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Die letzte geteilte Nation Europas

Seit 1974 trennt die sogenannte "Green Line" den griechisch-zyprischen Süden vom türkisch-zyprischen Norden. Anders als beim Bau der Mauer in Deutschland wurden hier keine Familien getrennt, sondern "nur" Freunde und Bekannte – einer der Gründe, warum die Teilung noch andauert.

Von Steffen Wurzel | 12.08.2011
    Am eindrucksvollsten kann man die Teilung Zyperns direkt in der Hauptstadt Nikosia erleben. Wer sich aus dem Südteil der Stadt zu Fuß auf den Weg in Richtung Norden macht, stößt irgendwann auf Stacheldraht, auf Sandsäcke und auf verbarrikadierte Häuser. Direkt dahinter verläuft die sogenannte "Green Line", die insgesamt gut 180 Kilometer lange Grenzlinie. Sie trennt den griechisch-zyprischen Süden vom türkisch-zyprischen Norden. Auf der teilweise mehrere hundert Meter breiten "Greenline" fahren UNO-Blauhelmsoldaten mit Geländewagen Patrouille.

    "In Nikosia geht die Demarkationslinie quer durch das Zentrum der Stadt. Und wenn man das sieht und wenn man auch ein bisschen an der Demarkationslinie entlang geht und da die Barrikaden sieht, die Wachposten, den Stacheldraht, dann kommt automatisch die Parallele zu Berlin hoch."

    Diese Bewohnerin des griechischen Südteils der zyprischen Hauptstadt weiß, wovon sie redet. Sie ist in Deutschland aufgewachsen. Am 9. November 1989 erlebte sie den Mauerfall in Berlin mit.

    Nikosia und der Rest Zyperns sind nach wie vor geteilt, seit nun 37 Jahren. 1974 besetzte die türkische Armee den Nordteil der Insel, als Reaktion auf einen Putschversuch durch griechisch-zyprische Militärs, die die Insel mit Festland-Griechenland vereinigen wollten. Der Putsch scheiterte, doch die türkischen Truppen blieben. Noch heute sind Zehntausende türkische Soldaten im Nordteil Zyperns stationiert.

    "In Deutschland war es so, dass Familien getrennt worden sind, aber das war hier auf Zypern nicht der Fall. Hier sind Freunde, Bekannte getrennt worden; weil es diese gemischten Familien nicht gegeben hat, weil Mischehen nicht üblich gewesen sind."

    So hart es klingt: Die Tatsache, dass in Zypern keine Familien getrennt wurden, sondern – in Anführungszeichen – "nur" Freunde und Bekannte, ist einer der Gründe, warum die Teilung noch andauert. Denn auf beiden Seiten haben sich erschreckend viele Menschen mit der Teilung abgefunden. So wie diesem 20-jährigen Studenten aus dem türkischen Nordteil der Insel geht es vielen Gleichaltrigen.

    "Ich glaube nicht an eine baldige Wiedervereinigung. Ich kenne weder die Sprache noch die Religion und auch nicht die Sitten und Bräuche der anderen Seite. Unseren Enkelkindern wird ein gemeinsames Leben vielleicht wieder gelingen. Ich selber hätte gar nichts von einer Wiedervereinigung mit dem Süden. Deswegen ist mir das eigentlich egal."

    Auch wenn die martialischen Absperranlagen noch stehen: Seit 2003 ist die innerzyprische Grenze durchlässig.

    An sieben Grenzübergängen kann man relativ einfach "rübermachen", von Süd nach Nord oder umgekehrt. Reisepass zeigen, Einreisezettel ausfüllen, Stempel drauf und fertig. Einzig die sogenannten türkischen Siedler aus dem Nordteil der Insel, also Einwanderer vom türkischen Festland und türkische Staatsbürger, können nicht so einfach vom Norden in den griechischen Süden reisen.

    2004 sah es so aus, als könnten die Grenzbefestigungen ganz abgebaut werden. Damals war eine Lösung des Konflikts in greifbarer Nähe. Die Bewohner beider Inselteile stimmten über einen vom damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan ausgearbeiteten Wiedervereinigungsplan ab - doch der griechische Süden sagte Nein. Der Annan-Plan scheiterte.

    Inzwischen verhandeln die Vertreter der beiden zyprischen Landesteile wieder über eine Vereinigung der Insel. Doch de facto sind die Verhandlungen festgefahren. Ein Durchbruch ist nicht in Sicht. Der Verhandlungsführer der griechischen Zyprer, Georgios Iakovou, ist wenig optimistisch. Er erinnert sich an seine Zeit als zyprischer Botschafter in Bonn, Ende der 70er-Jahre war das.

    "Man glaubte damals, dass das Zypern-Problem nicht so bedeutend sei und dass eine Wiedervereinigung der Insel schneller vonstatten gehen würde als im Falle des geteilten Deutschlands. Ich dachte damals das Gegenteil: dass Deutschland zuerst wiedervereinigt würde. Ein Jammer, dass ich damals nicht gewettet habe. Mein Tipp war richtig."