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Die nächste Explosion?

Mehr als 1,5 Billionen Dollar wurden seit Beginn der Finanzkrise in die Wirtschaft gepumpt. Die internationalen Konjunkturprogramme der Regierungen von Washington über Berlin bis Tokio stimulierten die Nachfrage. Doch was kommt danach? Folgt auf die beispiellose Finanzkrise eine große Geldwertkrise?

Von Eva Bahner | 15.02.2010
    Wenn das Geld an Wert verliert, ob auf dem Konto oder in der Tasche, verliert es seine Funktion. Das Marktgefüge wird intransparent, was teuer und was billig ist, kann keiner mehr beurteilen. Inflation, ein ökonomisches Horrorszenario, das vor allem bei den Deutschen böse Erinnerungen wach werden lässt, gleich zweimal wurden sie um ihr Vermögen gebracht, 1923 und 1948. Und auch wenn die offiziellen Statistiken derzeit noch eine andere Sprache sprechen, die klassischen Indikatoren, die Verbraucherpreise, noch nicht rapide ansteigen, so ist Henrik Müller überzeugt, dass das Schreckgespenst Inflation wiederkommen wird, nachdem Regierungen und Notenbanken jede Menge Geld in den Markt gepumpt haben:

    "Die Erholung nach der Krise droht einen Inflationsschub zu bringen, wie es ihn seit Generationen nicht mehr gegeben hat. Auf die große Weltrezession könnte in den kommenden Jahren eine große Preisexplosion folgen - wenn es nämlich nicht gelingt, all die Gelder wieder aus dem System zu entfernen, die im Zuge der Krisenbekämpfung hineingeschüttet wurden. Die Geldbombe ist gezündet - die Welt harrt der Explosion mit Schaudern."

    Wann diese Explosion kommen wird und mit welcher Wucht, vermag auch der promovierte Volkswirt und stellvertretende Chefredakteur des "manager magazins", nicht vorherzusagen:

    "Wir sind im Moment noch nicht in einer inflationären Situation, aber wir laufen mit Vollgas darauf zu."

    Neun Preistreiber führt Henrik Müller in seinem Buch "Sprengsatz Inflation" zur Untermauerung seiner These an: den zunehmenden Protektionismus, der den globalen Wettbewerb verringert, und alles wieder teurer macht, die Ära der günstigen Energie, die sich mit den Ölreserven langsam dem Ende zuneigt, die Industrialisierung der Schwellenländer, die die Energienachfrage zusätzlich anheizt, die knappen Nahrungsmittel und vor allem: die außer Kontrolle geratene Staatsverschuldung, in den USA, aber auch in Europa. Die mangelnde Kreditwürdigkeit Griechenlands, aber auch die Haushaltsprobleme Portugals und Spaniens schüren schon heute die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Währungsunion und kratzen am Image eines stabilen Euro:

    "Die Frage ist, was passiert eigentlich, wenn die Rohstoffpreise weiter anziehen, wenn sich das bei einer verbesserten konjunkturellen Lage dieser Preisschub in steigenden Löhnen widerspiegelt. Man kann das verhindern, man kann es dann auch im Keim ersticken, aber die Notenbanken müssen sich dem entschieden entgegenstellen, und sie sind heute in einer viel schlechteren Situation sich dem entgegenzustellen, als sie das 2007, 2008 waren, als ihre Unabhängigkeit noch nicht angeknackst war und als noch nicht ganz so viel Liquidität im System herumschwappte. Also die Aufgabe ist gigantisch, technisch könnten sie dieser Aufgabe gerecht werden, politisch wird es sehr schwierig."

    Denn ein rapide steigendes Preisniveau mindere den realen Wert der Schulden, erklärt Müller. Ein besonders verlockendes Mittel also für Regierungen hochverschuldeter Länder zumal in einer Phase schwachen Wachstums und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit. Brutal sei also der Druck, die geldpolitischen Zügel weiter schleifen zu lassen, ein Druck, dem sich die Währungshüter kaum widersetzen können, prophezeit der Autor, selbst wenn sie es wollten:

    "Der Notenbanker als eine Art monetärer Entscheidungsroboter ohne eigene Interessen - dies ist das Bild, das sie selbst von sich verbreiten, und vermutlich entspricht es auch ziemlich exakt ihrer Selbsteinschätzung. Aber das ist natürlich reine Fiktion. Die Gouverneure der großen Notenbanken sind politische Akteure, die wichtige Entscheidungen fällen. Sie stehen in der Öffentlichkeit, sie werden kritisiert, gelobt, bewundert oder verspottet."

    Ein ganzes Kapitel widmet Henrik Müller den Währungshütern, sein wohl stärkstes Kapitel. Klug, anschaulich, voller Detailwissen, teils sogar mit theoretischem Unterbau versehen, erklärt der Autor, wie die Entscheidungsträger in Zentralbanken arbeiten, und warum es so wichtig ist, dass sie dabei unabhängig bleiben. Wie viele andere Krisenaufarbeiter wirft auch er Alan Greenspan, dem ehemaligen Fed-Chef, vor, mit seiner Politik des billigen Geldes bereits 2001 den Grundstein für die Finanzkrise gelegt zu haben. Um so wichtiger sei es nun, den Geldhahn so schnell wie möglich wieder zuzudrehen, um die nächste Blase zu vermeiden. Doch auch Müller, weiß, dass dies nicht so einfach ist:

    "Der richtige Weg für den Ausstieg ist ein schmaler Grat. Historiker werden ihn in der Rückschau finden, zeitgenössische Akteure ihn jedoch kaum erkennen können."

    "Tatsächlich ist es ein Balanceakt. Wie schnell kann man den Märkten tatsächlich die Liquidität entziehen, ohne eine neue Folge von Bankenkrisen, von Zusammenbrüchen von einzelnen Staaten zu provozieren, also es ist ein Balanceakt, und mutmaßlich wird diese Liquidität eher zu spät als zu früh entzogen."

    Und noch etwas verklärt den Blick der Währungshüter. Die Finanzkrise hat laut Müller eine stärkere Einmischung gefordert, frühzeitig haben die Notenbanken mit ungewöhnlichen Maßnahmen das System stabilisiert. Ihre neue Rolle gefährde nun die politische Unabhängigkeit, schreibt der Autor, vor allem wenn sie in Zukunft nicht nur als Währungs- sondern auch als Bankenhüter auftreten: Ein Paradigmenwechsel, der in die Sackgasse führen kann, wenn Preis- und Finanzmarktstabilität in widerstrebende Richtungen weisen:

    "Wenn die Inflation anzuziehen droht, spricht das für höhere Leitzinsen und eine knappere Geldversorgung. Wenn aber gleichzeitig Banken in angespannter Finanzlage sind, kann eine Verengung der Liquidität ganze Institute ins Taumeln bringen. Wie soll sich die Notenbank dann entscheiden?"

    Währungshüter sind wahrlich nicht um ihren Job zu beneiden, dieser Eindruck bleibt nach der Lektüre des Buches. Und ein ungutes Gefühl, dass möglicherweise die Finanzkrise noch einige äußerst unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringen wird.

    "Niemand sollte glauben, die Entwertung des Geldes sei ein eleganter und schmerzloser Weg, die aktuellen und künftigen wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Ganz im Gegenteil: Inflation ist eine kalte Enteignung. Überraschend. Unfair. Ungerecht. Inflation facht Verteilungskämpfe an, schürt das Misstrauen gegenüber dem Staat und zerstört die Glaubwürdigkeit seiner Institutionen. Inflation ist undemokratisch: Während das Parlament über Steuern und Etatkürzungen offen diskutiert und nachvollziehbar Entscheidungen fällt, breitet sich die Inflation heimlich, still und leise aus. Wer mit der Inflation spielt, der spielt mit dem Kern der Demokratie - dem Vertrauen der Bürger in die Institutionen des Staates. Und das ist ein zu hoher Preis."

    Henrik Müller ist ein Mahner, zuweilen plakativ, meist aber nüchtern argumentativ. Ein Überzeugungstäter, der mit Leidenschaft warnt vor dem - wie er es nennt - Inflationskartell aus Banken, Gewerkschaften und Politikern, das auf künstliches liquiditätsgetriebenes Wachstum setzt. Müller skizziert akribisch den Weg in die Inflationskrise, aber auch nur diesen, mögliche Abzweigungen werden links liegen gelassen. Und auch konkrete Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze bleibt der Buchautor schuldig. Stattdessen wird der Leser mit sieben universal anwendbaren Tugenden abgespeist, die aus Müllers letztem Werk "Die sieben Knappheiten" stammen. Eine Alltagsethik, die dem komplexen Thema der Inflation nicht gerecht werden kann und wie ein Fremdkörper wirkt, in dem sonst so genau skizzierten Problemaufriss. Von dem unbefriedigenden Ende abgesehen ist Müllers Werk dennoch lesenswert, zuweilen sogar unterhaltsam. Müller überzeugt durch Faktenwissen, das er analytisch einsetzt, zuweilen auch mit Expertenzitaten unterstreicht. Seine Argumentation ist schlüssig, und da er die nötigen volkswirtschaftlichen Grundkenntnisse gleich mitliefert, auch für Laien nachvollziehbar. Auch wenn das Thema dem Bürger vielleicht noch weit weg erscheinen mag, kurzfristig kalkulierenden Politikern, die sich mit drohenden Staatsbankrotten, immensen Schuldenbergen und schwachen Währungen konfrontiert sehen, ist Inflation sicherlich näher als man denkt. Um so wichtiger, dass sich mahnende Stimmen wie diese Gehör verschaffen, auch wenn sie zur Zeit noch etwas hysterisch klingen mögen.

    Henrik Müller: Sprengsatz Inflation. Können wir dem Staat noch vertrauen? Campus Verlag, 192 Seiten, 17,90 Euro (ISBN 978-3-593-39145-8).