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Die Lust an der Zensur

In seinem Essay über "Kunst und Religion - vom Wert des Verbietens" wünscht sich Martin Mosebach eine rigorosere Anwendung des Blasphemie-Paragrafen 166 und die Zensur zurück. Nicht nur von atheistischer Seite schlägt dem Büchnerpreisträger und bekennenden Katholiken dafür Kritik entgegen.

Von Agnes Steinbauer | 27.07.2012
    Seit der Schriftsteller Martin Mosebach Mitte Juni in der "Berliner Zeitung" eine striktere Anwendung des Blasphemie-Paragrafen forderte, ist eine heftige Debatte entbrannt: Wie weit darf die Kunst in der Religionskritik gehen?

    "Herr Mosebach ist auf einem sehr eigenwilligen Trip - zum religiösen Eiferer katholischer Prägung ... "

    Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, wundert sich über den neuesten Coup seines Akademie-Kollegen Martin Mosebach. In dessen Essay über "Kunst und Religion - vom Wert des Verbietens" wünscht sich der Büchnerpreisträger und bekennende Katholik die Zensur zurück.

    Zu sehr dürften sich Künstler in Deutschland gotteslästerlich austoben - unbehelligt vom Blasphemie-Paragrafen 166, der endlich, so Mosebach, viel rigoroser zur Anwendung kommen soll. Nach dem Strafgesetzbuch drohen demjenigen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen, der "durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören."

    Martin Mosebach findet: "Es wird das soziale Klima fördern, wenn Blasphemie wieder gefährlich wird." Doch da schlägt Mosebach nicht nur Kritik von atheistischer Seite entgegen. Auch Petra Bahr, die Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, hält von dieser These nichts:

    "Ich glaube das soziale Klima wird da gefördert, wo Menschen mit Respekt vor der Haltung und dem Glauben anderer umgehen, auch wenn sie das nicht ertragen oder verstehen, aber mit Sicherheit nicht durch einen Blasphemie-Paragrafen und durch strafrechtliche Verfolgung derer, die mal einen komischen Witz über eine Religion machen oder sogar in einem Kunstwerk die Religion provozieren."

    "Seitdem in Deutschland eine starke islamische Minorität lebt, ist plötzlich wieder Musik in die Sache gekommen", schreibt Mosebach und freut sich darüber, dass "beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern, einen gewaltigen Schrecken einjagen". Für den Akademiepräsidenten und Künstler Klaus Staeck hört hier der Spaß auf:

    "In der Konsequenz finde ich es höchst gefährlich. Es ist nicht bloß ein Spaß, wo wir uns alle mal ein bisschen abarbeiten, sondern wenn man es erst nimmt, ist das eine Art Aufruf an die religiösen Fanatiker, die die Liberalität, die wir zurecht pflegen, auf die wir stolz sind, die wir mühsam erarbeitet haben, die wieder - in Teilen zumindest - infrage zu stellen. Wenn das das Ziel sein soll, diesen Leuten, die die Blasphemie ganz anders interpretieren möchten, denen entgegen zu kommen - da kann ich nur sagen: Ist der Mann noch zu retten."

    Bestes Argument dafür ist für Staeck die Tatsache, dass der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard seit 2005 nur noch unter Polizeischutz leben kann; ganz abgesehen von höchst aktuellen Beispielen, die Petra Bahr dazu einfallen:

    "Ich finde an der Stellungnahme Martin Mosebachs vor allem persönlich irritierend, dass er diesen Text geschrieben hat in der Woche, in der eine Fatwa auf einen jungen iranisch-stämmigen Popmusiker verhängt wurde, der ist seines Lebens nicht mehr sicher. Der weiß, was es heißt, wenn staatliche Institutionen Blasphemie-Verdacht äußern und damit verliert es auch seine ästhetische Harmlosigkeit - dieses Problem."

    Gleiches Recht für alle? Wenn Islamisten das Leben von Künstlern durch eine Fatwa bedrohen, warum sollte dann die vermeintliche Beleidigung des Christentums ungesühnt bleiben? Etwa der gekreuzigte Frosch von Martin Kippenberger, Madonna in anzüglicher Pose vor dem Kreuz oder der Papst, der dem Satiremagazin "Titanic" mehr als einmal als Witzfigur diente. Martin Mosebach beschreibt in seinem Essay noch einen angeblichen "Vorteil" staatlich gemaßregelter Künstler: Die Zensur verfeinere den Stil und könne so die Kreativität des Künstlers beflügeln.

    "Aber diese skurrile Interpretation, dass dann die Kunst, wenn sie gefährlicher leben würde, angeregt würde zu neuen Höhen, wie: Nur die Armut gebiert Großes, nein, das ist einfach absurd und passt überhaupt nicht in die Zeit. Der Staat hat sich nicht in die Kunst einzumischen, das ist eine Grundüberzeugung, zu der wir uns Gott sei Dank durchgerungen haben, alle miteinander."

    Der Schriftsteller Ingo Schulze - mit allen Zensurerfahrungen aus DDR-Zeiten gewappnet - bedankte sich beim Kollegen Mosebach mit einer Satire: "Bravo!", schrieb er in der "Frankfurter Rundschau". "Künstler brauchen den Denkzettel [...] Wenn dem heutigen westlichen Schriftsteller etwas fehlt, dann [...] die Möglichkeit, durch sein Schreiben die eigene Existenz [...] zu ruinieren."

    Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche, sieht das Ganze mit Gelassenheit.

    " Es gibt eine ganz enge Geschwisterschaft zwischen Religionsfreiheit und Kunstfreiheit, und auch wenn die sich wechselseitig ärgern, muss man immer daran denken, dass das Freiheiten sind, die ihre gleichen Wurzeln haben und wer die Freiheit der Künstler bekämpft, bekämpft mittelfristig auch immer die Freiheit der Religion. Das zeigen alle totalitären Regime. Deswegen glaube ich die größte Gemeinheit, die die Kirchen gegenüber dieser Art von blasphemischen Versuchen begehen kann, ist Ignoranz."

    Und aus Künstlersicht fasst Klaus Staeck die Debatte so zusammen:

    "Gut gebrüllt Löwe, aber lass es uns schnell vergessen und weiter für die Meinungsfreiheit streiten."