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Die Madame unter den Impressionisten

Die Französin Berthe Morisot war das erste weibliche Mitglied in der Gruppe der französischen Impressionisten des 19. Jahrhunderts. Familien-, Frauen- und Kinderporträts, Interieurs und Küstenlandschaften zählen zum typischen Motivinventar dieser letztlich doch wenig bekannte Malerin.

Von Björn Stüben | 10.03.2012
    "Die Fräulein Morisot sind zauberhaft. Schade, dass sie keine Männer sind", soll Edouard Manet gesagt haben. Gemeint hatte er die beiden Schwestern Berthe und Edma Morisot, die ihm sein Malerfreund Fantin-Latour 1868 im Louvre vorgestellt hatte. Die beiden Schwestern widmeten sich hier dem Kopieren der Alten Meister, was sie scheinbar hervorragend konnten, aber ein ernsthaftes Kunststudium war damals im großbürgerlichen Milieu eine rein männliche Domaine. Offenbar bedauerlich daher für Manet, dass diese beiden Talente Frauen waren.

    Manets Bewunderung für Berthe Morisot hielt an, er begleitete ihr Schaffen und sie wurde sein Lieblingsmodell. Zwei meisterhafte Portraits, die Manet um 1870 von ihr schuf, bilden den Auftakt zur jetzt im Musée Marmottan gezeigten Retrospektive der Berthe Morisot.

    Morisots Ausbildung zur Künstlerin wurde seit 1860 von Camille Corot, mit dem sie die Liebe zur Freilichtmalerei teilte, bestimmt. Der Zugang zur Kunstakademie blieb Frauen verwehrt. Die Ausstellung zeigt atmosphärische Hafen- und Strandszenen und immer wieder Figuren, komponiert in luftig-leichte Naturkulissen, aber auch Portraits im Interieur, Freundinnen mit Kindern oder elegant mit Fächern posierend. Ihr Pinselstrich war pastos, ihre Farben oft erstaunlich transparent. Es besteht kein Zweifel, der visuelle Eindruck, nicht das klare Abbilden war ihr künstlerisches Ziel. Und ihren Platz musste sie daher in einer Gruppe junger Avantgarde-Künstler finden. "Fünf oder sechs Verrückte, darunter eine Frau, haben, von Ehrgeiz verblendet,... ihre Werke ausgestellt. Viele Besucher bekommen vor diesen Machwerken Lachkrämpfe" schrieb ein Kritiker zur zweiten Ausstellung der Impressionisten 1876, an der auch Morisot teilnahm.

    Die Kunsthistorikerin Marianne Mathieu, Konservatorin am Musée Marmottan über Berthe Morisots Karriere:

    "Sie stellte seit 1864 im offiziellen Salon aus, aber seit sie auf Einladung Degas‘ 1874 an der ersten Impressionistenausstellung teilnahm, interessierte sie der Wettbewerb im offiziellen Salon nicht mehr. Monet oder Renoir hingegen reichten dort immer wieder Werke ein. Von den Kunstkritikern wurde sie genauso behandelt wie die anderen, männlichen Impressionisten. Und so waren die meisten Urteile verheerend, aber es gab auch andere Stimmen, die positiv die Originalität ihrer Werke hervorhoben."

    Beim Gang durch die Schau fallen Parallelen zu den Werken der Künstlerkollegen und Freunde auf. Auf einem Interieur-Bild betrachtet sich eine junge Frau im Spiegel von der Seite. Manets berühmtes Werk "Nana" zeigt Ähnlichkeit und ist doch ganz anders. Morisots Bildausdruck ist intim, fern jeder Provokation und hält den Betrachter auf Distanz. Späte Bilder von Morisot wie das Großformat "Der Kirschbaum" rufen mit der Dominanz ihrer Figuren Werke Renoirs in Erinnerung. Doch Morisot war weit davon entfernt, Künstlerkollegen zu imitieren, unterstreicht Marianne Matthieu:

    "Die Rolle von Berthe Morisot in der Gruppe der Impressionisten definierte sich nicht durch die Tatsache, dass sie die einzige Frau war. Sie trieb vielmehr die malerischen Entwicklung voran. Ihr Beitrag bestand vor allem darin, die Öl- wie Aquarellmalerei auszuführen, was sich in einer völlig neuen Farbtransparenz äußerte. Außerdem entwickelte sie eine ganz eigene Farbpalette, die sie aus der französischen Malerei des 18. Jahrhunderts entlehnt hatte. Bestimmte Silber-, Weiß-, Rosa-, Blau- und Grüntöne tauchten auf. Damit gehörte sie zu den ganz wenigen, die künstlerische Brücken zwischen diesen beiden Jahrhunderten schlugen."

    Und scheinbar baute sie auch Brücken ins 20. Jahrhundert. In den 90er-Jahren steigerte sie die Intensität ihrer Farben, wie es die radikalsten Postimpressionisten nicht hätten besser machen können. Sie scheint die aktuellsten Strömungen in der Malerei intensiv verfolgt zu haben. Ein Portrait ihrer Tochter in dunklem Kleid mit Hund oder mit Violine, beide von 1893, stehen einem Werk Edvard Munchs näher als einem von Monet.

    "Gegen Ende ihres Lebens ließ sie sich von zwei völlig unterschiedlichen Aspekten der Malerei herausfordern, was sie zu einer außergewöhnlichen Künstlerin machte. Einerseits setzte sie sich mit der Linie und der Rückkehr zu klaren Umrissen auseinander und andererseits experimentierte sie mit der Auflösung der Formen und näherte sich so der Abstraktion. Sich diesen beiden Aspekten gleichzeitig zu widmen, war außergewöhnlich in ihrer Epoche. "

    Über siebzig Jahre ist es her, dass in Paris eine Retrospektive von Berthe Morisot gezeigt wurde. Dem Musée Marmottan, das selbst eine stattliche Anzahl ihrer Werke besitzt, gelingt es, all ihre Schaffensphasen in überzeugenden Beispielen vorzuführen.

    Schade nur, dass die Besucher in das in Kunstlicht getauchte Untergeschoss des Museums hinabsteigen müssen, um sich diese Meisterwerke anschauen zu können.