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Die Musik zur Marke
"Wie klingt Brüderlichkeit?"

Lassen sich bestimmte Attribute, die einer Marke zugeschrieben werden, auch musikalisch ausdrücken? Dieser Frage nimmt sich jetzt ein internationaler Forschungsverband an. "Audio-Branding" ist das Schlüsselwort, und am Ende soll es eine Software geben, mit der Hersteller die perfekt zugeschnittene Musik für ihr Produkt abrufen können.

Von Florian Fricke | 04.04.2016
    Ein gelber Kunstkopf mit schwarzen Kopfhörern.
    Ein gelber Kunstkopf mit schwarzen Kopfhörern. (imago / JOKER)
    Nehmen wir an, ein bekanntes Herrenmodeunternehmen hätte als passendes Markenattribut für seine Hosen und Anzüge den Begriff "Brüderlichkeit" gefunden. Unsere Jeans stehen für Brüderlichkeit. Wie könnte man Brüderlichkeit musikalisch ausdrücken? Mit einem Lied der Beatles oder der Stones? Von Oasis oder Blur? Oder doch einer Neukomposition irgendeiner jungen Band aus Berlin? Dies ist die Aufgabenstellung an Stefan Weinzierl und sein Team im Bereich Audiokommunikation an der TU Berlin, die sich dem Thema wissenschaftlich nähern.
    "Wenn man sieht, wie die Praxis läuft, das sind eben Werbeagenturen, die dann Musik suchen, das ist im Wesentlichen der Geschmack des Mitarbeiters, der das dann herstellt, der auch ein gutes Gespür dafür hat, was ankommt bei welcher Zielgruppe, aber dafür gibt es keinerlei empirische Grundlage."
    Aber wie findet man heraus, wie Brüderlichkeit klingt? Zuerst einmal wird sich Weinzierl mit diversen Marketingleuten treffen um das Vokabular einzugrenzen. 30 bis 50 Begriffe sollen am Ende auf der Liste landen, Brüderlichkeit wird einer davon sein. In einem zweiten Schritt wird es einen groß angelegten Online-Versuch geben, der in mehreren europäischen Ländern stattfinden wird. In diesem werden die passenden Musikstücke zu den Begriffen gesucht. Klingt der Song brüderlich oder nicht? Und gilt das kulturübergreifend von Spanien bis Finnland?
    "Und daraus kann man dann natürlich ein statistisches Modell entwickeln, also einen Algorithmus, der es in Zukunft ermöglicht aufgrund musikalischer Eigenschaften, die sich automatisiert erfassen lassen. Also mit so einem Modell wird es dann in Zukunft eventuell möglich sein, diese Musik tatsächlich automatisch aus sehr großen Archiven zu finden."
    Manche Schlagworte werden sich besser darstellen lassen als andere
    Das heißt, wenn über die Online-Umfragen ein paar Songs gefunden wurden, die brüderlich klingen, dann können Algorithmen ähnliche Songs dazu finden. Neue Songs, die zum Beispiel in die Musikdatenbank eines Radiosenders aufgenommen werden, werden heutzutage von Algorithmen klassifiziert. Diese können feststellen, ob es sich um Techno, Soul oder Heavy Metal handelt. In der Radiolandschaft ist die music information retrieval, so der Fachbegriff, schon gang und gebe. Es ist ein Gebiet zwischen Musikforschung und Informatik und beschreibt die Gewinnung von Musikinformationen. So kann die Software zwei ähnliche Lieder finden, die sich auch noch prima ineinander blenden lassen.
    In den USA gibt es bereits den Versuch die passende Instore Music für jedes Geschäft zu finden. Es gibt zwei Anbieter, die aber nur Radiosender im Portfolio haben. Das Konzept einer personalisierten und automatisierten Musikauswahl wäre wirklich neu. Aber stellt dies nicht einen weiteren Schritt zur totalen Verwertbarkeit von Musik dar? Natürlich geht es auch um Arbeitsplätze, so Stefan Weinzierl.
    "Im Moment ist es so über diese beiden amerikanischen Anbieter, da sind nur amerikanische Charts-Titel in den Programmen. Also es gibt im Moment für einen europäischen Künstler keine Möglichkeit, seine Produkte über diesen Weg zu kommerzialisieren, also über Instore Music. Also es wird möglich sein, dass man über diese Datenbank zur automatischen Verschlagwortung der Musik europäische Produkte einspeist, und das ist ja erst mal keine schlechte Sache."
    Wie gut dieses Konzept funktionieren wird, wird auch von den Marketingkonzepten abhängen. Manche Schlagworte werden sich besser darstellen lassen als andere. Die Frage ist, ob man wirklich will, dass dieses Konzept funktioniert. Wenn eine Jeans erst einmal ihren ganz eigenen Sound gefunden hat, was wird dann noch alles kommen? Die individualisierte Musik für den Fahrspaß in meinem sportlichen Auto, die besten Ambiente-Klassiker, die zu meinem Kühlschrank passen? Die durch-algorithmisierte Musik? Ob Musik Werbeattribute beschreiben und die Absatzzahlen auch ankurbeln kann, wird sich in der letzten Phase des Forschungsprojekts erweisen. Dann wird ein Testladen in Mailand zum Versuchslabor. Wir können also gespannt sein, wie Brüderlichkeit klingt.