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Die Meisterin der Short Story

Sie nannte sich Kass, Katie, Katiushka, Julian Mark oder Elizabeth Stanley, lebte ein Leben als Boheme und verstarb früh mit 34 Jahren - Katherine Mansfield. Nun sind 74 Erzählungen der neuseeländisch-britischen Schriftstellerin in einem Sammelband erschienen.

Von Annette Meyhöfer | 07.10.2012
    Ein "blasses Gespenst mit festen Augen" und "spöttischen Lippen", mit einem "schnurgerade in die Stirn gekämmten Pony, einer japanischen Puppe ähnlich",

    so beschrieb sie Virginia Woolf, die Freundin, die Rivalin. Ihr Ehemann, Leonard Woolf, war nachsichtiger: Von Natur aus heiter erschien sie ihm, dabei zynisch, amoralisch, derb, doch jedenfalls geistreich und ungeheuer unterhaltsam. D. H. Lawrence, mit dem sie befreundet und immer wieder befeindet war, nannte sie einmal eine "widerwärtige Schlange". Für die meisten, die sie verehrten, die anderen, die sie verachteten, blieb die neuseeländische Meisterin der Short Story und die Abenteurerin ihres kurzen, tragischen Leben unergründlich: Zu viele Verkleidungen, zu viele Masken wusste Katherine Mansfield zu tragen, zu viele Grenzen überschritt sie, liebenswürdig und intrigant, verletzlich und verletzt und manchmal verlogen und hinterhältig. Allein, die Heldinnen ihrer Erzählungen, sehnen sich oft nach einer ihnen selbst unbekannten Wahrhaftigkeit, nach ihrem eigentlichen Ich. So Beryl Fairfield in dem kleinen Kunstwerk "Prélude":

    O Gott, da stand sie wieder und spielte dasselbe alte Spiel! Falsch - wie immer - falsch!...Falsch sogar, wenn sie, wie jetzt, mit sich selbst allein war....Oh, rief sie, sich bin so erbärmlich, so furchtbar erbärmlich! Ich weiß, dass ich albern und gehässig und eitel bin: Immer muss ich irgendeine Rolle spielen! Nicht einen Augenblick bin ich je mein wahres Selbst!...Aber es kam nur daher, weil sie so unglücklich, so unglücklich war. Wäre sie glücklich gewesen und hätte sie ihr eigenes Leben führen können, wäre es vorbei mit dem falschen Leben. Sie sah die wahre Beryl - einen Schatten...einen Schatten. Einen undeutlichen, unwirklichen Schimmer.

    Selbst ihren Namen wechselte Kathleen (sic!) Mansfield Beauchamp, geboren 1888 in Wellington, Tochter aus wohlhabender Bankiersfamilie, je nach Stimmung und Umgebung immer wieder, nannte sich Kass, Katie, Katiushka, Julian Mark oder Elizabeth Stanley. In dem Hotel in Bad Wörishofen, wohin ihre Mutter die Schwangere 1909 expediert hatte, trug sie sich als Käthe Beauchamp-Bowden ein, mit dem Zusatz "Schriftstellerin" auf Deutsch. Das war allenfalls ein kühnes Versprechen auf die Zukunft. Zwar hatte sie, die entweder als Cellistin oder Schriftstellerin Karriere machen wollte, in Neuseeland einige kleinere Stücke, Skizzen eher denn Kurzgeschichten, veröffentlichen können. Aber nachdem man sie, Aschenputtel und Provokateurin der Familie, 1908 endlich nach London, wo sie ein paar Jahre zu Schule gegangen war, hatte zurückkehren lassen, hatte sie ein Leben der Boheme geführt. Das Cellospiel gab sie bald auf, verdiente sich mit Vortrags- und Tanzauftritten ein wenig Geld zu ihrer recht geringen Apanage hinzu, wurde schwanger, heiratete einen anderen und verließ ihn noch in der Hochzeitsnacht. Ihr Ehemann, ihre Familie verdächtigten sie lesbischer Neigungen; in der Tat war sie bisexuell. Ob der gute Pfarrer Kneipp mit seinen Wasserkuren auch dagegen helfen konnte? Jedenfalls wollte man sich vom möglichen Skandal reinwaschen. Das Kind wurde tot geboren, aber das Versprechen sollte sich erfüllen. In der bayerischen Pension, in die sie gleich nach der Abreise ihrer Mutter umgezogen war, sammelte Katherine Mansfield die Eindrücke für ihren ersten Erzählband. Sie wusste genau hinzuhören und zu beobachten, und sie besaß genügend satirisches Talent, um diese Deutschen, derb und chauvinistisch, affektiert und autoritätsgläubig, im Kurort bei ihren Mahlzeiten, "beim Fleisch", im Luftbad oder bei einem Konzert darzustellen, die verheirateten Damen, aufgemacht wie "Polstersessel", die unverheirateten in ihrem Musselin "Frisiertischgarnituren" ähnlich. Schließlich war es ein junger Pole, Übersetzer, angehender Schriftsteller, der sie für Leben infizierte, mit der Lektüre von Tschechow und - vermutlich - mit Gonorrhöe. In der Erzählung "Der Pendelschlag" schildert sie - überhellsichtig oder einfach nur scharfsichtig - Momente dieser Affäre in der Begegnung zwischen der jungen Literatin Viola und dem erfolglosen Autor Casimir:

    Sie waren ja wie zwei Patienten im gleichen Krankenhaussaal gewesen - jeder hatte Trost in der Krankheit des anderen gesucht - eine reizende Grundlage für ein Liebesverhältnis! Das Unglück hatte ihre Köpfe zusammengebumst; sie hatten einander angeschaut, und verblüfft über den Zusammenprall, hatten sie Mitgefühl empfunden...

    Vielleicht war auch Liebe dabei. Oder wenigstens eine Sehnsucht nach Sicherheit. Bestimmt würde er mit seinen Arbeiten Geld genug verdienen und für sie sorgen, bis Viola selbst mit ihren Geschichten ihr erbärmliches bisschen Monatsgeld aufbessern konnte. Aber nun klapperte Casimir wieder einmal die Redaktionen ab, und sie saß da in ihrem schrecklichen Zimmer, für das sie nicht einmal mehr die Miete bezahlen konnten, und fantasiert vom Leben einer großen Kurtisane, von Luxus und Behagen.

    Ich bin nicht zur Armut geschaffen - ich gedeihe bloß zwischen richtig fidelen Leuten - zwischen Leuten, die niemals Sorgen haben.

    Das sollte Katherine Mansfield selten beschieden sein. Für ihre zweifellos unter dem starken Einfluss Tschechows entstandene Erzählung "Das Kind, das müde war" musste sie sich des Plagiats schelten lassen. Und sie war fortan eine kranke Frau; zu wenig erforscht war damals die Infektion, die sich allenfalls Prostituierte, aber doch keine Damen zuzogen. Bei Männern wurde die Gonorrhöe als Bagatelle angesehen und verlief zumeist auch so. Ein wirkliches Heilmittel gab es nicht, und die Symptome der Frauen waren oft vage. Vermutlich wusste Katherine Mansfield, wie so zahlreiche ihrer Ärzte, selbst nicht um die Ursache ihrer Bauch- und Brustfellentzündungen, ihrer Herzbeschwerden und ihrer Arthritis, ihrer Unfruchtbarkeit. Als sie, schwer krank, 1909 nach London zurückkehrte, aber öffnete sich ihr eine neue Bühne: Ihre "deutschen" Erzählungen wurden, zum Teil in Avantgardezeitschriften, gedruckt. 1911 erschien der Sammelband "In einer deutschen Pension". Die Autorin, bisher vor allem wegen ihres oft so gewagten Aufputzes eine Salon- und Kaffeehaus-Berühmtheit, wurde allgemein als originell und amüsant gelobt. Katherine Mansfield begann, populär zu werden. Man stellte sie einem Oxford-Studenten und Herausgeber einer ehrgeizigen zweisprachigen Vierteljahresschrift, "Rhythm", vor, der, als Schriftsteller eher weniger begabt, einen Sinn für alles Moderne hatte, ob für englische Lyrik oder Picasso und seinen Kreis. John Middleton Murry war begeistert von ihrer Erzählung "Die Frau im Kaufladen", einer düsteren Geschichte über Einsamkeit und Gewalt, Armut und Unwissenheit, angesiedelt in der Wildnis ihres Heimatlands; das war eine neue Facette in ihrem Werk. Fortan, elf Jahre lang, sollte Murry, bald ihr Liebhaber und später auch ihr zweiter Ehemann, die wichtigste Rolle in ihrem Leben spielen, mal im Mittelpunkt, mal an den Rand gedrängt, umschwärmt und verstoßen, immer wieder Opfer ihrer Launen. Dafür durfte er über weit mehr Jahre als Herausgeber ihres schmalen Oeuvres, ihrer weit umfangreicheren Journale und ihrer Korrespondenz, sich ihrer bemächtigen, ihr Nachleben bestimmen und alles, was zurücklag, ihre wirkliche Existenz redigieren, bereinigen, sie zur Ikone und Märtyrerin stilisieren. Die wahre Katherine war rücksichtslos gegen andere wie gegen sich selbst, leichtsinnig gab sie sich neuen Flirts, neuen Affären hin, verschwand auf Reisen, Wochen, Monate lang; einmal sogar fuhr sie mitten in die französische Kriegszone, ein gefährliches, ein groteskes Abenteuer, um einen ihrer Möchtegernliebhaber zu treffen. Aber dies "warme, aufregende Leben" war vor allem Stoff für ihr Werk, eine Art literarische Feldforschung im Land der Illusionen, der Täuschungen und Enttäuschungen.

    Was kann man auch tun, wenn man dreißig ist und an der eigenen Straßenecke plötzlich von einem Glücksgefühl überwältigt wird, als hätte man plötzlich einen leuchtenden Schnitz Nachmittagssonne verschluckt und als brennte es einem in der Brust und jagte einen kleinen Funkenregen durch den ganzen Körper, bis in jeden Finger und Zeh?...Oh, gibt es denn keine Möglichkeit, das auszudrücken, ohne öffentliches Ärgernis zu erregen? Wie blöd ist die Zivilisation! Warum hat man einen Körper bekommen, wenn man ihn wie eine kostbare Geige in einen Kasten einsperren muss?

    Dabei hat Bertha Young, verheiratet, Mutter eines Kindes, in der Titelerzählung der Sammlung "Glück" nur ein sorgfältig arrangiertes Dinner mit ihren kultivierten Freunden vor sich, allein die Begegnung mit Miss Fulton, der rätselhaften, ganz in Silber gekleideten Pearl Fulton irritiert sie. Sie hatte sich in sie verliebt, wie sie sich stets in schöne, etwas seltsame Frauen verliebte. Und immer noch im Banne ihres Glücksgefühls verspürt sie zum ersten Mal sogar wieder Begehren für ihren Mann Harry, der seine Verabredungen mit seiner Geliebten Miss Fulton längst getroffen hat, auch an diesem Abend.

    Im Grunde war diese Erzählung, die so leicht ins Süßliche, süßlich wie die Heldin selbst, hätte umkippen können, eine von Mansfields scharfen Satiren, voller Witz und Boshaftigkeit. Dabei war sie durchaus nicht gefeit gegen Sentimentalität, vor allem in den hier mitveröffentlichten Fragmenten zeigt sich dies, aber auch in vollendeten Geschichten wie in der Sammlung "Etwas Kindliches, aber sehr Natürliches". Oder machte sie sich, nur scheinbar mitleidend, in Wahrheit lustig über jugendliche Schwarmgeister, Männer vor allem, deren Liebe sich wie ein erlahmender Flügel wirklichen Gefühls einfach irgendwo niederlässt, im Zug auf ein scheues Mädchen oder auf eine gesellschaftlich Ambitionierte aus dem Kreis seines Bruders? So warten sie auf die Angebetete und wissen doch eigentlich, dass sie nie kommen wird. Aber wann war Liebe je echt, geschweige denn dauerhaft oder glücklich?

    Katherine Mansfield war eine Realistin, eine Zynikerin vielleicht, die das Pathos der Oberfläche, das sie so glänzend beschreiben konnte, immer wieder durchbrach; denn dahinter lauerten, verlässlicher, Verstellung und Missverständnis, Angst und Grausamkeit und vor allem Hass. So stellt sich in "Prélude", ursprünglich "Die Aloe" betitelt, Beryl Fairfields verheiratete Schwester, Linda Burnell, vor, ihrer drei Schwangerschaften müde, ihrem ehrlichen und anständigen Mann, ihrem geliebten, geachteten, bewunderten Stanley ihre Empfindungen in Päckchen zu überreichen:

    Als sie die Aloe von unten betrachtete, konnte sie die langen, scharfen Stacheln in den Blatträndern sehen, und bei ihrem Anblick verhärtete sich ihr Herz...Noch nie war es ihr so klar gewesen wie in diesem Augenblick. Da waren all ihre Gefühle für ihn, klar und eindeutig, und eins so wahr wie das andere. Doch da war auch dieser Hass, und er war ebenso wirklich wie die anderen Gefühle. Sie hätte sie alle in Päckchen einwickeln und Stanley überreichen können. Sie brannte darauf, ihm dieses Letzte zu geben - als Überraschung. Sie konnte sich seine Augen vorstellen, wenn er es öffnete...Sie zog ihre verschränkten Arme um sich und begann, leise zu lachen. Wie widersinnig das Leben war - es war lachhaft, einfach lachhaft. Und warum diese Wahnidee, um jeden Preis am Leben zu bleiben? Denn es war wirklich eine Wahnidee, dachte sie spöttisch und lachte.

    In "An der Bucht", worin das Personal aus "Prélude" wie auch in "Das Puppenhaus" wiederkehrt, leben die Frauen auf, nachdem die Männer das Haus verlassen haben, sind erleichtert, sie losgeworden zu sein, endlich allein, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis. Und Geheimnisse haben sie genug, vor allem voreinander: Beryl, die so gerne einen Liebsten hätte, einen der endlich ihr wahres Wesen erkannte, sie aus ihrer Einsamkeit erlöste - und eine heimliche Affäre mit einem verheirateten Mann hat. Und Linda Burnell in ihrer Furcht, noch mehr Kinder, vier sind es inzwischen, zu bekommen:

    Es war ganz gut und recht zu behaupten, Kinderkriegen sei nun mal das Los aller Frauen. Aber es war nicht wahr. Sie wenigstens konnte beweisen, dass es falsch war. Sie war gebrochen, geschwächt, ihr Lebensmut dahin - vom Kinderkriegen. Und es war doppelt schwer zu ertragen - weil sie ihre Kinder nicht liebte....Selbst wenn sie die Kraft gehabt hätte, würde sie nie die kleinen Mädchen pflegen und mit ihnen spielen mögen... Was den kleinen Jungen betraf, nun, Gott sei Dank hatte sich Mutter seiner angenommen; er war Mutters Junge oder Beryls, oder wer ihn sonst haben wollte... Er war ihr so gleichgültig, dass sie, wie er so dalag...Linda blickte hinunter.

    Und sieht das Kind lächeln, voller Vertrauen, als glaube es ihren Worten nicht, ihrem bösem "Ich kann Babys nicht leiden". Aber auch das mag bloß ein Augenblick des Irrtums sein, genau wie ihr neu erwachtes Gefühl für den Jungen. Ohnehin ist das Aufbegehren gegen die Konvention, der Tabubruch, Linda wie so vielen von Mansfields Heldinnen nur in der Fantasie möglich. Aber meisterhaft, ungeheuer präzise wusste die Autorin, die sich selbst um die gängigen Formen so selten scherte - und immerhin waren diese, zumal in ihren Kreisen, auch durchlässiger geworden - die Kapriolen von Verstand und Gefühl zu schildern, die plötzlichen Stimmungsschwankungen, deren Ursache ein Brief, gefürchtet oder sehnlichst erwartet, sein kann, ein falscher Ton, ein im Grunde gleichgültiges Wort oder einfach nur eine Einbildung. Ihre Figuren bedürfen keiner Vorgeschichte, sie treten gleichsam aus dem Nichts. Ihr Leben scheint in einen Augenblick gefasst oder einer Reihe von Augenblicken, aufgefädelt wie mehr oder weniger düstere Perlen einer Kette. Das macht Katherine Mansfield zur wahren Modernen, jenseits des Einflusses von Maupassant und Tschechow. Manchmal, wenn sie, so knapp und kurz wie meist, von einem ganzen Leben erzählt wie dem der Dienstbotin Ma Parker oder der "Kammerzofe" Ellen, bedient sie sich des inneren Monologs und endet:

    O Gott, manchmal denk' ich...was soll ich bloß anfangen, wenn irgendwas...Aber denken nützt niemand was, nicht wahr, Madam? Denken hilft nicht. Ich tu's auch nicht oft. Und wenn, dann reiß ich mich gleich zusammen und sag': "Also was denn, Ellen? Du dummes Ding! Hast du nichts Besseres zu tun, dass du nachdenken musst?

    Sie wusste von den Gefühlen der alten Jungfern wie den "Töchtern des jüngst verstorbenen Colonel Pinner", die nach dem Tod ihres Tyrannen nichts mit ihrem Leben anfangen können, oder "Miss Brill", die sich beim Besuch des allsonntäglichen Konzerts wie auf einer Bühne fühlt, sie darauf als Schauspielerin, die Englisch-Lehrerin und Vorleserin in ihrem Mottennerz, der aussieht wie "gebratener Weißfisch". Und Mansfield wusste von den jungen Mädchen, deren "Erster Ball" wie der Anfang ihres Letzten erscheint, weil ein dicker alter Mann ihnen von einer Zukunft ohne Küsse und Tanz, als Matrone im Schwarzsamtenen aufs Podium verbannt, erzählt. Oder, viel schlimmer, weil so einer, eben noch im Zug ein freundlicher Herr und ihr Cicerone durch München, einer unerfahrenen "kleinen Gouvernanten" mit Gewalt einen Kuss abpresst. Obwohl Katherine Mansfields Figuren und Impressionen so scharf, ohne jede überflüssige Zutat konturiert sind, liegt doch über diesen Momentaufnahmen etwas Universelles, die Erfahrung einer Welt, in der das Scheitern alltäglich war. Und das Glück? War vielleicht eine Mandel im Honigkuchen am Sonntag. Universell aber war die Einsamkeit, die Isolation.

    Schon die Kinder erleben dies, in "Das Puppenhaus" wiederum die der Burnells, die kleine Kezia vor allem, die das Staunen noch nicht verlernt hat und sich an einer winzigen Lampe, die natürlich gar nicht anzuzünden ist, mehr entzückt als an den anderen Kostbarkeiten en miniature, Puppenmutter und Puppenvater, die aussahen, als seien sie in Ohnmacht gefallen, und ihren eigentlich viel zu großen Kindern. Allein die Lampe erscheint ihr echt. Und sie wagt es, obwohl ihr jeder Kontakt verboten ist, sogar den verachteten Kelvey-Mädchen, diesem Dienstboten- und Häftlingspack, ihr Wunder zu zeigen. Auch Katherine Mansfields bekannteste Erzählung "Das Gartenfest" ist eine solche Studie über Snobismus und Grausamkeit. Die junge Laura will die Party, deren Organisation ihr, der "Künstlerischen", obliegt, absagen, als sie von einem tödlichen Unfall in der Nachbarschaft, in den Arbeiterhütten hört. Natürlich muss das Fest, wieder einmal so geglückt, so aller nettest, stattfinden, ohnehin versteht ja niemand, warum die in den muffigen Löchern am Leben bleiben. Aber immerhin darf Laura die Reste vom Buffet zu der trauernden Familie hinübertragen, am besten auch die wunderbaren Cannalilien dazu, mit denen man nichts mehr anfangen kann. Der im Schlafzimmer aufgebahrte tote junge Mann erscheint ihr wie ein Schlafender, hingegeben an seinen Traum, in dem ihn Gartenfeste und Körbe und Spitzenkleider nichts kümmerten; so wundervoll und schön sah er aus, ja glücklich, so glücklich. Schluchzend kehrt sie nach Hause zurück. Denn was war, wie war das Leben?

    Als sie diese und andere Erzählungen, ihre besten, schrieb, war Katherine Mansfield, gerade 29 Jahre alt, bereits zu Tode krank. Tuberkulose lautete die Diagnose im Dezember 1917. Aber sie führte ihr altes, unstetes Leben fort, immer wieder auf Reisen, zumeist ans Mittelmeer, auf der Flucht vor dem englischen Winter, später auch, mit oder gegen den Rat der Ärzte, in die Schweiz, manchmal mit Murry, öfter mit ihrer Freundin aus Jugendzeiten, ihrem lebenslangen Faktotum Ida Baker. Sie vertrug das Alleinsein schlecht. Denn vielleicht war sie, die Kämpferin, die ewig Ehrgeizige, ihr ganzes Leben über im Grunde eine Einsame gewesen, trotz ihres so weiten, so illustren Bekanntenkreises, zu dem neben D. H. Lawrence und seiner Frieda die Woolfs und Bertrand Russell gehörten, der gerne ihr Liebhaber geworden wäre. Sie buhlte, mit Schmeicheleien und Lügen, um Zuneigung und Anerkennung und wies sie, kalt und verräterisch, zurück. Sie schwankte gegen Ende zwischen der Vorstellung, nur allzu realistisch, sterbenskrank zu sein, oder der anderen, sich wieder zu erholen, auf dem Land zu leben, ja, Kinder zu bekommen. Und der sentimentale, etwas träge Murry war der ideale Adressat dieser Ideen. Ihre wahre Devise aber lautete: "Zuallererst bin ich Schriftstellerin."

    So schrieb sie 1922 in Paris, wo sie sich einer dubiosen Röntgentherapie unterzog, eine ihrer kühlsten und zugleich fast zu symbolischen Erzählungen, "Die Fliege", worin ein Mann, durch einen Besucher an den Tod seines Sohnes erinnert, eine Stubenfliege tötet. Er ertränkt sie in Tinte. In ihrer letzten vollendeten Geschichte, "Der Kanarienvogel", betrauert eine einsame Frau, als Vogelscheuche verspottet, den Verlust ihres geliebten Tieres.

    Immerhin, auch ohne krankhaftes Grübeln und Nichtloskommen von - von Erinnerungen und dergleichen muss ich doch gestehen, dass das Leben was Trauriges zu haben scheint, finde ich. Es ist schwer zu sagen, was es eigentlich ist. Ich meine nicht den Kummer, den wir alle kennen: Krankheit und Armut und Sterben. Nein, es ist etwas anderes. Es ist da - tief innen ist es, ein Teil von einem selber - wie der eigene Atem. Und wenn ich mich noch so sehr abrackere und plage - sowie ich aufhöre mit der Arbeit, weiß ich, dass es da ist und wartet. Ich frage mich, ob alle Menschen das spüren. Man weiß ja nie.

    Am Ende begab sich die ewig Misstrauische in das Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen nahe Fontainebleau, geleitet von einem gewissen George Gurdjeff, einem ehemaligen Spion oder Teppichhändler, der sich selbst "Meister" nannte und, wiewohl selbst alles andere ein Asket, sondern ein Trinker und Weiberheld, seinen Jüngern eine Therapie von harter körperlicher Arbeit und orientalischen Tänzen verordnete, um ihre durch die Zivilisation verderbte Persönlichkeit zu brechen und ihre körperlichen, emotionalen und geistigen Kräfte wieder in Einklang zu bringen. Das war ganz à la Mode, selbst Katherine Mansfields Freunde aus den Anfängen, hartgesottene Intellektuelle, wollten diesen Lehren folgen. Als Murry sie besuchte, fand er sie völlig erschöpft von der körperlichen Arbeit. Am 9. Januar 1923 erleidet Katherine Mansfield einen Blutsturz und stirbt.

    Katherine Mansfield:
    Sämtliche Erzählungen in zwei Bänden. Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Diogenes Verlag, 912 S., 45,90 Euro