Freitag, 29. März 2024


Die »lyrix«-Gewinner im August 2015

Im August habt ihr euch dem Thema „Traum-Frau“ gewidmet. Angeregt wurdet ihr durch Henri Laurens' Skulptur „La Grande Nuit“ und dem Gedicht „Frau und Flügel“ von Eva Paula Pick.

22.09.2015
    Eine junge Frau liegt mit geöffneten Augen auf dem Boden.
    Weiblichkeit wird je nach Epoche, Weltanschauung und Religion vollkommen anders definiert. (Imago / Westend61)
    "Traum-Frau": eine Frau, die träumt? Eine traumhafte Frau? Träume über Frauen?
    Ein Leitmotiv zum Träumen – und zum Aufwachen! Ihr habt uns geschrieben von den schönen Träumen, von Liebe und Göttern, von Verlangen und Hingabe, von Bewunderung und Schönheit. Ihr weist auf den Wert des weiblichen Körpers hin "mit Abgründen, die sie selbst nicht / abzuschätzen vermag, in denen sie / sich selbst verlieren kann", dessen "Schätze /[...] zum Vorschein kommen", auch wenn sie "kein Cello / sondern eher ein Kontrabass" ist – "egal, denn Du bist schön".
    Aber es gibt auch die schmerzhaften Träume, unerfüllte Liebe und Sehnsucht, "das Sehnen tut weh es tut weh / dass das Sehnen Sehnen bleibt / ich will ihre Sehnen spüren / ihre Seele zum Sehnen berühren", schreibt eine Teilnehmerin.
    Sehr viele von euch haben sich gesellschaftskritisch positioniert. Ihr macht auf Zwänge der Gesellschaft in Form von brutaler, unnachgiebiger Perfektion, auf das Verstecken hinter Masken aufmerksam. Auf eine Frau, die sich beugt und erduldet. Sie erträgt seelische und körperliche Demütigungen, wenn sie den Traum eines anderen oder der Gesellschaft nicht verkörpert, wenn sie "denken kann / und das, schlimmer noch, auch tut", wenn sie "Frau sein [will] – und nicht Sklavin".
    Herzlichen Glückwunsch den Gewinnern im August und danke an alle für eure Einsendungen!
    Die Monatsgewinner im August 2015:
    Koordinationsfähigkeiten
    Als ich über den bunt gemusterten Teppich rannte,
    den man in den 80ern mal peppig nannte
    und danach gegen den Schrank lief,
    der zerbrach als er gegen die Wand stieß,
    der Boden mir gefährlich nahe kam,
    sodass alles oben nur noch spärlich erkennbare Sachen waren,
    hast du gelacht und gesagt,
    warum ich das mach, hast gefragt,
    wie es um meine Koordinationsfähigkeiten stehe,
    weil du kooperationsmäßig keinen sehest,
    der so mit mir eine Allianz eingehen wollte,
    in der so etwas wie Liebe den Grund der Verknüpfung darstellt,
    wo neben dir der letzte Ali oder Hans einsehen sollte,
    dass vor nem Eckplatz oder ner Biege mich die Hand der Unterstützung festhält,
    weil ich ja immer noch Probleme mit Gleichgewicht und Orientierung habe
    so wie ein polemischer Indianer bei einem Bleichgesicht am Ort des Streitpunkts eine Narbe
    in seinem Stolz hinterlässt,
    so bliebe mir deine Hilfe, wenn du gewollt meine Hand umfässt.
    Aber ich redete dir ja viel zu hochgestochen,
    sitze neben dem Schrank, er ist seitdem ich das Ziel verfehlte immer noch zerbrochen,
    du sagst, ich sei so trampelig, ein Nilpferd im winzigen Planschbecken,
    du magst bei meinem Angesicht mir nicht auch nur die Hand ausstrecken.
    Und überhaupt, weißt du nicht, was ich bei dir soll,
    ich sei dir ja auch viel zu schlau,
    du saugst mich auf mit der Klopapierroll-
    es ist einfach; ich bin nicht deine Traumfrau.
    Victoria Helene Bergemann, Jahrgang 1997
    An Helena
    In deinem Herzen wohnt ein Glänzen,
    das immerzu nach außen drängt.
    Vernichtet Starrheit meiner Grenzen,
    sodass mein Herz an deinem hängt.
    Du vermagst mit deiner Schönheit,
    mich zu blenden, mich zu dreh'n.
    Führst mich in eine Art Beschränktheit,
    Dir nur noch ins Gesicht zu seh'n.
    Weißt Du wie oft ich an Dich denke?
    Wie oft ich Dich zu schau'n mich trau'?
    Wie viel von meiner Zeit Dir schenke?
    Und doch aus Luft nur Schlösser bau'?
    Kannst Du Dir denken was ich fühle?
    Wenn dein Lächeln zart mich streift.
    Wie viele Wunden ich so kühle,
    sodass mein Herz nach deinem greift.
    Gestern hab' ich lang von Dir geträumt,
    Du führtest mich auf schönen Pfaden,
    bis am Strand die Wellen aufgeschäumt,
    unsre Liebe weit nach draußen tragen.
    Auch wenn das Leid allabendlich,
    in meine schwere Seele tritt,
    seh ich nur deine Leichtigkeit.
    Dein Herz nimmt es auch meines mit?
    "James G.", Jahrgang 1998
    Heute hohe Minne
    Sie ist so schön, Gott, so schön,
    das Sehnen tut weh es tut weh
    dass das Sehnen Sehnen bleibt
    ich will ihre Sehnen spüren
    ihre Seele zum Sehnen berühren
    und ihr Herz
    ich will ihr Herz
    mit beiden Händen greifen
    sie bei den Lenden greifen
    sie ist eine Frau sie ist Frau meine Frau
    ich bin Frau will eine Frau und Frau sein
    bin keine Frau?
    Ich pflücke doch Blumen
    sie liebt mich, sie liebt mich nicht
    ich liebe sie, liebe sie, schenke keine Blumen
    bin Frau
    Der Körper ein Violoncello
    so weich überall und so schön überall
    über alles schön
    kleine Frau
    Ein bisschen ein Kaktus manchmal
    und immer Diotima
    ein Mahnmal für Aphrodite auch
    und für das Streben, o Eros.
    Ein Aphorismus:
    Die Eltern des Eros sind Poros und Penia.
    Eigentlich bist Du auch kein Cello
    sondern eher ein Kontrabass
    aber egal denn Du bist schön
    weil ich bei Dir sitze und endlich nicht rauche
    und endlich nicht friere
    und Du zitierst Erich Fried
    und endlich käme ich
    auch mal zur Ruhe
    dann bist Du so schön
    aber weißt nicht von Eros
    und wenn Du es ahnst kokettierst Du
    o Frau einer Frau!
    Frouwe mîn!
    Poros und Penia zeugten Eros
    den Gott, das Streben
    Hodos hätte es auch gekonnt
    Ruhe bleibt nicht Du bleibst nicht nur
    Eros bleibt
    Streben, Sehnen bleibt
    und Du so schön.
    Anne Glaser, Jahrgang 1997
    Formlos
    Ihr Körper ist ein Gebirge-
    von Höhen und Tiefen durchzogen.
    Mit Abgründen, die sie selbst nicht
    abzuschätzen vermag, in denen sie
    sich selbst verlieren kann.
    Manche Gletscher müssen erst
    auftauen, damit die Schätze
    dahinter zum Vorschein kommen
    können. Einige Täler und Gipfel
    werden nie erschlossen werden,
    weil dort ewiges Eis herrscht und
    sich niemand die Mühe macht,
    bis dorthin vorzudringen.
    Keine Hacke und keine Schaufel
    werden dort jemals mit dem Boden
    in Berührung kommen, obwohl er
    doch zu einem der fruchtbarsten
    zählt.
    – Was für eine Verschwendung!
    Wo bleiben die Entdecker,
    die Forscher, die Abenteurer?
    Gerrit-Freya Klebe, Jahrgang 1996
    Traum-Frau?
    Anfangs ist sie sein Traum
    und er ist ihr Traum,
    traumhafte Träumerei
    -bis zur Hochzeit.
    Besser, bis nach der Hochzeit,
    denn dann kommt das Erwachen.
    Sie ist schön, noch immer, das stimmt,
    aber jetzt sieht er, was er vorher nicht gesehen hat
    was er immer noch nicht sieht,
    weil man das nicht sehen kann,
    weil ihm jetzt erst klar wird,
    wenn er da eigentlich geheiratet hat:
    Eine Frau, mit einem eigenen Kopf.
    Eine Frau, die denken kann
    und das, schlimmer noch, auch tut
    und auch so handelt, wie sie das für richtig hält:
    Sie weigert sich, seine Sachen zu bügeln,
    nachts für ihn zu kochen, ihm hinterher zu räumen,
    sie weigert sich, das zu tun, was er sagt,
    sie will nicht seine Dienerin sein.
    Sie will Frau sein- und nicht Sklavin.
    Er sieht das alles ein bisschen anders,
    wer seine Frau liebt, der züchtigt sie,
    und wenn ein Schlag nicht hilft, dann helfen zwei.
    Und irgendwann gewinnt er,
    weil er ihr nicht nur die Rippen bricht,
    sondern auch den Willen.
    Sie versucht zu fliehen, doch er fängt sie jedes mal
    wieder ein und dann wird es noch schlimmer.
    Langsam hört sie auf es zu spüren,
    jeder Schlag, ein Schlag ins Gesicht.
    Sie kann nicht mehr und versucht zu tun, was er will.
    Aber es reicht ihm nicht
    er will immer mehr!
    Sie will nichts mehr, nur sterben,
    denn das es aus diesem Traum kein Erwachen mehr gibt,
    hat sie gemerkt, aber diesen Gefallen tut er ihr nicht.
    Das wäre ja auch wirklich zu einfach.
    -
    Schaut nicht weg ihr anderen, stellt euch nicht schlafend!
    Wartet bis der Löwe schläft und dann rettet die Schlafende
    bringt sie fort, in Sicherheit, damit ein neuer Morgen
    sie wecken kann.
    Der Albtraum wird ein Albtraum bleiben,
    er ist dann noch immer ein schlechter Traum
    - aber nicht mehr ihr Leben.
    Magdalena Wejwer, Jahrgang 1997
    Und hier vier Beiträge "außer Konkurrenz":
    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)

    Mondfrau –
    schwarzes kostüm
    streng korrekt
    straffer knoten
    aufzug in die chefetage
    verantwortung
    entscheidungen
    stark
    lippen nägel
    rot wie blut
    unnahbar
    bis die sonne versinkt
    Mondfrau –
    wird
    gepflückt, wenn sanft der wind in der untergehenden sonne gräser streichelt
    spitzengardinen sich wild dem licht des aufgehenden mondes entgegen blähen
    samtig weich schimmert ihre haut
    große braune hände auf zerbrechlichem weiß
    Lara-Sophie Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    seifenblasen
    makelloses gesicht
    camouflage in vielen lagen
    make up in vielen farben
    frisur gestylt
    mit extensions aufgepeppt
    fingernägel
    voll gegelt
    bräune
    aus der röhre
    gepusht
    kaschiert
    gefakt
    abgeschminkt
    manchmal
    zerplatzen
    traumfrauen
    wie
    bunte
    seifenblasen
    Marie-Celestine Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    Sankt Pauli
    Vor Kälte blaue
    Fingerspitzen,
    ich bin ein Mensch
    ich friere,
    Schritte hallen in der Nacht,
    das Auge blind
    vor Neonlicht,
    dicke Luft nach Freiheit
    brennt,
    versenkt mir meine Haare.
    Die Haut schreit auf von
    all den Händen
    die sich darauf gefunden haben,
    und Fasern nur erinnern sich
    denn ich vergaß Gesichter.
    Wie soll ich große Worte finden?
    Nicht einmal sprechen kann ich mehr,
    der Rocksaum ist zu kurz,
    doch das
    ist eben, was gefällt,
    kann nicht mal
    atmen,
    nicht mal
    schrei'n,
    und schließe meine Augen,
    ich laufe auf
    ich laufe ab,
    kein guter Tag
    kein guter.
    Ich leere die Gedanken aus,
    und finde neue Arme
    die mich zu sich ins Dunkle zieh'n,
    dann wird es schließlich Tag.
    Julia Fourate, Jahrgang 1994
    skizze
    mit spitzer
    bleistiftmine zeichne
    ich ein bild von dir
    in präziser perfektion
    abgepaust aus einem modemagazin
    alles muss passen
    jede linie jede kurve jeder punkt
    unermüdlich dreht am stift die spitzermühle
    lässt späne fallen wie
    tränen die nicht sein dürfen
    um noch genauer
    ein bild von dir zu skizzieren
    jede linie jede kurve
    zu platzieren jeden
    punkt
    abgebrochen
    die graue mine und
    du zerfällst zu staub
    giftschwer
    dein immer gleiches lächeln - ein paar bleipartikel
    wer bist du überhaupt?
    will ich fragen können
    Aaron Schmidt-Riese, Jahrgang 1995