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Die Liebe und das Vaterland

Die Liebe und das Vaterland – das sind die beiden Hauptbestandteile der Rezeptur, aus der Joseph Kupelwieser und Franz Schubert im Jahr 1823 ihre heroisch-romantische Oper "Fierrabras zusammenbrauten.

Ein Beitrag von Frieder Reininghaus | 07.10.2002
    Mit der Liebe ist es, wie im wirklichen Leben des Komponisten, bei aller Herzinnigkeit der ihr hier zugedachten Tonkunst ein wahres Kreuz. Denn es geht in der verworrenen Geschichte mit den Beziehungen doppelt über Kreuz: Die altfränkische Königstochter Emma liebte einst in Rom Fierrabras, den Sohn des Sarazenenfürsten Boland, am Pyrenäen-Hang entwickelt sie dann aber einen starken Drang in Richtung Eginhard. Der ist bloß ein armer Christ und Ritter, singt liebreizend zur Laute; er wäre bei Hofe erst vorzeigbar, wenn er Heldentaten vollbrächte (wobei er sich dann verheddert). Auf der anderen Seite: Florinda, die Schwester des Fierrabas; sie liebt den rasenden Roland. Auch das ist ein Mann aus dem falschen Lager. Ach, machen diese Kinder ihren regierenden Vätern Sorge und Ungemach! Boland verflucht den Sohn, als dieser dem Glauben an Allah untreu wird. Und König Karl, der von Emmas Liebesleben nichts wissen darf, sorgt mit mehreren überraschenden Einkerkerungen und Freilassungen für manche Verwirrung der Politik und der Herzen. Immer wieder ziehen die Männer in den Krieg oder rücken, was dann lebenspraktisch kaum einen Unterschied macht, zu friedensstiftenden Missionen aus. Opern-Vaterländer dieses Zuschnitts brauchen offenkundig eine gehörige Dosis Waffengeklirr.

    Soweit so gut. Oder auch nicht ganz zu gut. Das alles, gerade auch in seiner haarsträubenden Inkonsistenz, gehört zum Opern-Alltag. Anders verhält es sich mit Heimat und Nation, wobei das Karolingerreich nach dem Verständnis der jungen Romantiker und Demokraten in Wien ziemlich fraglos als Vorläufer eines neuen Reichs, eines geeinten Deutschland begriffen wurde. Die entsprechenden Passagen besaßen mithin zur Entstehungszeit des Werks - anders als heute - nicht unerhebliche Brisanz.

    Mehrfach wird von Kupelwieser und Schubert das "Theure Vaterland" besungen. Beschwörend taucht dessen inbrünstiger Ton bereits in der Ouverture auf. In Hinterhalt und Haft geraten, schmettern und knödeln die zum Tode verurteilten fränkischen Helden ihren patriotischen Cantus. Der Regisseur Tilman Knabe hat die Kriegsgefangenen bis auf die Unterhosen ausziehen lassen; in der Todeszelle stellen sie den zufällig dort hochkant gekippten Flügel auf die Beine und spielen Schubertiade. Im Klavier finden sie die passende Anzahl von Schwertern - für jeden eines, aber bitte nicht drängeln. Statt nun aber raschentschlossen einen Ausfall zu wagen, formieren sie sich erst noch einmal parodistisch zum vierstimmigen Männergesang.

    Zwischen 1820 und der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in mehreren europäischen Länder Werke für das Musiktheater, in denen Unabhängigkeitskämpfe nachzucken – von Rossinis "Tell" bis zu Verdis "Giovanni d'Arco", "Nabucco" oder "Aida". Auch an deren militärischen und patriotischen Komponenten hat sich das Regie-Theater bereits gebührend gerieben. Mit dem Nachhall von Lützows wilder verwegener Jagd bei Kupelwieser und Schubert aber scheint ein Regisseur wie Knabe gar nichts anfangen zu können oder zu wollen. Jedenfalls packte er die Handlung in einen Betonbunker, gleich, ob sie nun am Hof des großen Karl, im Palast Bolands oder unterwegs spielt. Das Bekleidungszubehör stammt von den Ausgehuniformen der Kürassiere und von der Stange der Frankfurter Kaufhäuser. Die politische Dimension des Werks wurde lieb- und beziehungslos abgehalftert, der Fünfecksgeschichte der jungen Liebenden erging es nicht viel besser. Beziehungslos stehen sie am Ende beieinander. In grauem Licht werden sie nach hinten weggedreht – zurück in die Dämmerung der Historie, aus der sie nicht zum Leben erwachen sollten - und zu einem farbenprächtigen Dasein schon gar nicht.

    Die neue Frankfurter Inszenierung verhält sich auf eine die Zuschauer beleidigende Weise ignorant. Dabei hätte diese Fantasy-Story der Biedermeier-Zeit durchaus interpretiert oder z.B. mit Video-Mitteln animiert werden können. Das hätte dann vielleicht auch der so dezidiert undramatischen Musik Schuberts gut getan. Das Museums-Orchester exekutiert sie unter Paolo Carignanis Leitung einigermaßen manierlich. Freilich leidet das mit reichlich gesprochenem Dialog ausgestattete dröge deutsche Singspiel an einer aus Bolivien, Schweden, Island, Korea, Australien, Finnland und den USA zusammengekauften Sängerbesetzung, die konsequent dafür sorgt, dass der Text unverständlich bleibt. Was als Delikatesse zum Auftakt der Intendanz von Bernd Loebe gedacht war, mundete wie ein Berliner, der mit Senf oder Sägespänen gefüllt wurde.

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