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"Die müssen sich mal entscheiden, was sie wollen"

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, hat den geplanten Aufkauf von Anleihen hochverschuldeter Staaten durch die Europäische Zentralbank kritisiert. Diese Notmaßnahme werde die Spekulationen an den Anlagemärkten nicht eindämmen, sagte Sommer. Nötig sei eine Vergemeinschaftung der Zinssätze über Eurobonds.

Michael Sommer im Gespräch mit Dirk Müller | 07.09.2012
    Michael Sommer (2008): "Niemand weiß wirklich seriös, sind wir am Anfang, in der Mitte oder am Ende der Krise. Ich befürchte, dass wir gerade am Anfang sind, auch nach dem, was ich aus der Wirtschaft höre."

    Dirk Müller: Michael Sommer vor vier Jahren in einem Deutschlandfunk-Interview. Stell dir vor, es ist Krise in Europa, und viele Arbeitnehmer fragen sich, wo sind die Gewerkschaften.

    Wie viel Rente brauchen die Menschen später zu einem passablen Leben im Alter? Ist das Gesundheitssystem noch bezahlbar für diejenigen, die nicht so viel Geld verdienen? Wie hoch sind die Löhne? - Konkrete Fragen, mit denen sich die Gewerkschaften tagtäglich auseinandersetzen, als Interessenvertreter der Arbeitnehmer. Aber sie müssen auch dieser Frage nachgehen: Wie tief greifend, wie gravierend ist die Krise, die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Eurokrise, denn alles hängt hier miteinander zusammen. Gestern noch war die Kanzlerin im Krisenland Spanien zu Beratungen mit Ministerpräsident Rajoy, in Madrid war auch mit dabei der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, bei einer Unternehmertagung. Auch dort hat die Kanzlerin nachher teilgenommen. Heute Nacht ist er zurückgekommen, jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Michael Sommer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Sommer, wussten Sie, dass alles so arg kommt?

    Sommer: Ich habe es vermutet, weil in der Krise 2008/2009 wir zwar einen Schritt richtig gemacht haben: Wir haben die Betriebe, die Unternehmen und auch die Existenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitgehend gesichert. Wir haben wirklich es geschafft, mit einem Paket von Maßnahmen, Kurzarbeit plus Konjunkturmaßnahmen, die Menschen in Arbeit zu halten und die Unternehmen über Wasser zu halten. Aber was damals nicht gemacht worden ist: Es ist weder die Frage geklärt worden, wer zahlt die Zeche, noch ist die Spekulation eingedämmt worden, und solange die Spekulation nicht eingedämmt wird, wird die Krise weitergehen. Das ist die bittere Erkenntnis. Das ist, als wenn Sie einem Süchtigen Stoff geben und nicht gleichzeitig eine Therapie anbieten; dann werden Sie immer dazu kommen, dass Sie weiter und weiter versuchen, nach neuem Stoff zu kommen, und genau das ist das, was wir momentan erleben. Mich überrascht da überhaupt nichts, übrigens auch nicht die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank. Das sind Notmaßnahmen. Und wenn, wie heute Morgen bei Ihnen, Herr Willsch dann beklagt, dass das alles nicht mehr im deutschen Interesse ist, dann sind das übrigens die gleichen Leute, die sonst immer wie ein Mantra vor sich hertragen die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Die müssen sich mal entscheiden, was sie wollen. Was ich will ist, dass die Staaten endlich eingreifen, der Spekulation das Handwerk legen, und dann werden wir auch diese Krise beenden.

    Müller: Aber mit Spekulationen beziehungsweise das in den Griff zu bekommen, hat die Entscheidung von gestern in Frankfurt ja nichts zu tun?

    Sommer: Ja doch. Es versucht schon, sozusagen die Staatsanleihenfinanzierung mit in die Hände der Europäischen Zentralbank zu legen, um damit sozusagen indirekt die Spekulation einzudämmen. Aber damit werden sie natürlich nicht durchkommen. Die direkte Maßnahme wäre, dass man den europäischen Rettungsschirm direkt an der Staatsfinanzierung beteiligt, dann brauchen sie sich nicht mehr bei den Banken zu bedienen. Und die zweite Maßnahme wäre, endlich mit den Beschlüssen ernst zu machen, die im Jahre 2009 beim G20-Gipfel vereinbart worden sind, die Ratingagenturen in den Griff nehmen, die Finanzspekulationen eindämmen, bestimmte Finanzprodukte zu verbieten, Universalbanken und Privatbanken, also normale Geschäftsbanken, sozusagen neu aufzuteilen, damit das Investmentbanking eingegrenzt wird, und, und, und, und. Das wären viele Maßnahmen, die gemacht werden müssen, nur leider ist nichts passiert davon.

    Müller: Um da jetzt noch einmal nachzufragen, Herr Sommer. Habe ich Sie richtig verstanden: Grundsätzlich unterstützen Sie also die Entscheidung Draghis?

    Sommer: Nein, ich unterstütze diese Entscheidung nicht, weil diese Entscheidung Draghis auch nur wieder versucht, sozusagen mit einer Notmaßnahme, wie Bofinger es gesagt hat, jetzt einzugreifen. Er setzt dabei auf die Hoffnung, dass die Märkte reagieren werden; die werden aber nicht reagieren, sondern die werden nur sagen, lasst uns doch mal gucken, wie weit die Notenbanken, die Europäische Zentralbank, weiterhin die Geldmaschine anwirft, und dann werden wir uns weiter bedienen. Die einzige wirkliche Maßnahme, die hilft, ist, entweder die Zinssätze zu vergemeinschaften, das heißt Eurobonds einzuführen, das machen sie aber nicht, oder aber, dass man sagt - das wäre aus meiner Sicht die bessere Lösung -, man sagt, wir werden der Krise dadurch Herr werden, dass wir die europäischen Rettungsschirme nicht mehr über die Banken finanzieren und sozusagen damit die Banken päppeln, sondern die Staaten direkt unterstützen unter harten Auflagen, dann kommen sie aus der Krise heraus. Anders werden sie es nicht hinkriegen.

    Müller: Sie sagen Eurobonds. Warum ist eine Vergemeinschaftung der Schulden und der Schuldenhaftung besser?

    Sommer: Das kann ich Ihnen sagen, weil sofort das Zinsniveau auf ein normales Maß zurückginge. Die Zinsen für die Krisenländer würden wesentlich billiger. Für Deutschland würde es etwas teurer. Aber gleichzeitig würde klar: Der gesamte Euroraum steht zu der Finanzierung der Staaten. Das müssen sie begleiten mit harten Strukturmaßnahmen, insbesondere übrigens nicht mit Arbeitsmarktmaßnahmen, sondern mit Maßnahmen zum Beispiel gegen die Steuerflucht und gegen Spekulationen, und dann würden sie dem einen Einhalt gebieten. Momentan sagen sie den sogenannten Anlagemärkten nur, bedient euch mal weiter, dann wird es schon besser werden.

    Müller: Aber wir würden noch mehr mithaften?

    Sommer: Ja. Wir haften übrigens auch heute mit. Wir haften heute mit in jeder Form. Wir haften heute mit für die Maßnahmen, die gestern die Europäische Zentralbank gemacht hat, nämlich dadurch, dass letztendlich das Signal gegeben wird, wir versuchen, die Schuldenkrise mit Inflation zu bekämpfen. Wir haften dadurch mit, dass im Zweifelsfall die Krise auf Deutschland überschwappt und die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder in ihrer Existenz bedroht werden. Die kleinen Leute, das ist die bittere Wahrheit, haften immer mit, und dann will ich wenigstens Maßnahmen haben, wo man weiß, wir haben Licht am Ende des Tunnels.

    Müller: Sie haben ja gestern, Herr Sommer, die Kanzlerin getroffen in Madrid bei verschiedenen Gelegenheiten.

    Sommer: Ja.

    Müller: Was hat sie denn darauf geantwortet, als Sie gesagt haben, jetzt macht endlich mal Dampf, Regulierung, Kontrolle plus Eurobonds?

    Sommer: Ja, sie hat das mir auch gesagt, was sie öffentlich auch der Presse gesagt hat, nämlich dass sie jetzt sagt - ich hatte den Eindruck, sie war ziemlich angefressen in der Frage, aber das ist ein persönlicher Eindruck -, wir gehen jetzt in den Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs und gucken mal. Ich glaube, die Bundeskanzlerin steht vor dem Problem, dass sie haargenau weiß, dass sie über indirekte Maßnahmen und über Maßnahmen, dass man sozusagen immer nur wieder versucht, die Märkte zu beruhigen, nicht weiterkommt, aber dafür in ihrer Koalition keine Mehrheit hat. Jetzt werden, glaube ich, die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs sie da zum Jagen tragen müssen, angefangen mit Hollande, denn die werden auch sehen, dass es nicht geht, dass man immer wieder neues Geld in die Märkte rein pumpt. Wir haben ja zum Beispiel über eine Billion den Banken sozusagen im Zinssatz geschenkt und die Staaten müssen sich darüber dann teuer refinanzieren. Das wird alles nicht gehen, und dann wollen wir mal sehen, wie das weitergeht. Das wird ein entscheidender Punkt auch sein, ob und wie weit unser Verfassungsgericht eine Europäisierung von Politik zulässt beziehungsweise auch vorschreibt unter demokratischen Gesichtspunkten.

    Ich glaube nur, dass es nur damit geht, dass man wirklich klare Schnitte macht, und der klarste Schnitt ist der, dass man sagt, die Staatsfinanzierung in der Krise läuft über den ESM direkt, unter harten Auflagen ohne Frage, und dann werden wir auch dieser Spekulation Einhalt gebieten. In dem Moment, wo die Spekulanten merken, ihre Erpressungsmaßnahmen und ihre Manöver laufen nicht mehr und sie können sich nicht mehr bedienen, in dem Moment werden wir die Krise stoppen können. Vorher nicht.

    Müller: Reden wir noch einmal über die Arbeitnehmerperspektive. Sie haben eben auch darüber geredet, der Steuerzahler, der zahlt die Zeche. Das ist offenbar ja immer so, dass der Steuerzahler dann ran muss. Aber noch mal Arbeitnehmerperspektive: Sie haben auch viele Gespräche geführt mit den europäischen Gewerkschaften, mit den anderen nationalen Gewerkschaften. Finden Sie das akzeptabel, dass die Koalition in Europa für einen harten Sparkurs wirbt - das hat die Kanzlerin gestern auch in Spanien getan - und die Leute stehen auf der Straße?

    Sommer: Nein. Das ist eine sehr schwierige Situation auch für einen deutschen Gewerkschafter. Wenn ich Ihnen die Geschichte von gestern kurz erzählen darf: Sie geht zurück auf ein Treffen, das ich organisiert habe mit meinen beiden spanischen Kollegen von den beiden großen spanischen Dachverbänden der Gewerkschaften mit der Bundeskanzlerin im Juli hier in Berlin. Die haben sich an mich gewandt mit der Bitte, mit der Kanzlerin zu reden, weil ihr Ministerpräsident mit ihnen nicht redet. Übrigens nach dem Gespräch mit Merkel hat es dann ein Gespräch zwischen den beiden spanischen Gewerkschaftsvorsitzenden mit dem konservativen Ministerpräsidenten gegeben, aber das war sozusagen eher ein Nonsensgespräch. Dann hat die Kanzlerin gesagt, Herr Sommer, wir wissen ja, dass wir die Gewerkschaften brauchen, wenn wir die Krise wirklich lösen wollen, und ich habe ein großes Interesse daran, dass die spanischen Gewerkschaften zum Teil der Krisenlösung werden. Und dann habe ich ihr gesagt, Sie müssen einfach sehen, die spanischen Gewerkschaften brauchen zweierlei. Sie brauchen zum einen die Kommunikation mit der Regierung, die Regierung braucht die Kommunikation mit den Gewerkschaften, und zum anderen brauchen die Gewerkschaften das klare Signal, dass nicht nur die Politik alleine gegen die kleinen Leute gemacht wird, sondern dass man versucht, mit ihnen und nicht gegen sie die Krise zu lösen. Daraus ist dann der Besuch gestern entstanden. Ich wäre übrigens nicht hingefahren, wenn nicht auch meine beiden spanischen Kollegen an dem Kolloquium mit den Unternehmern hätten teilnehmen können.

    Und jetzt zu den konkreten Maßnahmen: Das war gestern der Versuch deutscher Investoren und spanischer Investoren, zusammenzukommen und deutlich zu machen, ja, wir investieren gegen die Krise. Da waren wichtige Unternehmensführer aus Deutschland da, Herr Winterkorn und Herr Löscher zum Beispiel oder Herr Bock aus der Chemieindustrie, einfach um deutlich zu machen, ja, wir stehen dazu, dass wir uns engagieren wollen für ein gemeinsames Europa, auch für einen gemeinsamen Euro, ...

    Müller: Um Arbeit zu schaffen?

    Sommer: ..., um Arbeit zu schaffen. Und wir haben gestern auch noch mal deutlich gemacht, das Wichtigste ist momentan der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, und wir haben mit den spanischen Kollegen gemeinsam, übrigens auch mit den spanischen Arbeitgeberverbänden gemeinsam gestern sehr intensiv darüber geredet, was die Spanier lernen können von unserem System der dualen Berufsausbildung, um insgesamt den jungen Menschen eine Perspektive zu schaffen. Nur eins war gestern auch deutlich: Wir werden das gemeinsam nur dann schaffen, wenn wir auch die genügende Zeit einräumen, um diese Maßnahmen einzuleiten - ein neues Berufsbildungssystem einzuführen, braucht einfach auch ein bisschen Zeit -, und wir werden es nur dann schaffen, wenn wir gleichzeitig mit Konjunktur-stützenden Maßnahmen und investiven Maßnahmen die Länder aus der Krise führen, weil Sie können ein Land nicht gesund sparen, Sie können ein Land nur kaputt sparen. Und das ist das, was momentan in Spanien passiert, was in Europa passiert, und dagegen muss man steuern.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk DGB-Chef Michael Sommer. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Sommer: Auf Wiederhören, Herr Müller.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.