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Die Legende vom politischen Film

Fritz Lang verstand es zu inszenieren: Um das Verbot seines Films "Das Testament des Dr. Mabuse" im Jahr 1933 ranken sich Legenden. Der dritte Teil der Mabuse-Tetralogie war jedoch kein - wie von Lang behauptet - politisches Werk, sagen Filmwissenschaftler. Vor 80 Jahren feierte der Film Premiere.

Von Marli Feldvoß | 12.05.2013
    "In den letzten Märztagen ’33 wurde ich aufgefordert, bei dem Propagandaminister Goebbels an einem Abendessen teilzunehmen. Und als das Essen zu Ende war, hielt er eine große Rede. Leider, sagte er, musste ich heute einen Film verbieten: 'Das Testament des Dr. Mabuse'."

    Ob es sich wirklich so, wie von Fritz Lang geschildert, zugetragen hat? Bekanntlich hat der Regisseur nach der Emigration nach Hollywood gern an seiner Legende gestrickt. Tatsache ist indes, dass die für den 24. März 1933 angesagte und zunächst nur verschobene deutsche Uraufführung seines Films "Das Testament des Dr. Mabuse" im Berliner Ufa-Palast am Zoo verboten wurde. "Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" lautete die Begründung der Filmprüfstelle. Von Joseph Goebbels sind indes noch tiefere Einsichten überliefert:

    "Ich werde ihn deshalb verbieten, weil er beweist, dass eine bis zum Äußersten entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie es nur ernstlich will, durchaus dazu imstande ist, jeden Staat aus den Angeln zu heben."

    "Das Testament des Dr. Mabuse" kam dann am 12. Mai 1933 im Stufa-Kino in Wien und nicht in Berlin zur Uraufführung. Erst 18 Jahre später, 1951, erlebte die inzwischen stark verstümmelte deutsche Filmfassung, die all die Jahre als verschollen galt, ihre von Kritik und Publikum gefeierte Deutschlandpremiere. Eine so gut wie vollständig restaurierte Fassung existiert erst seit 2001.

    Dieser dritte Film der Mabuse-Tetralogie schließt unmittelbar an den zweiteiligen Stummfilmerfolg "Doktor Mabuse, der Spieler" von 1922 an, der Langs Durchbruch bedeutete. Vorsorglich hatte der Regisseur auf das tödliche Ende der Romanvorlage von Norbert Jacques verzichtet, um seinen verbrecherischen Arzt zehn Jahre später erneut auf die Menschheit loszulassen. Der schickt sich nunmehr an, aus der Zelle einer Irrenanstalt heraus sein despotisches "Testament" mit einer Truppe ergebener Helfershelfer zu vollstrecken:

    "Die Seele der Menschen muss in ihren tiefsten Tiefen verängstigt werden durch unerforschliche und scheinbar sinnlose Verbrechen. Verbrechen, die niemandem Nutzen bringen, die nur den einen Sinn haben, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenn das Chaos zum obersten Gesetz erhoben, dann ist die Stunde der Herrschaft des Verbrechens da."

    Zur Fritz-Lang-Legende gehört auch, dass der Regisseur über Nacht - wie ein Flüchtling - seine Heimat verlassen musste. Dass er in Wirklichkeit seine Emigration sorgfältig plante und Nazideutschland nachweislich erst im Juli 1933 in Richtung Hollywood verließ, ist inzwischen belegt. Ebenso ist überliefert, Joseph Goebbels habe ihm, einem so genannten "Halbjuden", sogar die "Führung" des deutschen Films angetragen. Heute herrscht allgemein Konsens darüber, dass Fritz Lang keineswegs als der politische Kopf anzusehen ist, zu dem er sich gern stilisierte:

    "Ich verwendete diesen Film zum ersten Mal als eine politische Waffe. Ich legte nämlich damals in den Mund eines wahnsinnigen Verbrechers Nazi-Slogans."

    Obwohl auch Siegfried Kracauer in seinem 1947 erschienenen Standardwerk "Von Caligari bis Hitler" in Bezug auf das "Testament des Dr. Mabuse" von Ähnlichkeiten "zwischen einer Bande von Filmverbrechern und der Hitlerbande" spricht, verweigert er dem Regisseur selbst jedwede politische Absicht. Der skeptischen Einschätzung Kracauers, der Langs Kino mit autoritären Figuren ausgestattet sah, die konservative nationalistische Werte verbreiteten, steht eine geradezu hymnische Verehrung des Regisseurs durch die Nouvelle vague gegenüber: Dort feierte man Lang als Meister der Mise-en-scène und des Illusionskinos.

    Diese unterschiedlichen Lesarten tun der unbestrittenen künstlerischen Bedeutung von Langs Werk und der Mabuse-Filme keinen Abbruch. Nur der 1960 gedrehte vierte Teil "Die Tausend Augen des Dr. Mabuse", der in einem Nazihotel mit doppelten Wänden spielt, wirkte wie aus der Zeit gefallen. Auf Fritz Langs letzte Regiearbeit folgten noch sieben weitere Mabuse-Ableger anderer Regisseure - ein schaler Abgesang auf eine unvergessene große Figur des deutschen Films.