunschweig und misst den Terpengehalt der Luft in Räumen. Terpene sind die kleinen organischen Moleküle, die Nadelhölzer so aromatisch duften lassen.

    Wenn wir Holz in Häusern verarbeiten, in Räumen verarbeiten, dann holen wir uns die Emissionen ins Haus und der große Fehler, den wir in den letzten Jahren gemacht haben auch im Zuge dieser Ökowelle, das meine ich nicht abwertend, ging es dahin, wir brauchen mehr Naturprodukte. Wenn man nur Naturprodukte verarbeitet, das heißt, wenn sie sich Nadelholzböden ins Haus holen, Nadelholztreppen, das ganze noch Ölen und so weiter, dann holen sie sich sehr hohe Konzentrationen von Naturstoffen ins Haus, die sehr ungesund sind.

    Pinien, Limonen, Caren und Co. duften um die Wette, und wenn sich die Harze im Holz zersetzen, kommen noch Aldehyde und Säuren zum Geruchsspektrum hinzu. Das gilt allerdings nur für Nadelhölzer. Wer sich ein Parkett aus Eiche oder Buche leistet und die Wände mit Kirsche vertäfelt, wird auch nicht von Terpenen belästigt. Aber wer es mit dem Verbauen von Kiefer zu gut meint und, so Salthammer:

    Wenn sie dann noch Kiefernholzmöbel haben wollen und die auch noch Ölen, dann haben sie ein Problem glaube ich, ein ganz großes.

    Das Problem sieht so aus: Malerkrätze, eine Krankheit, die durch den Hautkontakt zu Terpenen ausgelöst wird, geschwollene Schleimhäute, tränende Augen, eine triefende Nase und ein kratzender Hals.

    Um nicht nur auf die Empfindung: ‚hier stinkt es!' angewiesen zu sein, haben die Braunschweiger jetzt Grenzwerte ermittelt. Ihre Empfehlung: Mehr als 200 Mikrogramm Terpene sollten auf Dauer nicht in einem Kubikmeter Raumluft herumschwirren. Salthammer:

    Es ist in jedem Neubau so, dass dieser Wert überschritten ist. Wenn sie sich ein neues Kiefernmöbel kaufen und sie stellen das in ihr Wohnzimmer, werden sie anfänglich diesen Wert überschreiten. Das macht aber überhaupt nichts, weil nach ein paar Tagen ist das abgeklungen.

    Steigt der Wert allerdings über 2000 Mikrogramm pro Kubikmeter ist es an der Zeit schnell zu handeln. Tunga Salthammer nennt ihn den Sanierungswert und hat ein Beispiel parat:

    Wir haben vor drei Jahren eine Schule untersucht, die haben alles falsch gemacht, was man überhaupt falsch machen konnte. Die haben ein Kiefernholzparkett als Fußboden verlegt und dieses geölt. Und die hatten anfänglich Konzentrationen von der Summe der Terpene von 5-6000 Mikrogramm pro Kubikmeter und das ging nicht runter. Wir haben da über einen Zeitraum von sieben, acht Monaten gemessen in diesen Räumen.

    Der Schlüssel zum Wohnglück mit Nadelholz liegt in der richtigen Versiegelung. Denn das als so natürlich gelobte Öl enthält selbst viele holzähnliche Komponenten wie Terpene und ungesättigte Fettsäuren. Die werden mit der Zeit ranzig und verderben dann langfristig mit anderen flüchtigen Stoffen wie Aldehyden die Luft. Außerdem lassen Öle die Poren des Holzes offen. Damit kann das Holz dann zwar frei atmen und auch die Terpene aus den tiefsten Winkeln ausdünsten, aber die Bewohner haben Last mit der Luft. Zurück zur Lack-Chemie könnte das Motto der Raumluftforscher aus Braunschweig heißen. Salthammer:

    Polyurethane zum Beispiel. Da haben sie es dann mit Lösemittelkonzentrationen zu tun, die sind anfangs sehr hoch. Bei Polyurethan, wenn ich das verwende, weiß ich halt, ich kann da zwei, drei Tage nicht drin wohnen. Aber wenn sie Terpene haben, Öle, das geht sehr langsam und sie holen sich Langzeitquellen ins Haus, die sie über Monate Jahre beeinträchtigen.

    Ähnliche Effekte haben die Holzforscher bei angeblich ähnlich natürlich-gesundem Linoleum und Kork beobachtet. Linoleum ist eben nicht mehr nur aus Leinöl und Talkum und Kork ist eben nicht nur eine dünne Schicht Baumrinde. Moderne Produkte strotzen vor Additiven, werden thermisch behandelt, geklebt und gepresst. Tunga Salthammers traurige Bilanz:

    Die Frage nach gesunder Natur oder ungesunder Chemie stellt sich unter unseren heutigen urbanen Lebensbedingungen eigentlich gar nicht mehr. Weil auch Naturstoffe oder Naturprodukte, die wir in unseren Innenräumen haben, sind keine Naturprodukte, sondern bestenfalls naturnah.