Donnerstag, 28. März 2024


Die lyrix-Gewinner im März und April 2011

Im März und April haben wir euch um Gedichte zum Thema "Es ist alles eitel" gebeten. Als Inspirationsquelle dienten in diesen zwei Monaten ein Gedicht von Andreas Gryphius und Vanitas-Objekte aus dem Museum Schnütgen in Köln.

25.07.2011
    Was ist vergänglich und was bleibt? Das haben wir euch im März und April gefragt. In dem themengebenden Gedicht "Es ist alles eitel" setzt sich Andreas Gryphius mit der Nichtigkeit des menschlichen Lebens auseinander und richtet seinen Blick weg vom irdischen Leben hin auf das Ewige. Auch ihr habt euch in euren Einsendungen mit der Vergänglichkeit alles Irdischen befasst. Viele von euch haben die Flüchtigkeit von Beziehungen thematisiert, vom Tod eines geliebten Menschen geschrieben oder sich an vergangene Kindheitstage erinnert. Der Blick auf ein mögliches Leben nach dem Tod blieb in euren Texten meist aus.

    Hier sind die Gedichte aus dem In- und Ausland, die die Jury ausgewählt hat. Herzlichen Glückwunsch den Gewinnern!


    Dorfdisko

    Schwer liegt um uns die unsichtbare Schlinge
    des leeren Lärms. Mein Brustbein pocht im Takt.
    Du lachst, ich schaue weg. Drei Silberringe
    durchbohren weißes Fleisch. Du trägst es nackt.

    Die Nacht will deine Engelsflügel spreiten,
    doch stolperst du und fällst. Dein Blick bleibt starr.
    Mein Ich verhandelt sorgsam Eitelkeiten
    und Schatten stellen Schreckfiguren dar.

    Ich spreche zynisch, doch meist unverständlich,
    erweise mich als müder Misanthrop,
    der lieben will. Noch scheint die Zeit unendlich.
    Durch dumpfes Schwarz blitzt scharf ein Stroboskop.

    Du beugst dich vor und beugst dich immer weiter
    zu mir. Flüchtiger Kuss: entschämtes Glück
    der Zweisamkeit. Auf meinen Lippen bleibt der
    Geschmack von Salz und Alkohol zurück.


    (Maren Ochs aus Öhringen, Deutschland, Hohenlohe-Gymnasium Öhringen, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch)


    nichts bleibt

    wenn meine dünnen weißen finger
    über deine augenblicke streichen
    & die verbrauchte luft in diesem zimmer
    so scheint als würd sie niemals von hier weichen
    dann schleicht die angst ganz leise durch die wand
    & setzt sich neben uns ans bett der nacht
    flüstert mir zu dass das nicht bleiben kann
    dass alles bricht was heute lebt und liebt und lacht
    wenn meine dünnen weißen finger
    die lichter dieser bunten großstadt fangen
    dann scheint des flutlichts heller schimmer
    so wie die creme aus öl auf meinen wangen
    das glänzt so schön doch nicht vergänglich
    ist nichts außer der schwachen ewigkeit
    & nichts was wir je schufen ist beständig
    nur was schon vor uns war das ist von zeit
    wenn meine dünnen weißen finger
    über die tasten dieser plastikwelt hier fliegen
    dann weiß ich keins der worte ist für immer
    denn auch die quelle dieses satzes wird versiegen
    & diese finger werden nur ein paar fragmente
    berühren in dem losen zeitgeschehen
    denn keiner dieser flüchtigen momente
    wird bleiben und auch nach dem jetzt bestehen


    (Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz, Deutschland, Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: deutsch)


    Die Schönheit Bathsebas

    Gottesgleich, die Haut wie Seide,
    goldgetupft das Engelshaar,
    zieht die Blicke voll mit Neide
    auf sich, die schöne Bathseba.

    Gelehnt an einen Brunnen
    wie warmer Schnee die Form,
    wird sie von all´n besungen,
    den Frau´n ist sie ein Dorn.

    Das Tuche, sanft umschlungen,
    verdeckt nur ihren Schoß,
    doch vor den bösen Zungen
    schützt sie der Schönheit Trost.

    Die Lippen farblich wie Korallen,
    die Blätter wie des Engels Flügel,
    die Schultern gleichen Marmorballen
    oder der Toskana Hügel.

    Unter dem wohlgeformten Busen
    entfacht sie Feuer der Verführung,
    gleicht sie auch des Künstlers Muse,
    wärt sie keinem die Berührung.

    Ihrem Blick ins weite Land
    ist´s sich mühsam zu entziehen,
    gleicht er doch dem Diamant,
    man möcht fast nieder knien.

    Man kann sie nicht mehr retten
    all die Männerseel´n,
    sie wünschten, dass sie hätten
    nie ihren Blick gesehn.

    Sie verdrängten die Gefahr,
    die von dem Weibe ausgeht,
    doch die Schöhnheit der Bathseba
    auch bald wird still verweht.


    (Carina Felder aus Hennef, Deutschland, Gesamtschule der Stadt Hennef, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Entrostungsmittel und Ordnung

    Der rostige Wasserhahn im Garten.
    er war perfekt.
    eigen und störrisch und unzuverlässig.
    aber perfekt.
    perfekt und liebenswert.
    Wir wuschen unsere matschigen Räuberhände unter ihm
    und ließen feuchte Erde als Souvenir.
    machten rot zu braun
    und ließen ihn Wasser und Lachen husten.

    Der alte Spermüllhaufen hinterm Haus.
    er war perfekt.
    chaotisch und kantig und aggressiv.
    aber perfekt.
    perfekt und liebenswert.
    Wir ließen ihn Kulisse für Ritterspiele sein
    und formten ihn zu Höhlen und Schlössern.
    spannten Decken zwischen ihn und den Himmel
    und ließen ihn Zeuge von Mord- und Liebesszenen werden.

    Und dann kam jemand mit Entrostungsmittel und Ordnung
    ließ unser Lachen recyclen und verschenkte unsere Geschichten.
    zuverlässigkeit statt Dreck und Platz statt Kreativität.
    Er nahm uns das Leuchten weg an das wir uns klammerten.
    Und das Lachen.
    Und das Strahlen in den Augen.
    tauschte unsere Kindheit gegen Sauberkeit


    (Johanna Fugmann aus Memmelsdorf, Deutschland, Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg, Jahrgangsstufe 8, Muttersprache: deutsch)


    Lebenslieder

    Wir haben Drafi Deutscher gesungen
    Marmor, Stein und Eisen gebrochen
    Haben ABER in die Unterführung gesprayt
    … wir haben Liebeslieder geschrieben
    Und gehofft, dass sie sich reimen

    Schnitt

    Regen auf deiner Autoscheibe
    Wieder mal Dienstag
    "Hast du was gesagt?"
    …Wir hatten Liebeslieder geschrieben
    Erinnerst du dich?

    Schnitt

    Stelle dir frische Blumen auf die feuchte Erde
    Zeichne lächelnd leicht verwehbare Herzen in den Staub
    Und fahre mit meinem Finger unser ABER nach
    … Wir haben Liebeslieder geschrieben
    Wir haben gelebt

    Ich höre Musik
    Unheilig: "Geboren um zu leben"


    (Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Anicca (*)

    Manchmal
    sieht man sie
    über Trümmerfelder tanzen.

    Liegengebliebene
    von Zweifeln zerstückelte
    Seelen nimmt sie mit

    in schillernden Seifenblasen
    und singt ihr unwirkliches
    Lied von einer anderen Welt.

    Ihre Melodie
    spielt mit dem Wind, sie sucht sich
    ihren eigenen Weg

    setzt sich dann
    wie Staub
    auf ihre gläserne Maske,

    bis sie bei der nächsten
    Erschütterung spurlos
    am Horizont verweht.


    (*) Anicca ist eines der Drei Daseinsmerkmale des Buddhismus und steht für das Konzept der Unbeständigkeit alles Seienden, eine der wesentlichen Lehren des Buddhismus. Gemäß dieser Lehre befindet sich ausnahmslos alles im Fluss der Vergänglichkeit, sogar Planeten, Sterne und Götter sind ihm unterworfen. Dieses wird im menschlichen Leben im Alterungsprozess und im Zyklus von Geburt und Wiedergeburt (Samsara) und in jeder möglichen Erfahrung des Verlustes erfahren. (Quelle: Wikipedia)

    (Larissa Hieber aus Schwäbisch Gmünd, Deutschland, Hans-Baldung-Gymnasium, Jahrganggstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Alles ist vergänglich
    (meinem Vater gewidmet)

    Er war hier, als meine Mutter
    mich zur Welt brachte.
    Er war hier, als ich meinen ersten Geburtstag hatte.

    Er war hier, als ich
    mein erstes Schachspiel gewann.
    Er war hier, als ich meine erste Verletzung hatte.

    Er war hier, als mein erster Tag
    in der Schule war.
    Er war hier, als ich meine erste Note bekam.

    Er war hier, wenn ich traurig war.
    Er war hier, wenn ich glücklich war.
    Er war hier, als ich meine erste Liebe hatte.

    Er war hier, wenn ich den Streit
    mit der ganzen Welt hatte.
    Er war hier und er sah meine
    Niederlagen, meine Wünsche, meine Siege. . .

    Er ist gestorben...
    Er kann nicht meine schlechte Laune sehen
    Er kann nicht meine Leiden sehen
    Er kann nicht meine Tränen sehen
    Er kann nicht mein Lächeln sehen

    Er kann nicht meine Einsamkeit fühlen...
    Er kann nicht mein Glück fühlen...
    Alles ist vergänglich.

    Nur die Erinnerung bleibt mit mir...
    Das Leben wird zu einer Blase, die in
    einem Augenblick platzt und so
    wird es/ sie die Vergangenheit.


    (Jasmina Buljubasic aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Geburtsjahr 1993, Muttersprache: bosnisch)


    Bäche

    Langsam verwandelt sich meine Seele in den Regen,
    Der tot und trocken auf den Boden fällt
    Und zwei Regenbögen erheben sich am Himmel
    Die Zeit ist taub geworden.

    Und die Tropfen verschmelzen in eine Kette
    Und kriechen die grauen Straβen entlang
    Die Bäche flieβen und die Tage reihen sich auf
    Sie verwandeln sich in einen vergänglichen Fluss.


    (Edin Ibreljić aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Geburtsjahr 1993, Muttersprache: bosnisch)


    Eitel ist…

    Was die Sonne gestern gab
    Heute das Gewitter nahm
    Stein auf Stein
    Baum auf Baum
    Hand und Hammer
    Feuer und Donner
    Zu spät!

    Was des Schwanes Flügel brachten
    Des Geiers Krallen gierig schlachten
    Was geboren und geschult
    Mit Eitelheit begnügt
    Oder nicht?!


    (Haris Poturković aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Muttersprache: bosnisch, Geburtsjahr 1993)