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"Die Marine kann ein robustes Mandat ausüben"

Michael Stehr, Piraterie-Experte beim Deutschen Marine Institut in Bonn, hält die Mission "Atalanta" der Europäischen Union für geeignet, die Piraten am Golf von Aden zu bekämpfen. Man müsse die Piraten aktiv jagen und ihnen das Leben in den Basen schwer machen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Für die Handelsroute zwischen Asien und Europa sei das wichtig, denn schon jetzt würden Reeder den längeren und teueren Umweg über Kapstadt nehmen.

Michael Stehr im Gespräch mit Stefan Heinlein | 11.12.2008
    Heinlein: Die somalischen Piraten im Golf von Aden, immer dreister gehen die modernen Seeräuber auf Kaperfahrt. Kein Kreuzfahrt- oder Handelsschiff, kein Tanker ist sicher vor den Überfällen. Viele Reeder meiden deshalb inzwischen die wichtige Handelsroute und nehmen lange teuere Umwege in Kauf. Die Europäische Union ist nun entschlossen, mit der Mission "Atalanta" den Piraten das Handwerk zu legen. Ein europäischer Seeverband aus sechs Kriegsschiffen soll den Piraten das Fürchten lehren, notfalls auch mit Gewalt. Die Bundesregierung gab nun grünes Licht für die deutsche Beteiligung an dieser EU-Mission. Noch vor Weihnachten wird der Bundestag zustimmen, und darüber möchte ich jetzt reden mit Michael Stehr, Piraterieexperte vom Deutschen Marineinstitut. Guten Morgen!

    Stehr: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Können Touristen künftig wieder unbesorgt auf Kreuzfahrt im Golf von Aden gehen?

    Stehr: Ich würde dieses Gebiet ehrlich gesagt persönlich eher meiden, muss allerdings auch sagen, dass bisher ja alle Angriffe auf Kreuzfahrtschiffe gescheitert sind, was auch daran liegt, dass im Golf von Aden mittlerweile eine ganze Reihe von Kriegsschiffen Patrouille fährt und Kreuzfahrtschiffe bisher glücklicherweise immer in relativer Nähe zu irgendeinem Kriegsschiff waren, wenn was passiert ist.

    Heinlein: Also die Mission "Atalanta" reicht nicht aus, um den somalischen Piraten das Fürchten zu lehren?

    Stehr: Es sind ja schon seit einigen Wochen recht viele Kriegsschiffe vor Ort. Es sind beinahe 30 Kriegsschiffe aus ganz verschiedenen Nationen. Unter anderem sind auch die Inder mit dabei, die Russen sind dabei. Das Seegebiet ist aber recht groß und die Piraten finden immer irgendein Stückchen See, auf dem sie zunächst mal ungestört agieren können.

    Heinlein: Und mit dabei, Herr Stehr, ist ja künftig nun auch die deutsche Marine. Die Bundesregierung verkauft dies als "robustes Mandat". Wie zutreffend ist diese Bezeichnung?

    Stehr: Der Beschluss, der gestern gefasst worden ist, enthält alle drei Elemente, die auch in der UN-Resolution und in der Beschreibung der Mission "Atalanta" der Europäischen Union enthalten sind. Das ist einmal der Geleitschutz für Schiffe, dann die Abwehr von Piratenangriffen und schließlich auch die aktive Verfolgung von verdächtigen Fahrzeugen und Personen zur Festnahme dieser Täter.

    Heinlein: Also die Marine ist alles andere als ein zahnloser Tiger dann im Golf von Aden?

    Stehr: Die Marine ist ausgebildet und ausgerüstet, um alle diese Aufgaben wahrzunehmen. Sie ist allemal in der Lage, ein robustes Mandat durchzuführen. Es kommt eben nur darauf an, dass man ihr die entsprechenden Weisungen gibt.

    Heinlein: Was darf die deutsche Marine nicht?

    Stehr: Nach dem jetzigen Stand der Dinge dürfte sie zum Beispiel nicht einfach so auf somalischen Boden vordringen. Also sie muss sich an die somalischen Hoheitsgewässer als Operationsgebiet halten. Das heißt also, man kann in Häfen rein, zur Not kann man sicherlich auch mal ein Stückchen noch an Land einen flüchtenden Piraten weiter verfolgen, aber im Prinzip ist da eine Grenze, es sei denn, die somalischen Autoritäten erlauben in einer bilateralen Absprache dieses Vorgehen, und sowohl die Regierung in Mogadischu als auch einige dieser örtlichen Bürgerkriegsparteien haben ja bereits regelrecht darum ersucht, man möge doch auf ihrem Territorium Piraten verfolgen, denn sie haben selber kaum die Kräfte dazu.

    Heinlein: Dürfen denn auch aktiv die Schlupflöcher und Verstecke der Piraten, vielleicht auch die Mutterschiffe angegriffen werden, um den Piraten das Rückzugsgebiet strittig zu machen?

    Stehr: Das ist unbedingt zu empfehlen. Bloßer Geleitschutz und die Abwehr von Angriffen allein wird nicht genügen, denn es gilt die Regel: Die, die heute abgeschlagen worden sind, die kommen morgen wieder und suchen sich ein neues Ziel. Das Seegebiet ist ja so groß, dass man es nicht komplett überwachen kann. Man kann es etwa vergleichen: es ist ein bisschen größer als die Ostsee. Es ist in jedem Falle geboten, die Piraten aktiv zu jagen und ihnen das Leben in ihren Basen schwer zu machen, denn sonst bekommt man das Problem nicht in den Griff.

    Heinlein: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Stehr, sind in dieser Hinsicht den deutschen Soldaten bisher noch die Hände gebunden?

    Stehr: Die deutschen Soldaten haben derzeit noch nicht das Mandat, das ich mir vorstelle, nämlich auch nach Somalia reinzugehen, so wie es zum Beispiel die Franzosen gemacht haben nach der Freisetzung der "Le Ponant". Man erinnert sich: sie sind mit einem Spezialkommando ins Land reingeflogen und haben dort sechs der Täter verhaftet.

    Heinlein: Bleibt die gefährliche Arbeit wie in Afghanistan also wieder bei den Alliierten, bei den Verbündeten?

    Stehr: Das könnte unter Umständen passieren. Das ist ein Vorwurf, den man der Bundesregierung, der deutschen Politik sicherlich nicht ganz ersparen kann, dass wir auch dort in eine ähnliche Situation kommen wie schon in Afghanistan.

    Heinlein: Sind denn die somalischen Piraten ein ernst zu nehmender Gegner für die europäischen Kriegsschiffe? Werden mögliche Kämpfe gefährlich für die Soldaten?

    Stehr: Bisher sind die Piraten ja Gefechten mit Kriegsschiffen stets ausgewichen. Es hat nur eine ganz kleine Ausnahme gegeben. Es war vor ein paar Wochen, als die Inder ein Schiff versenkt haben, von dem aus scharf geschossen worden war. Die Piraten hatten wohl gedacht, das Kriegsschiff würde sich dann zurückziehen. Die haben ja bisher solche Erfahrungen gemacht. In dem Fall hat man gesehen, dass die Kriegsschiffe so bewaffnet sind, dass sie ein Piratenproblem innerhalb von wenigen Sekunden lösen können.

    Heinlein: Die deutsche Exportwirtschaft, Herr Stehr, ist ja auf freie und sichere Seewege angewiesen. Wie groß ist denn der volkswirtschaftliche Schaden durch die Piraterie im Golf von Aden? Lässt sich das beziffern?

    Stehr: Ja, mal ein paar Zahlen. Pro Jahr gehen 16.000 Schiffe durch den Golf von Aden. Das ist die Hauptverbindungslinie für Industriegüter, aber auch andere Produkte zwischen Europa und Asien. Das heißt, die Industrien dieser beiden Kontinente hängen an dieser Seeverbindung. Wir in Deutschland sind ja ein großer Exporteur, aber auch ein großer Importeur. Es ist jetzt so, dass im Golf von Aden zum Beispiel die Versicherungsprämien für das Fahrtgebiet stark angestiegen sind. Das heißt, das schlägt sich auch auf die Reisekosten und am Ende auch auf die Produktkosten durch. Das ist aber bisher eine Dimension gewesen, die wir hier in Deutschland im ich sage mal Verbraucherpreis noch nicht gemerkt haben.

    Nun haben aber mittlerweile etliche Reedereien begonnen, ihre Schiffe um Kapstadt herum umzuleiten, ein deutlich längerer Weg. Damit werden die Transportkosten noch stärker steigen und das könnte sich dann demnächst schon niederschlagen in Preisen zum Beispiel für in Asien produzierte Unterhaltungselektronik.

    Heinlein: Was geschieht denn, Herr Stehr, wenn deutsche Soldaten somalische Piraten festnehmen? Werden sie dann in Deutschland angeklagt? Über diesen Punkt wurde ja im Vorfeld der Entscheidung heftig gestritten.

    Stehr: Es gibt mehrere Möglichkeiten, für eine strafprozessuale Verfolgung verdächtiger Personen zu sorgen. Einmal kann man sie nach Deutschland überstellen. Das ist nach dem Mandat, das die Bundesregierung jetzt verabschiedet hat, dann vor allen Dingen vorgesehen, wenn deutsche Schiffe angegriffen worden sind, oder wenn deutsche Staatsbürger entführt worden waren oder eben persönlich verletzt worden sind. Die andere Möglichkeit ist dann noch, dass man solche Täter zum Beispiel an den Jemen überstellt, an Kenia, oder an den Flaggenstaat eines angegriffenen Schiffes. Die werden dann dort verhandelt.

    Heinlein: Kurz zum Schluss. Völkerrechtlich bewegt man sich da aber auf sicherem Boden?

    Stehr: Völkerrechtlich ist das absolut sicherer Boden, auch wenn das in Praxi bisher noch unerprobt ist. Die Praxis, jemanden dort zu verurteilen, wo er Schaden angerichtet hat, ist bisher noch unerprobt. Wenn ein ukrainisches Schiff überfallen worden ist, ein Schiff unter ukrainischer Flagge, dann ist das nur angemessen, wenn die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden sich um dieses Problem dann kümmern dürfen.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Stehr vom Deutschen Marineinstitut. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.