Dienstag, 16. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im August 2014

Im August wollten wir von euch wissen, was Fremde für euch bedeutet. Hier die Gedichte der Monatsgewinner.

29.08.2014
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Scowen & Co: Eingang zum buddhistischen Tempel in Kandy, ca. 1876, Albuminabzug, 224 x 280 mm, Museum für Ostasiatische Kunst Köln, P 551 (Museum für Ostasiatische Kunst)
    Im August befasste sich lyrix mit dem Thema 'In die Fremde'. Eure Einsendungen dazu, inspiriert von historischen Fotografien aus dem Ostasiatischen Museum Köln und einem Gedicht von Birgit Kreipe, sind sehr unterschiedlich und spielen auf verschiedensten Arten von Fremde an.
    Dass es hier um etwas Unbekanntes geht, das unwohle Gefühle und auch Angst auslöst, wird in vielen der Texte deutlich. 'Fremde' wird nur in wenigen Gedichten als etwas Positives betrachtet, das erforscht werden kann und dem man mit Neugier begegnen sollte.
    Es geht um ungeklärte Fragen, Unausgesprochenes oder auch um Angst vor dem was in der Ferne auf einen warten könnte. Um die unbekannten Konflikte, die noch nicht ausgefochten sind.
    Fremde begegnet uns überall: auf Reisen ins Ausland, auf der Flucht in ein unbekanntes Land, oder auch als innere Fremde, die wir uns selbst gegenüber verspüren.
    Hier kommen die vielseitigen Beiträge unserer Monatsgewinner:
    die anderen
    auf in die fremde bei unbekannten häusern stehn auf
    unbekannte busse warten die als flache schatten kommen
    und uns mit sich tragen
    draußen: die zeit es dunkelt den ganzen august und weiter
    an keiner der bekannten himmelsrichtungen entlang nur
    vorwärts ins gelobte land das uns
    zitternd wieder ein stück flieht im warmen körper eines tiers
    wir verlassen jeden anhaltspunkt jeden weg zurück
    und wenden wir uns flüchtig einander zu ist da die fremde
    zieht uns tief ins jeweils andre ich
    (Ansgar Riedißer, Jahrgang 1998)
    feuchte Luft
    Was ist mein gesprochenes wort an der
    schmalen zungenstelle an der niemand
    versteht wie sich die Lippen formen im
    zwielicht einer weißen Reisenden
    der Blick kreuzt sich im wind mit
    ungeraden Kinderaugen über Glasnudeldampf
    und zum Ende stößt er mit sich selbst zusammen
    kurz vor Cambodia und dem gespiegelten Meer
    flugtickets in der bauchtasche wiegen
    im Anbruch der westlichen Laune so
    schwer wie eintausendfünfhundert Mittag-
    essen der wahren köchin am wegesrand die
    stumm bleibt über diesen Umstand und nur
    in unsrer sprache ihre haut verbannt, wir
    sehen auf den boden, unserm essen beim
    verschwinden zu
    Tourismusmühlen malen auf der Karte
    eifrig ziele der Vorangegangenen
    in den Tempeln scheint das truglicht
    der verbundenheit, der europäer,
    der verzweifelt nach Meditation
    aus dem Schaufenster schreit
    eine Khmer Prostituierte im straßenlicht der Dunkelheit
    schweigend sehen wir uns fragend an über dem hellen
    Nacken ihres Freiers ist da diese Unerträglichkeit dass
    jede Frage im Schweigen unausgesprochen
    bleibt
    (Hanna Thomschke, Jahrgang 1994)
    Begegnung
    Du warst eine Fremde
    in der Ferne vor mir
    Teil des Horizonts
    dem ich mich genähert habe
    so weit
    dass man die Augen zusammen kneifen muss
    dich zu erahnen
    eine eindimensionale Erscheinung
    irgendwo dort
    jetzt hat das
    was unbekannt war
    einen Namen
    deinen Namen
    das was fremd war
    wurde meine Heimat
    alle dunklen Ecken
    sind ertastet und erhellt
    das hätte ich damals nie gedacht
    Was Fremde und was Heimat ist
    weiß man erst
    wenn man ihr näher kommt
    (Christine Zeides, Jahrgang 1995)
    o.T.
    Gestern knüpften wir doch noch Gänseblümchen in Reihen mit Stolz asymmetrisch. Hältst du mal bitte kurz – nur ganz kurz an den Takt das Pendel das Klavierdings. Ich weiß doch auch nicht was das ist was? Da ist. Fahr mal kurz ein bisschen runter kommen zu mir. Ich kann das doch nicht wissen wie das geht mit dem sein wie man ist wenn man siebzehn ist und alleine am Bahnhof oder so ich weiß doch auch nicht. Wie man sich verhält wenn alle davon reden wie sie sich auf die Reise freuen und ich nicht einmal mehr weiß wo ich noch mal hinfahren wollte ich wo hinfahren? Ich weiß doch auch nicht wie das geht das denn? Gestern knüpften wir doch noch Gänseblümchen. Barfuss. Das kann ich doch inzwischen. Hältst du mal bitte kurz – wir können doch nicht schon wieder weiter. Das kann ich doch inzwischen. Indianerehrenwort. Wollten immer wo hin wollten wir? Irgendwo aber doch nicht jetzt schon nicht jetzt doch nicht jetzt schon. Das ist doch absurd!
    Gestern knüpften wir doch noch Gänseblümchen. Wir wollten doch nie Zug fahren.
    (Johanna Fugmann, Jahrgang 1997)
    berge
    vielleicht hat platon recht denkst du
    und wir leben in einer höhle
    einmal werden wir abhauen
    raus aus der höhle hast du immer gesagt
    dass du berge nicht magst
    ich drehe mich um:
    da bist nur noch du
    dein lachen und der wind
    der mich auseinanderschraubt
    wie einen bausatz
    bald bin ich nur noch
    ein teil vom fluchtplan
    (Leonard Schwob, Jahrgang 1998)
    Und hier ein Beitrag "außer Konkurrenz":
    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)


    Schöne neue Welt
    Es geht ums Überleben,
    um die Zukunft, die es zuhause
    nicht gibt, nicht für ihn.
    Träume und Hoffnung.
    Angst verleiht Flügel,
    Realität auch.
    Der Weg ist weit und beschwerlich,
    es lauern Gefahren und Soldaten.
    Doch es muss gehen.
    Er muss gehen.
    Er will in das Land, in dem es Freiheit gibt.
    Wenn er es bis drüben schafft.
    Hunger. Kälte. Gefahr. Einsamkeit.
    Setzt man sein Leben aufs Spiel,
    einfach so, aus Spaß,
    weil man nichts besseres zu tun hat?
    Er weiß, was auf ihn wartet,
    sollte er die Flucht überleben,
    die Zäune, Mauern und Gefahren überwinden können.
    Fremde Sprachen, fremde Religionen und Gebräuche,
    fremde Gesetze und Gerüche.
    Fremde Menschen, die ihn nicht haben wollen.
    Eine fremde Welt. Eine neue Welt.
    Er riskiert sein Leben, nimmt all das auf sich,
    um in die Fremde zu ziehen.
    Angst. Leid. Tod. Hunger. Gefahr.
    Die Fremde ist seine letzte Hoffnung,
    ein neues Leben zu beginnen.
    Leben zu beginnen.
    Kurz vor der Küste, fischt man ihn aus dem Meer.
    Er ist ein Gerippe mit Haut. Matt glänzen seine Augen.
    Aber sie glänzen. Er hat es geschafft.
    Doch dann: Was will der hier?
    Retour à l'expéditeur. Er wird zurück gebracht
    - zurück ins Land des Todes.
    (Magdalena Wejwer, Jahrgang 1997)