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Die Macht der Gefühle

Angst oder Ekel, Liebe oder Freude, Ärger, Wut oder Hass: Gefühle kommen blitzartig über uns und sind oftmals nicht durch die Vernunft zu steuern. Der Macht der Gefühle war eine interdisziplinäre Tagung in Bonn auf der Spur.

Von Ingeborg Breuer | 28.01.2010
    "Dass Menschen auf Rabatte reagieren, das ist bekannt. Wir haben vor Kurzem noch einmal ein Experiment wiederholt, indem wir in der Fußgängerzone Probanden Dreierpacks angeboten haben, die zusammen 2.99 gekostet haben oder Produkte, die, wenn man drei davon gekauft hätte, 2.25 gekostet hätten. Und im Endeffekt haben 78 Prozent der Passanten, die da vorbei gegangen sind, das Dreierpack gekauft, obwohl es teurer war, als wenn sie die Einzelutensilien gekauft hätten."

    Man sollte annehmen, dass sich Menschen besonders vernünftig verhalten, wenn es um ihren Geldbeutel geht. Doch Dr. Bernd Weber vom Life and Brain Center der Uniklinik Bonn zeigte in seinem Experiment, dass viele Menschen offensichtlich auf Rabattzeichen höchst unvernünftig reagieren. Drei Paar Socken einzeln zu kaufen, wäre billiger gewesen als im Dreierpack. Doch gefühlt war das Dreierpack für viele Menschen eben - ein Schnäppchen.

    Um die "Macht der Gefühle" ging es auch auf der Bonner Tagung, wo man sich dem Thema interdisziplinär annähern wollte. Angst oder Ekel, Liebe oder Freude, Ärger, Wut oder Hass: Gefühle kommen blitzartig über uns und sind oftmals nicht durch die Vernunft zu steuern. Das wusste übrigens schon vor knapp 2000 Jahren der römische Dichter Catull. Bei ihm heißt es:

    Ich hasse und ich liebe. Warum ich das tu, fragst du vielleicht.
    Ich weiß es nicht; aber ich fühl, dass es mir widerfährt - und ich leide Qualen.

    Wo Emotionen ihren Sitz haben und warum sie manchmal so schwer zu kontrollieren sind, versucht mittlerweile auch die Hirnforschung zu ergründen. Sieht ein Kunde ein Rabattschild, wird zum Beispiel der sogenannte nucleus accumbens, das Belohnungszentrum des Gehirns aktiviert; dasselbe Zentrum übrigens, dass beim Anblick attraktiver Personen und – zumindest bei Männern - auch beim Anblick schneller Sportwagen beflügelt wird. Prof. Dr. Dieter Vaitl von der Universität Gießen untersucht, wie Gefühle im Gehirn entstehen:

    "Wir wissen mittlerweile durch die neurowissenschaftlichen Untersuchungen, dass es im Gehirn sehr verschiedene Instanzen gibt, die daran beteiligt sind, Gefühle zu erzeugen oder abzumildern oder zu verstärken. Je vielfältiger die Prozesse bei der Emotionsentstehung und auch der Emotionskontrolle werden, je mehr Hirnareale sind mit von der Partie. Es gibt ganz bestimmte Botenstoffe im Gehirn, die dafür verantwortlich sind, dass ganz bestimmte Informationen weitertransportiert werden. Und diese Botenstoffe, die stehen unter der Kontrolle genetischer Prozesse. Und dem entsprechend gibt es interindividuelle Unterschiede."

    Viele Gefühle waren, evolutionsgeschichtlich gesehen, sicherlich überlebensnotwendig. Der Schreck beim Anblick einer Schlange, verbunden mit einem schnellen Fluchtreflex oder auch der Ekel, etwa vor madenübesäten Lebensmitteln, dienten der Erhaltung der Art. Doch natürlich gibt es auch unangemessene Gefühle, wie Dr. Christian Hoppe, Mitveranstalter der Bonner Tagung, ausführte:

    "Also die Art, wie ich die Wirklichkeit auf mich beziehe, diese Bezugnahme kann zum Beispiel angemessen oder unangemessen sein: Der Chef spricht zum Beispiel in einer Jahresabschlussrede von den Erfolgen eines Unternehmens. Und ich könnte die dann irrtümlich auf mich beziehen und als Lob verstehen und mich dann freuen. Aber er hat es gar nicht in Bezug auf mich gemeint."

    Wie man unangemessene Gefühle verändern kann, war deshalb ein weiteres Thema der Tagung. Manchmal, etwa im Falle schwerer Depressionen oder Angstzustände wird eine direkte – medikamentöse – Beeinflussung des Stoffwechsels des Gehirns notwendig. Doch auch mittels Verhaltenstherapie, so ein Vortrag der Tagung, können destruktive Gefühle wirkungsvoll verändert werden. Allerdings muss auch dabei letztlich das Gehirn zum Beispiel eines Spinnenphobikers "umgepolt" werden, damit er seine Angst vor den Krabbeltieren verliert. Und der therapeutische Erfolg kann schließlich im Hirnscanner kontrolliert werden.

    Vaitl: "Wie in dem gerade geschilderten Fall, da war es so, dass man ursprünglich immer gedacht hat, wenn die Erregungskomponente runtergefahren wird, wenn die Leute mit Spinnen konfrontiert werden, das sei das eigentliche Therapeutikum. Da würde man heute sagen, dass ist zu wenig, da muss ganz gezielt Kontrolle aufgebaut werden. Und das geht nur dadurch, indem man auch in Situationen kommt, in denen man die Kontrolle auch ausprobieren muss. Und da sind Psychotherapien jetzt auch ein bisschen hellhörig geworden und schauen auf die Neurowissenschaften."

    Doch auch wenn Gefühle sich im Gehirn abbilden – heißt das, dass Gefühle lediglich "innen", im Körper sind? Dr. Frank Vogelsang, Theologe und Mitveranstalter der Tagung, hält eine solche Perspektive aus philosophischer Sicht für verkürzt. Gefühle sind sowohl "innen", aber sie zeigen sich auch im Gesichtsausdruck, im beschleunigten Herzschlag, in Zornesfalten zwischen den Augenbrauen. Sie sind, wie der Philosoph Hermann Schmitz beschreibt, "den Menschen umgebend". Gefühle erstrecken sich "über den Raum". Wer zum Beispiel ein Zimmer mit trauernden Menschen betritt, wird am Ende von der Trauer angesteckt.

    Vogelsang: "Das Gefühl entschwindet sozusagen dem Zugriff. So wie Wasser, wenn man Wasser greifen will, das Wasser sich nicht fassen lässt."

    Dass die Freiheitsgrade gegenüber den eigenen Gefühlen recht eng sind, hat fast jeder schon am eigenen Leib erfahren. Mit vernünftigen Argumenten - "die Spinne ist doch harmlos" - kann man gewöhnlich keine Angst bewältigen. Aber - sind nicht sogar die Vernunft selbst, Moral und Sittlichkeit stark von Gefühlen bestimmt? Die Überzeugung, dass man Menschen nicht quälen darf, ist in unserem Kulturkreis eine gefühlte Wahrheit, nicht nur eine vernunftmäßige Einsicht. Und auch der Glaube an Gott ist vor allem eine gefühlte Überzeugung: eine jenseits der Vernunft liegende Gewissheit, dass Gott um mich ist.

    "In der Theologie ist es eigentümlich. Denn auf der einen Seite ist das Gefühl ein Grundgefühl christlichen Glaubens, da wird man sehr schnell übereinstimmen. Aber es ist in der Theologie nur sehr randständig reflektiert worden. Und ich denke, dass da sich ein Desiderat zeigt, ein Mangel, den es aufzuarbeiten gilt, weil nach unserem Dafürhalten die Gefühle auch ein Grundexistential des Menschen sind und das auch theologisch reflektiert werden muss."

    Das Gefühl also, ein komplexes und nach wie vor unerforschtes Phänomen, das den ganzen Menschen betrifft. Die Trennung Vernunft – Körper oder Geist - Natur ist nicht länger aufrecht zu erhalten, so Frank Vogelsang. Eine nicht ganz neue Erkenntnis freilich; denn spätestens seit Sigmund Freud wissen wir ja, dass vor allem Triebe und nicht Argumente unser Handeln bestimmen.

    "Der Mensch ist eben nicht nur Animal rationale, also das vernunftbestimmte Wesen und Tier, sondern er ist ein Wesen, wie auch die Tiere, dass auch von diesen Elementen bestimmt ist, was Tiere auszeichnet, zum Beispiel emotionale Muster, nach denen man sich bewegt. Und das kann man nüchtern zur Kenntnis nehmen und danach fragen, wie muss ich mein Menschsein verstehen?"