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Die Mutter aller Messen

Zum Wiedereinstieg Deutschlands in die freie Wirtschaft beschloss die Verwaltung der britischen Besatzungszone 1947 die Durchführung einer Exportmesse. Passende Örtlichkeiten fand man in Hannover. Dies war die Initialzündung einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte.

Von Jürgen Bräunlein | 18.08.2007
    Am Anfang stand ein Befehl. Im April 1947 gab General Brian Robertson, Oberbefehlshaber in der britischen Besatzungszone, den deutschen Behörden die Anweisung:

    "Vom 18. August bis 7. September 1947 hat eine Exportmesse stattzufinden. Am 18. August um 11 Uhr wird sie eröffnet. Die Deutschen sind dafür verantwortlich, dass die Exportmesse ein Erfolg wird."

    Die Deutschen sollten sich endlich wieder dem friedlichen Wettbewerb auf dem Weltmarkt stellen. In London befürchtete man, die besetzte Zone könne den britischen Staatshaushalt auf Dauer belasten. Nur der Export ihrer Erzeugnisse, so die Überzeugung, würde es den Deutschen ermöglichen, wirtschaftlich wieder auf eigenen Füßen zu stehen.

    Die Vorbereitungen auf die Messe hätten kaum schwieriger sein können. Man hatte nur wenige Monate Zeit, keine funktionierende Infrastruktur und Arbeitskräfte mit wenig Motivation. Ursprünglich sollte die Messe in Düsseldorf stattfinden, doch die Stadt stellte sich quer. Für die Briten war Hannover die Notlösung. Südlich der Stadt, in Laatzen, fand man geeignete Örtlichkeiten: die unversehrten Hallen der Vereinigten Leichtmetallwerke, in denen schon wieder produziert wurde. Als die Exportmesse Hannover dann am 18. August 1947 von Hinrich Wilhelm Kopf, dem damaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens, eröffnet wurde, waren alle Schwierigkeiten vergessen. In einem Jubiläumsartikel im Handelsblatt erinnert sich der Wirtschaftskorrespondent Werner Osel:

    "Wir deutschen Normalverbraucher staunten über das Wirtschaftswunderland mit Waren, die wir nur noch aus Vorkriegszeiten kannten und auf der Messe nicht kaufen konnten. So hielt man sich an den künstlichen ‚Messewein’ (er schmeckte uns scheußlich) und die Fischbrötchen (nur unser Hunger trieb sie runter), von denen rund eine Million Stück mit 60 Tonnen Fisch verkauft wurden."

    1.300 Aussteller zeigten ihre Produkte. Von den Besuchern besonders umlagert waren: der kleinste Dieselmotor der Welt, Zahnprothesen, klappbare Kinderwagen und die Patenthosenknöpfe. Bestaunt wurde auch das Auto, das in späteren Wirtschaftswunderjahren zu einem weltweiten Exportschlager werden sollte: der seit 1946 in Wolfsburg gebaute VW Käfer. Drei Wochen lang pulsierte in Hannover das Leben. Abends brannte länger Licht, die Stromsperren waren aufgehoben. Provisorische Kneipen hatten geöffnet, auch standen erstmals Taxis am Bahnhof. Nur Hotelbetten fehlten. Werner Osel:

    "Das neue Messe-Amt brachte zehntausende von Besuchern und Ausstellern bei hannoverschen Familien unter. Diese Privatquartiere, oder liebevoll ‚Messe-Muttis’ genannt, nahmen ihre Gäste Jahr für Jahr immer wieder auf und boten außer Bett und Frühstück im Laufe der Zeit auch Familienanschluss."

    Die Bilanz der Messe: ein Erfolg, der alle überraschte. Mehr als 700.000 Besucher und Abschlüsse im Wert von über 30 Millionen Dollar. Die zweite Exportmesse folgte im Mai 1948 kurz vor der Währungsreform und wäre beinahe gescheitert. Die Arbeiter auf dem Ausstellungsgelände streikten vorübergehend.

    1961 erhielt die Schau ihren bis heute gültigen Namen: Hannover-Messe. Nach beständigem Aufschwung kam es in den siebziger Jahren zu Einbußen bei Ausstellern und Publikum. Hannover verlor wichtige Wirtschaftszweige, zum Beispiel die Sparte der Konsumgüter. Zudem entwickelten sich – immer noch unter dem Dach der Hannover-Messe als internationaler Leitmesse – mehrere Fachmessen. So 1968 das "Centrum der Büro- und Informationstechnik", kurz Cebit genannt. 1986 machte sich die Cebit selbständig, die seitdem ebenso jährlich im Frühling stattfindet wie die Hannover-Messe. Und der geht es so gut wie lange nicht. Sepp Heckmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe AG, zeigte sich in diesem Jahr besonders euphorisch:

    "Wir haben 6.400 Aussteller in diesem Jahr. Das ist ein deutlicher Sprung. Auch bei der Fläche haben wir erhebliche Zuwächse. Das Gelände ist in diesem Jahr mit 255.000 qm voll belegt."

    Zwar hat die Cebit die Hannover-Messe an Besucherzahlen längst überrundet, doch ist die "Mutter aller Messen" immer noch die größte Industrieschau der Welt.