Freitag, 19. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im August 2012

Wie oberflächlich ist unsere Gesellschaft? Was verbirgt ein jeder tief in seinem Innersten? Und ist die geschaffene Oberfläche letztlich vielleicht nur ein Schutz?

17.10.2012
    Viele eurer Gedichte beschäftigen sich mit den Oberflächlichkeiten, die sich im alltäglichen Leben an jeder Ecke finden, mit Statussymbolen und Äußerlichkeiten. Ihr stellt die Frage, ob es wirklich immer das Neueste vom Neuesten sein muss und ob man, wenn man nicht mitzieht, den Anschluss verliert. So schreibt ein Schüler: wir "(...) ertränken uns in Bubble-Tea." Doch ist es wirklich wichtig ob jemand Bubble-Tea oder Cola trinkt? Macht das einen Unterschied? Seine inneren Werte sind deswegen nicht anders.

    Das zeigt ihr auch in euren Gedichten und schreibt über Liebe und Freundschaft, die stark genug ist hinter die Fassade zu blicken und die eigentliche Persönlichkeit einer Person zu erahnen, die "für das Auge unsichtbar" ist.

    Doch geht es in der Liebe und in der Freundschaft nicht immer harmonisch zu, daher thematisiert ihr auch die Beziehungen, die an den Oberflächlichkeiten scheitern. Denn wenn es zu Empfindungen, Gefühlen und Auseinandersetzungen kommt, kann auch ganz schön scharf geschossen werden. Das zeigt das Gedicht einer Teilnehmerin, sie schreibt: "Erste Blicke fallen, wie Schüsse schießen, Streifschüsse, Urteile treffen, dann Tore sich schließen (...)".

    Eine andere Teilnehmerin benennt den Schmerz als Erfahrung und lässt die Wunden heilen: "(...) alles gut verkleben und an der oberfläche nur narben zurückbehalten die unter der oberfläche ihre wurzeln haben (...)".

    Ihr setzt euch auch mit euren eigenen Vorurteilen auseinander. Eine Schülerin findet eine sehr pragmatische Lösung - Sie lässt ihren Kopf fallen: "Ich ließ ihn hinter mir liegen und ging fort."

    Tiefsinnig und ehrlich sind eure Gedichte.

    Hier sind die fünf Monatsgewinner aus dem August! Wir gratulieren!



    bröckeln. alltag.

    die tage haben risse bekommen zwischen
    innen und außen stein und mörtel
    adern und haut mir und träumen
    in meiner hand blieb nur eine vision zurück
    die sich nicht ganz so perfekt abzeichnen lies
    vielleicht hat an manchen stellen meine hand
    einfach zu sehr gezittert als sie nach deiner greifen wollte
    aber alles rückgängig machen geht nicht denn
    life is like drawing without a rubber
    also werde ich geknüllte taschentücher und
    fehltritte wohl erfahrung nennen
    mich mit jedem splitter meiner selbst akzeptieren
    alles gut verkleben und
    an der oberfläche nur narben zurückbehalten die
    unter der oberfläche ihre wurzeln haben
    die mich im wind des schicksals festhalten und stärker machen

    während die zeit zwischen
    nicht gemachten hausaufgaben und nach dem
    sinn des lebens suchen verging
    haben meine tage risse bekommen.

    (Lena Kleist, aus Wermelskirchen, Städtisches Gymnasium Wermelskirchen, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)


    Marmor

    Ein Mädchen aus Marmor, Gold und Diamant,
    das jeder zur Vollkommenheit berufen fand.
    Gesegnet mit allem, so zeigt es der Schein,
    die Perfektion vereint in sich selbst zu sein.
    Das Mädchen strahlt, lächelt und winkt,
    wie ein Vögelchen das zur Sonne singt.

    Doch Niemand ahnt was in ihr versteckt,

    sich verzweifelt nach Liebe streckt.
    Nicht einer sieht wie sie trauert und weint,
    ist sie doch sich selbst der größte Feind.
    Nur einmal am Tage, wenn die Sonne erwacht,
    lässt sie die Melancholie zu, am Ende der Nacht.

    Denn das Mädchen zerrissen durch großen Verrat,
    begeht eine letzte, verzweifelte Tat.
    Verabschiedet sich lächelnd von dieser Welt,
    auf der sie jeder für vollkommen hält.
    Die Maske fällt, das Vögelchen fliegt,
    vorbei an dem Mädchen, das am Boden liegt.

    Gebrochener Blick, vergessen, allein
    und das Mädchen hört auf perfekt zu sein.

    (Isabelle Neumann, aus Ludwigshafen, Heinrich-Böll-Gymnasium, Klasse 8, Muttersprache Deutsch)


    Nebel

    Er umgibt dich wie ein undurchsichtiger Schleier
    Hinter dem du dich verbirgst
    Dich verbirgst
    Und glaubst
    Dich zu schützen

    Deine äußere Schale glänzt wie Marmor
    Kühl, glatt und perfekt

    Dein innerer Kern
    Völlig unberührt
    Unangetastet
    Wie mit einem PIN-Code geschützt
    Ich will sie knacken, die Walnussschale
    Und dich sehen
    Wie du bist
    Und nicht
    Was du vorgibst zu sein
    Doch du lässt mich nicht

    (Lena Marie Hinrichs, aus Wentorf, Hansa-Gymnasium Bergedorf, Klasse 7, Muttersprache Deutsch)


    hinter den dingen

    straßenbahngleise, gehetzte
    aktenkoffer, asphalt

    münder geschlossen wie türen
    fassaden, fenster, ziegel

    geruch: menschen, treppen,
    gedanken an licht

    an diesem tag
    war der himmel

    blau wie
    die sehnsucht hinter den dingen

    (Ansgar Riedißer, aus Renningen, Gymnasium Renningen, Klasse 8, Muttersprache Deutsch)


    Unter der Oberfläche verloren

    Der letzte Lichtschimmer
    über mir
    längst hinter mir
    zurückgelassen
    oben gleicht unten
    taumle orientierungslos
    tiefer hinab
    oder wieder hinauf
    wollte den Dingen
    auf den Grund gehen aber
    da ist kein Grund
    nur Wasser
    ich treibe hinab in
    tiefere Gewässer
    meine Lunge
    schreit nach Luft
    mein Auge
    nach Licht
    mein Verstand
    nach Realität
    aber ich habe mich
    hoffnungslos in der Tiefe meiner
    Tiefgründigkeit
    verloren.

    (Katharina Weidl, aus Langen, Dreieichschule Langen, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)