Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Die Mauer als Gedankenexperiment
"Katastrophenstimmung" am Hamburger Schauspielhaus

Eine Mauer an der Grenze zu Mexiko, Zäune in Europa: Teilweise sind das schon Realitäten. Schorsch Kamerun geht auf diese Entwicklungen in seiner neuen Inszenierung "Katastrophenstimmung" ein und spinnt sie als Gedanken weiter.

Von Juliane Reil | 12.05.2017
    US-Präsident Donald Trump und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un
    Abschottung als Erfolgsmodell? US-Präsident Donald Trump und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un sind nur zwei Beispiele für Schorsch Kameruns Inszenierung "Kathastrophenstimmung". (ED JONES / BRENDAN SMIALOWSKI/ AFP)
    "Ich weiß schon, dass da noch tausend Fehler drin sind, aber es ist auch wichtig eine Stimmung zu entwickeln, für mein Gefühl genau so wichtig."
    Der Malersaal am Hamburger Schauspielhaus. Regisseur Schorsch Kamerun probt mit Team und Schauspielern sein neues Stück, die Oper "Katastrophenstimmung". Die Bühne, ein einziger vergitterter Glaskasten, der an ein riesiges Gewächshaus oder Gefängnis erinnert. Als im Saal das Licht ausgeht, nimmt Kamerun selbst darin Platz und beginnt zu singen.
    "Damit sie nur für sich sein können, und darum eine Mauer vielleicht bauen wollen."
    Abschottung als Gedankenexperiment
    Verschiedene Bildschirme im Raum zeigen auf einmal das Theater von außen. Vor dem Eingang zum Malersaal eine Festgesellschaft wie beim Staatsempfang.
    "Doktor Rosie sagt die Wahrheit. Willkommen all jenen, die sie hören wollen. Willkommen in Betonville!"
    Betonville ist ein fiktiver Staat, in dem Doktor Rosie – eine bizarre Mischung aus Dr. No, Donald Trump und Nordkoreas Kim Jong Un – im giftgrünen Hosenanzug mit einer gruseligen Gesichtsnarbe regiert. Geschehnisse aus der aktuellen Weltpolitik wie die Forderung nach Abschottung und Grenzen, haben Schorsch Kamerun zu seiner neuen Inszenierung inspiriert. Ein Gedankenexperiment, wie er erklärt, bei dem ihm eine Frage besonders interessiert hat.
    "Was passiert eigentlich, wenn die, die die Mauer, den Kasten, wollen – wie sieht das eigentlich darin aus, wenn dieser Versuch mal stattfinden darf?"
    Schorsch Kamerun, Sänger der legendären Band "Die goldenen Zitronen"
    Schorsch Kamerun, Sänger der legendären Band "Die goldenen Zitronen" (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    "Katastrophenstimmung" ist eine verstörende Erzählung über die Willkür von Macht und die Ohnmacht derer, die sie ertragen müssen. Im Glaskasten auf der Bühne hat sich mittlerweile gespenstischer Nebel verteilt. Eine einsame zarte Frauengestalt tastet sich unsicher voran. Ein gelungenes Bild für die Desorientierung des Einzelnen und das Ausgeliefertsein im totalitären Staat.
    "Paul? Paul, wo bist Du? Ich bin’s Hannah, Hannah aus dem Service."
    Auf einem der Monitore: ein Mann im grauen Anzug, der wie in einer Überwachungszentrale vor Bildschirmen und einem Mikrophon sitzt.
    "Was ist das? Da in Deinem Kopf?" – "Ach, das. Ja, das sind nur Bilder der großen 20 hier in unserer Stadt. Und wir nehmen nur die lautesten, diese wird man zeigen, noch vor allen anderen Bildern."
    Die Macht der Medien
    Nicht erst seit dem amerikanischen Wahlkampf weiß man, welche manipulative Wirkungsmacht Bilder haben. In den sozialen Medien und in der Presse verbreiten sie sich millionenfach.
    "Ich verstehe die Macht von Twitter, ich verstehe die Macht von Facebook."
    Deshalb wirken neben Schauspielern bei "Katastrophenstimmung" auch echte Medienvertreter wie die Hamburger Feminismus- und Lifestyle-Bloggerin Melanie Jeske mit. Die Medien werden Teil der Inszenierung, erklärt sie.
    "Weil wir einfach einen Teil des Stückes live streamen und wir auch für eine Figur aus dem Stück einen Instagram-Account gebastelt haben. Das war auch ganz spannend, weil es das bis dato nicht gab, und wir darüber eben auch nochmal die Figur ausbauen und erzählen.
    Erschreckend echt
    "Katastrophenstimmung" wird damit zur multimedialen Inszenierung und lässt das Experiment erschreckend echt erscheinen. Untypisch für Kamerun: Der Zuschauer sitzt und wird nicht Teil der Inszenierung. Die Musik wirkt stellenweise dramatisch.
    Auch wenn sich im Ansatz eine Handlung entwickelt, ist der Begriff "Oper" für die gewohnt schrägen Songs von Kamerun wohl eher ironisch gemeint. Wie immer verwirren seine freien Wort-, Bild - und Musikassoziation, die bewusst nicht zusammenpassen sollen. Darin bleibt sich der Musiker und Theatermacher treu.
    "Mich interessiert eigentlich jeweils die musikalische Stimmung und darüber zu einem Bild zu kommen. Also ich bin eigentlich musikalischer Ausdruckstänzer, wenn Du so willst."