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Die neue Schöpfung

Ausgestorbene Tierarten wie das Mammut könnten wieder auferstehen, und auch Neandertaler werden möglicherweise noch in diesem Jahrhundert unter uns leben. Die synthetische Biologie hat das Potenzial, unsere Welt und das Leben selbst zu verändern.

Rezension: Michael Lange | 17.03.2013
    Der Biophysiker, Biologe und Journalist Olaf Fritsche zeichnet in einem bunt zusammen gewürfelten Potpourri das vielgestaltige Bild einer Wissenschaft, die gerade erst entsteht und deren Auswirkungen noch nicht absehbar sind. In seinem Buch wechselt er immer wieder die Perspektive. Seiner Ansicht nach könnte die synthetische Biologie unseren Alltag im 21. Jahrhundert stärker verändern als die Computertechnik. Und die Anfänge lassen sich heute bereits beobachten. So interessieren ihn ambitionierte Studenten und Schüler, die dabei sind, mit standardisierten Bauteilen, Bakterien nach ihren Wünschen zu konstruieren. Er begleitet eine Schülergruppe aus Heidelberg, die an einem internationalen Wettbewerb teilnimmt. Die Schüler konstruieren im Labor Bakterien, die vor schädlicher Strahlung warnen sollen. Man könnte die Mikroorganismen einfach an einer Uhr oder an einem Schmuckstück mit sich herumtragen, so die Idee der Schüler.

    Auch Spitzenforschung wird in diesem Buch unter die Lupe genommen. Einige Schlagzeilen, wie die vom künstlichen Leben, das der Genforscher Craig Venter angeblich bereits geschaffen hat, werden hinterfragt und entzaubert. Sorgfältig analysiert der Autor die Hintergründe. Die Wissenschaft, die sich hinter manchen Spekulationen verbirgt, wird von ihm gut und anschaulich erklärt. Dazu tragen einfache Zeichnungen in einer Art "Laborbuch" bei. Aber auch an Warnungen vor potentiellen Gefahren mangelt es nicht. So warnt Fritsche vor synthetischen Biowaffen, die die Menschheit bedrohen und ein neues Wettrüsten auslösen können. Denn in Zukunft könnten Viren nach Maß erzeugt werden, denen das menschliche Immunsystem hilflos ausgeliefert ist. Ein Verzicht auf die Forschung sei allerdings keine Alternative, schreibt Fritsche. Denn lediglich die gleiche Wissenschaft, die die Risiken hervorbringe, könne auch die Gefahren bekämpfen.

    Die Zukunft interessiert den Autor weit mehr als die Gegenwart. Beginnend mit der Auferstehung des Mammuts und endend mit möglichen neuen Biowaffen schildert das Buch anschaulich, was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen könnte. Praktische Anwendungen der synthetischen Biologie, die bereits jetzt oder in wenigen Jahren unseren Alltag erreichen können, wie Biosprit, Nahrungsergänzungsmittel, Medikamente und Kosmetika, spielen eine untergeordnete Rolle. Olaf Fritsche liefert gute Argumente für seine Prophezeiungen und dennoch könnte alles auch ganz anders kommen. So ist das nun einmal mit der Zukunft.

    Olaf Fritsche: Die neue Schöpfung. Wie Gen-Ingenieure unser Leben revolutionieren
    ISBN: 978-3-498-02131-3
    Rowohlt, 288 Seiten, 19,95 Euro