Donnerstag, 28. März 2024


Die »lyrix«-Gewinner im November 2012

Müssen Worte immer ausgesprochen werden? Oder haben sie geschrieben manchmal eine stärkere Kraft? Gibt es Situationen, in denen man sich stumm versteht? Oder führt das Unausgesprochene zu Missverständnissen?

21.12.2012
    Im November war lyrix mit dem Leitmotiv "Stille Post" zu Gast im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Dort liegt ein ungeöffnetes Briefpaket aus dem Nachlass von Hermann Hesse, das auf seine eigene Verfügung hin nicht vor 2017 geöffnet werden darf. Diese "Stille Post" hat im November viele Schülerinnen und Schüler zu eigenen Gedichten angeregt.

    Manchmal braucht es keine Worte, um sich verständlich zu machen. Eine Geste oder ein Blick reichen völlig aus. Einige der eingeschickten Gedichte handeln von Situationen, in denen man stumm übereinstimmt. Aber Unausgesprochenes kann auch zu Missverständnissen führen. Auch hiervon erählen manche eurer Gedichte. Nur zwei Aspekte aus den zahlreichen und vielfältigen Texten, die ihr uns im November geschickt habt und in denen ihr stille und laute Worte gefunden habt, um euch Ausdruck zu verleihen.

    Überhaupt nicht leise, sondern mit Posaunen und Trompeten beglückwünschen wir unsere fünf Monatsgewinner!

    Stiller Schrei
    Still ist es geworden.
    Einsame Ruhe
    strömt durch unendlichen Raum.
    Neblige Leere füllt das Nichts.
    Einzig ewige Ferne existiert
    Und macht Sicht unmöglich.
    Außen
    Die Welten sind klar getrennt,
    durch eine winzig weiche Schicht.
    Zerbrechlich und zart
    Ist sie dumpf
    Und absorbiert.
    Innen
    In mir schreit es,
    Gebrüll zerreißt die Luft,
    Das Herz ruft zum Kampf auf!
    Doch das Echo hallt nur zurück
    schwach, erkaltet und erstickt
    von der winzig weichen Schicht.

    (Luise Charlotte Behr, aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)


    wir

    zwischen uns
    fliegt flüstern durch die luft
    leise
    es lockt der liebe blütenduft
    leise
    wo der leben träume sind
    leise
    blätter rascheln rot im wind
    leise
    der herbst trifft ein
    leise
    du sagst wir können sein
    aber nur leise

    (Nina Rastinger, aus Gmunden, BG Gmunden, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)


    Kinderspiel

    Ich komme rein,
    Gespräche verstummen.
    ich gehe weiter,
    sie fangen an zu tuscheln.
    Ich gehe in ihre Nähe,
    sie schweigen.
    Ich gucke sie an,
    sie senken ihre Blicke.
    Ich gucke weg,
    sie starren mich an.
    Ich gehe weiter,
    sie tuscheln wieder.
    Ich möchte sie hören,
    doch sie sind zu leise.
    Es ist wie ein Spiel,
    aus alten Kindertagen,
    doch sie spielen nicht mit mir.

    (Eva Beyenburg-Weidenfeld, aus Kordel, Friedrich-Wilhelmgymnasium Trier, Klasse 9, Muttersprache Deutsch)


    SEPIA

    Fotoalben
    Die langsam verbleichen
    Ihre Seelen hingeben
    Im Nichts des Zeitfraß verschwinden
    Ich sehe, fühle, begreife
    Bin ein Eindringling
    In fremden Welten
    Und kann dennoch nicht aufhören
    Meinen Blick
    Von der glücklichen Familie zu heben
    Die eingefroren in Ewigkeit
    Mir leise flüsternd
    Ein Versprechen gibt

    Ich schmecke Staub
    Fühle Leere
    Und taste nach unerfüllten Erwartungen
    Die tonnengleich
    Auf den unschuldigen Seiten lasten
    Sepia und schwarz-weiß

    Mich verlierend
    Im betongrauen Schein der heilen Welt-
    Ein letztes Aufbäumen
    Eines zerschundenen Herz
    Zu Grabe getragene Hoffnungen
    Verdorrte Ideale
    Sich langsam zersetzende
    Kadaver
    Eines naiven, unschuldigen Traums

    Müde
    Schlagen meine zitternden Hände
    Das raue Leder zu
    Um zu vergessen
    Um zu leben
    Um zu sein

    (Helena Kieß, aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)


    o.T.

    Ich sprach dir
    Einen Wald aus bunten Worten
    Silbenflecken und Phrasenbrücken
    Ich streute dir
    Grellleuchtende Satzkieselsteine
    Irrlichter an mir vorbei
    Ich schützte dich
    Vor der Kahlheit des Bodens
    Und der Dunkelheit über den Bäumen
    Dann gab ich dir
    eine Axt.
    Ich sagte dir:
    Leg sie weg.
    Du brauchst sie nicht.
    "Schlag zu.
    Schlag zu und finde mich."
    Schrieb ich dir
    Auf das weiße Blatt
    Unter deinen Füßen als ich ging.

    (Ines Konnerth, aus Schwäbisch Gmünd , Landesgymnasium, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)