Dienstag, 23. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Mai 2015

Im Mai lautete unser Monatsthema 'Zerstörung'. Inspirationen gab es von dem Gemälde "Zerstörung" von Wenzel Hablik aus dem Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe und von dem Gedicht "Der übersetzte Brand" von Volker Sielaff. »lyrix« sagt danke für eure Einsendungen und gratuliert den Gewinnern im Mai 2015!

14.06.2015
    Blick auf einen Tornado in der Nähe von Sount Plains in Texas (12.05.2005).
    Ein zerstörerischer Tornado in Texas (picture alliance / dpa / DB Cloud9-Tours)
    Von inneren und äußeren Zerstörungen habt ihr geschrieben. Vor allem Kriege zeigen, wie auch das "Innere" zerstört wird, wenn alles "Äußere" in Trümmern liegt. Viele eurer Texte thematisieren, wie Menschen sich selbst und ihren Lebensraum zerstören: " Regenwald, Ozeane / Ganze Städte, Nachbars Friedensfahne / Ich hacke alles kurz und klein" heißt es in dem Text eines Teilnehmers.
    Einige eurer Gedichte übertragen das Bild von äußerer Zerstörung auf das Seelenleben: "blut tropft / von der decke / im innersten / zerstört" und enden in vollkommener Hoffnungslosigkeit: "Und fegt mich / Nach großem Scheppern und / Lautem Knall / Endgültig zusammen und / Schüttet mich / In den Müll".
    Herzlichen Glückwunsch den Gewinnern im Mai und danke an alle für eure Einsendungen!
    Die Monatsgewinner im Mai 2015:
    Zerstörung
    Es liegt auf mir
    Schon immer, doch
    Ich habe es nie
    Gespürt, nie gemerkt
    Das es schwerer ist als ich
    Dachte
    Es liegt auf mir
    Immer noch und könnte
    Mich jederzeit
    Zerstören, könnte
    Mich in Einzelteile
    Zerschlagen, die
    Herumfliegen, sodass
    Ich mich an ihnen
    Schneide, wenn es wollte
    Und ich merke,
    Es will
    Es steht
    Über mir
    Und könnte jederzeit
    Weiter machen, könnte
    Mich noch einmal
    Erdrücken obwohl
    Ich schon
    Zerfallen bin
    Es steht
    Neben mir
    Und fegt mich
    Nach großem Scheppern und
    Lautem Knall
    Endgültig zusammen und
    Schüttet mich
    In den Müll
    Lena Hinrichs, Jahrgang 2000
    kaputt
    beschränkte ebene
    versuch der flucht
    vermeintliche möglichkeit
    und ich renn und renn und renn
    hinein in träume
    grenzenlosigkeit
    doch nichts nichts
    und ich lauf und lauf und lauf
    richtiges gefühl
    komplette verwirrung
    wohin will ich
    und ich geh und geh und geh
    freiheit ist grenze
    es geht nicht weiter
    welt ist welt
    und ich taumel und taumel und taumel
    leben bleibt leben
    desillusioniert
    decken stürzen ein
    und ich kriech und kriech und kriech
    am boden
    keine kraft
    nur fragen
    und ich lieg und lieg und lieg
    keine chance
    keine antwort
    nicht auszuhalten
    und ich atme und atme und atme
    blut tropft
    von der decke
    im innersten
    zerstört
    Marie Hoheisel, Jahrgang 1997
    Wer?
    Mieke, Emre, Laura, Laila,
    Birgit, Paskal, Leonard,
    Randi, Momo, Esra, Ika,
    Lisa, Philipp, Moni, ich
    betrachte meine verwüstete Welt
    Verletzte Käfer, verschüttet, entstellt
    die größere Sorgen als Macht oder Geld
    Schmitzens Kinder, Kudrewkas,
    Frau Weber, die Müllers, Meiers,
    auch Öztürks, Yavis und ich
    sind Teil dieser Schlacht, die uns alle zerbricht.
    Den Willen der Menschen, die Liebe, das Licht,
    die Eltern, die Kinder, das Leben und mich
    Den Frieden, die Freude, die kennt sie wohl nicht.
    sooo viele Menschen
    Millionen und ich
    auf Seite dreihundertzwanzig
    des großen Buches von denen
    die es noch gibt und von denen
    deren lebloser Körper längst
    in der dunklsten Erde versiegt
    unzählige
    wie Zahlen, als Nummern behandelt
    auf weißes Papier geschrieben
    gezählt, gesehen, sortiert, gelöscht
    sodass doch die Frage sich stellt,
    wer wurde gestorben?
    Warst du das?
    Oder war das ich?
    Annabelle Kahmann, Jahrgang 1997
    Eine kleine, große Katastrophe
    Gestern wollten Sonnenstrahlen
    ein ganz neues Kunstwerk malen.
    Marmor glänzte spiegelglatt,
    grün leuchtete jedes Blatt.
    Doch - man wagt es kaum zu hoffen -
    dieser Glanz wurd´ übertroffen
    noch von einem Perlmuttschimmer
    eines Hauses ohne Zimmer.
    Friedlich ließ es sich erwärmen
    mitten zwischen Bienenschwärmen.
    Doch - wie könnt´ es anders sein -
    brach das Unheil bald herein.
    Leise brach die erste Schicht
    unter riesigem Gewicht.
    Darunter zeigten Risse dann
    schon die nahe Zukunft an.
    Mit Gekreisch und mit Getöse
    geschah nun das schrecklich Böse:
    Mit Geschwindigkeit und Flammen
    brach das ganze Haus zusammen.
    Schließlich gaben auch die Wände
    auf und kippten dann behände
    auf den Haufen Schmutz und Schutt,
    der doch einmal war perlmutt.
    Selbst das Licht schien zu ermatten,
    versteckte das Chaos im Schatten.
    Und an Friedas Schuh blieb kleben
    ein zerstörtes Schneckenleben.
    Katinka Kultscher, Jahrgang 1999
    Was zerstörst du?
    Was zerstörst du
    Wen empörst du
    Wem gehörst du
    Mensch
    Was zerstörst du
    Wen verstörst du
    Wem gehörst du?
    Mensch
    Der Gier, dem Geld gehörst du
    Das die Welt regiert
    Du Held, hörst du?
    Afrika, Bolivien, China
    Das ABC
    Ausbeutung, Bestechung, Copy&Paste
    Der Wirtschaftsethik
    Ernst Geld-Gescheffelt, versteht sich
    Gut mit Irgendwie Halb-Ehrlich
    Wie man's scheffelt
    Ist egal
    Was zerstörst du?
    Mensch, ist egal
    Regenwald, Ozeane
    Ganze Städte, Nachbars Friedensfahne
    Ich hacke alles kurz und klein
    Die anderen machen's auch
    Irgendeiner wird's verzeih'n
    Und dann wieder gerade biegen
    Sollen die Kinder von morgen etwa Langeweile schieben?
    Wen empörst du?
    Mensch, die Kinder von heute und von morgen
    Als hätten die nicht genug an Sorgen
    Atomkraft, Müll, Krieg und Hass
    Lieber Langeweile als so ein Spaß
    Mensch, du empörst auch Den da oben
    Auch wenn Er dich trotz allem liebt
    Wird Er's nicht loben
    Ob deshalb manchmal Stürme toben?
    Wen verstörst du?
    Mensch, Tiere, Pflanzen
    Ökosysteme
    Lebensfrohe Kinder
    Bomben anstatt Schulranzen
    Geld anstatt Bäumen
    Geld anstatt Fischen
    Was zerstörst du
    Wen empörst du
    Wen verstörst du
    Wem gehörst du
    Mensch, denk doch mal nach
    Ist es das wert?
    Maximilian Mundt, Jahrgang 1995
    Und hier vier Beiträge "außer Konkurrenz":
    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
    alles was blieb
    alter wehrpass
    zerschlissen
    blutgetränkt
    in ihm ein brief
    an meine familie
    mein urgroßvater
    gefallen
    auf dem feld der ehre
    gefallen
    für volk und vaterland
    gefallen
    junge männer
    indoktriniert
    bomben
    brennende himmel
    leben –
    lieben –
    familien zerstört
    ein großes
    nie mehr
    alles was blieb
    zuviele tote
    gepflückt vor dem erblühen
    verscharrt im irgendwo?
    gestapelt in
    gebeinhäusern
    schädel – knochen
    ohne namen
    seelen irren
    rastlos durch die zeit
    suchen sich
    seite an seite
    feinde freunde
    alles was blieb
    auf dem feld der ehre
    blutgetränkter schutt
    blutgetränkte zerstörung
    Lara-Sophie Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    Fukushima (2013)
    Ich tanzte im Regen,
    ich weiß, ich bin frei,
    ich weiß, ich bin tot,
    und glücklich dabei,
    die Sonne brennt nieder,
    die Tropfen sind warm,
    sie fallen auf alles,
    das, was wir einst war'n,
    sie blühen wie Rosen,
    ich trag' sie im Haar,
    denn in meinem Winter
    da sind sie mir nah',
    sie sprießen nun um mich
    ich pflückte sie stumm,
    so zart ihre Düfte,
    sie bringen mich um.
    Ich küsse den Regen,
    so strahlend und hell,
    ich drehe mich linksrum,
    ich falle zurück,
    mein Körper ist taub mir,
    ist taub mir vor Glück.
    Ich möchte nicht sehen,
    nicht kennen, das Ende,
    ich möchte nicht hören,
    drum singe ich laut
    im Regen aus Purpur,
    der Nebel ist rot,
    ich such', mich zu halten,
    und finde den Tod.
    Julia Fourate, Jahrgang 1994
    Jeder Atemzug
    Mauern wanken, wackeln, brechen
    Um mich herum in Schutt und Asche
    Mit lautem Donnern, Brüllen, Krachen
    Zerplatzt meine Wirklichkeit
    Der Schutz und die Geborgenheit der Wände
    Stürzt nun auf mich herab
    Und schneidet mit scharfen Splittern voller Angst
    Tief in mein Herz
    Bewegungslos hocke ich
    Im Trümmerfeld meines Lebens
    Selbstverständlichkeit weicht Ohnmacht
    Sekunden die wie Jahre sind
    Verstecke ich mich hinter zerbrochnem Glas
    Bis das Bild des Glücks
    Nicht mal mehr in meinem Kopf hängt
    Dann rappel' ich mich auf
    Baue einen Wall aus Trümmern auf
    Schließe die Wunden in meinem Herz
    Fange wieder von neuem an
    Ich streiche die Wände in den buntesten Farben
    Und doch bleibt darunter die Angst
    Wieder nackt und zerbrochen dazustehen
    Wunden verheilen
    Doch bleiben Narben zurück
    Und bei jedem Beben
    Gehen Steine endgültig kaputt
    Können Wunden nicht mehr heilen
    Bis ich schließlich keine Kraft mehr habe
    Eine Mauer aufzubauen
    Bis die Scherben zu tief schneiden
    Und mein Herz endgültig durchbohren
    Dann vergrabt ihr mich unter euren Füßen
    Und jeder meiner vergeblichen Atemzüge
    Ist ein Beben für euch
    Jeder meiner vergeblichen Atemzüge
    bringt eure Geborgenheit zum Wanken
    Jeder meiner vergeblichen Atemzüge
    schneidet tief und tiefer in eure Herzen hinein
    Mareen Kraft, Jahrgang 1998
    Der Mensch
    unaufhaltsam
    breitet er sich aus
    verzehrt er das Schöne,
    das Wahre
    um selbst zu leuchten
    Einst angezündet um zu wärmen,
    biss er seinem Schöpfer die Finger wund
    strahlend
    brennend
    vom Stolz genährt
    vom Stolz erstickt
    bis der Docht erlischt.
    Miriam-Sofie Linke, Jahrgang 1999