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Die lyrische Stimme Italiens ist tot

Ganz Italien und die Musikfans in der ganzen Welt trauern um Luciano Pavarotti. Laut Thomas Voigt war es sein phänomenal hohes C, das ihm die Tür zur Weltkarriere an der Metropolitan Opera öffnete. Solch einen Ton habe man nicht von Natur aus, eine profunde Ausbildung sei dafür verantwortlich gewesen.

Moderation: Karin Fischer | 06.09.2007
    Karin Fischer: In Modena, wo in den 50er Jahren eine Karriere begann, die am 10.02.2006 bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Turin ihren weltumspannenden musikalischen Abschluss fand, als Luciano Pavarotti noch einmal Puccinis "Nessun dorma" schmetterte, jenes Stück, das 1990 als Hymne zur Fußball-WM avancierte und Pavarottis zweite Karriere auf der Bühne der Welt sozusagen begründete. Dazu kommen wir gleich. Zunächst aber die Frage an meinen Kollegen Thomas Voigt: Der Bäckersohn aus Italien hat ja schon eine phänomenale Karriere hingelegt, nicht am Anfang wegen eines außerordentlichen Repertoires, sondern dank seines auch schon erwähnten phänomenalen hohen Cs, das er eine Viertel Minute aushalten konnte und das Kritiker damals als ein bisschen halbstark bezeichneten.

    Thomas Voigt: Er hatte sicherlich mit seinem hohen C vor allen in Donizettis "Regimentstochter" an der Metropolitan sich die Tür zur Weltkarriere geöffnet. Und das muss natürlich auch technisch vorher angelegt sein. So einen Ton hat man nicht von Natur. Also er hatte wirklich eine sehr profunde Ausbildung, zuerst bei Arrigo Pola, dann bei Ettore Campogalliani, und hat also schon sehr solide gesungen in seinen Anfangsjahren, hört man immer wieder von Zeitzeugen. Eine davon war Mirella Freni, die auch zugleich seine Milchschwester ist, die beiden hatten die gleiche Amme. Ihre Mütter arbeiteten beide in derselben Zigarrenfabrik. Und da hieß es, der Tabakqualm lässt die Milch sauer werden, die Kinder brauchten eine Amme. Und die Freni hat dann immer gesagt, ist ja wohl klar, wer den größeren Teil der Milch bekommen hat.

    Fischer: Dazu kamen bei Pavarotti eine große Bühnenpräsenz, eine absolut unverkennbare Stimme von großer Klangqualität und auch so etwas wie Charisma oder Aura. Seine Paraderolle zu Beginn war ja wohl der "Rodolfo" in Puccinis "La Bohème", das war Belcanto in Reinform.

    Voigt: Ja, eigentlich ist das Repertoire ja Puccini verismo, wie man so sagt, also schon mit ein bisschen so brutaleren Gesangsmitteln, aber Pavarotti hat das mit den Mitteln des Belcanto, mit den Mitteln der alten Schule gesungen. Und dadurch kam diese unglaubliche Wirkung seines Singens zustande, gerade bei Puccini. Und diese Bohème-Aufnahme mit Mirella Freni, mit Herbert von Karajan am Pult, ist eine der schönsten überhaupt des ganzen Opernkatalogs.

    Fischer: Und für Donizettis "Liebestrank" sind 1988 in Berlin 115 Vorhänge verzeichnet. Das ist groß.

    Voigt: Da muss man sagen, das galt sicherlich nicht nur der tollen Gesangsleistung, sondern auch da dem Darsteller. Denn der war gerade in dieser Rolle so als etwas unbeholfener Bär auf der Bühne, der so verliebt ist und sich in seiner Verliebtheit gar nicht zu helfen weiß, da hatte er was unendlich Rührendes, nicht nur in der Stimme, auch in der Darstellung. Das weiß ich noch ganz genau, dass das auch aufs Publikum überging.

    Fischer: Das muss vor allem deswegen erwähnt werden, weil ja ansonsten eigentlich seine Unbeweglichkeit sprichwörtlich geworden ist, allein schon natürlich wegen der Körperfülle.

    Voigt: Sicher, in dem Konzert und wenn er da mit dem weißen Taschentuch stand, auch das hatte irgendwie noch eine Grandeur. Ich fand das nie peinlich oder so oder habe gedacht, mein Gott, der muss mal abnehmen, sondern das war ab einem gewissen Punkt ein Markenzeichen, wie bei der Montserrat Caballé auch. Wo man gedacht hat, die behaupten das einfach, die behaupten ihre Körperfülle und triumphieren damit.

    Fischer: Der Kritiker Jürgen Kesting hat den Ausdruck "Niedergang in den Ruhm" geprägt und damit das Phänomen Pavarotti gemeint, wie es dann zu Zeiten der drei Tenöre aussah, an die Pavarotti übrigens anfangs gar nicht wirklich geglaubt hat, weshalb er sich die Gage vorher auszahlen ließ. Holländer im Interview hat gerade "Öffnung" dazu gesagt, wir hören deshalb noch einmal das Stück, mit dem alles begann. Die Arie "Nessun dorma".

    Voigt: Luciano Pavarotti mit "Nessun dorma", sein, denke ich mal, größter Hit, mit dem er ja auch 1990 in Rom ein Weltpublikum erobert hat, im Sturm erobert hat. Man hört natürlich auch bei diesen Stücken, gerade bei Puccini, die sinnliche, ja die erotische Qualität seines Singens. Und Kesting spricht in seinem Sängerbuch ja auch vom "singenden Erotikon". Als solches hat Pavarotti ja auch riesige Fans erschlossen, nicht nur eben die Opernfans, sondern eben auch alle, die sich von der Magie des Singens erreichen lassen und vielleicht auch von der Sinnlichkeit des Singens. Das müssen nicht notwendigerweise Opernfans sein.

    Fischer: Eine halbe Million im New Yorker Central Park, 1993 waren das zum Beispiel die Auftritte mit Elton John oder den Spice Girls, der Live-Mitschnitt von der Fußball-WM 1990, als mit zehn Millionen Platten und CDs der größte Klassik-Bestseller der Musikgeschichte überhaupt. Auch an Sie deshalb noch mal die Frage: Was hat das für einen Einfluss auf das Geschäft mit der Klassik gehabt?

    Voigt: Ich würde doch sagen, nach all den Jahren, die inzwischen ins Land gegangen sind, doch einen besseren, als ich damals befürchtet habe. Ich denke heute, dass mehr Leute zu der Klassik hingeführt worden sind, als dass sich vielleicht Klassikfans durch die Kommerzialisierung vielleicht etwas abgewandt haben davon. Ich glaube, dass es letzten Endes einen Effekt gab, man könnte vielleicht sagen einen rattenfängerischen, aber mir ist es lieber, man fängt die Ratten und begeistert sie für die Musik, als dass man sie ignoriert.

    Fischer: Herzlichen Dank, Thomas Voigt, für diese Würdigung des Startenors Luciano Pavarotti, der heute im Alter von 71 Jahren gestorben ist.