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Die neuen Hebräer

Unter dem Titel: " Die neuen Hebräer" wird im Berliner Gropius-Bau die größte Ausstellung israelischer Kunst, die je in Europa zu sehen war, gezeigt. Mit dem Untertitel: "100 Jahre Kunst aus Israel" nimmt man nicht auf die Staatsgründung vor 57 Jahren, sondern auf die Gründung der Bezalel Akademie für Kunst- und Kunstgewerbe in Jerusalem vor 99 Jahren Bezug. Zwar hofften die Zionisten noch auf ein säkuläres, friedliches Zusammenleben mit den arabischen Palästinensern, dennoch sind arabische Künstler aus Israel in dieser Schau nicht vertreten, was bereits im Vorfeld für Diskussionen sorgte.

Von Carsten Probst | 22.05.2005
    Äußerlich mag es so erscheinen, als ob die die israelische Kunst nicht viel Neues anzubieten hätte - von der westlichen Kunstproduktion unterscheidet sich die in Israel kaum, man ist gut vernetzt mit dem internationalen Kunstbetrieb, jüngere Künstlerinnen und Künstler wie Roee Rosen, Yehudit Sasportas oder Sigalit Landau kennt man inzwischen wenigstens in Fachkreisen, ältere wie Dani Karavan oder Micha Ullman sind weltweit mit Ausstellungen und Werken vertreten. Allerdings, meint auch sogleich Doreet LeVitte Harten, die Chefkuratorin der "Neuen Hebräer"-Ausstellung verfolgt diese Kunst trotzdem völlig andere Absichten, als es ihre äußerliche Adaption einer westlichen, und das heißt auch christlichen Ästhetik erscheinen lässt.

    Damit ist zugleich der Kern dieser beeindruckenden und mit 127 Künstlern richtig groß geratenen Schau umrissen. Doreet Le Vitte Harten, die in Berlin lebt und den westlichen Kunstbetrieb gut kennt, geht es hier nicht - oder wenigstens nicht vorrangig - um eine nationale Leistungsschau aktueller Kunst, wie sie bei den Biennalen dieser Welt betrieben wird, Kunst soll hier nicht den Staat möglichst attraktiv und zeitgemäß repräsentieren, sondern soll auf ihre Weise etwas zum Verstehen dieses Staates beitragen. Und zu verstehen ist zunächst, dass die israelische Kunst einer uralten, im Kern skoptophobischen Kultur entstammt, die Jahrtausende lang alles Bildwerk im Angesicht Gottes tabuisiert hat. Daraus ergibt sich ein zweiter wichtiger Punkt. Die Tatsache, dass wir hier überhaupt Bilder in dieser Ausstellung sehen und nicht etwa lauter leere Säle, allein das zeigt schon, dass man jüdische und israelische Identität nicht einfach gleichsetzen kann, wie es gleichwohl immer noch geschieht. Der Staat Israel ist kein religiöses Konstrukt, sondern ein modernes Gebilde, das in seinen philosophischen Wurzeln viel von den säkularen Utopien aufgesogen hat, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch in Europa schwer in Mode waren. Die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden sind auf ewig durch die Shoah geprägt, so LeVitte Harten - die zwischen Deutschland und Israel sind einfach normale Beziehungen zwischen zwei modernen Gesellschaften, und diese Ausstellung tut alles dafür, um genau dies zu belegen.

    Die große Sensation dieser Schau, die erstmals überhaupt im Ausland gezeigte Tempelrolle von Qumran, symbolisiert in diesem Sinn genau das historische Selbstverständnis Israels als Staat. Zum Ausstellungsuntertitel "100 Jahre Kunst in Israel" passt die 2000 Jahre alte Tempelrolle mit ihren religiösen Unterweisungen ebenso wenig wie die Menora oder die Tempelmosaiken aus dem 5. Jahrhundert, die man hier ebenfalls sehen kann. Doch es sind Symbole historischer Identität, die die heutigen Hebräer als Staat mit den alten Hebräern verbinden, sichtbare Zeichen von Geschichte. Ebenso werden alle anderen Werke, auch die zeitgenössischen, in dieser Ausstellung präsentiert. Daraus folgt etwa die Bedeutung der zwischen 1906 und 1912 in Jerusalem gegründeten Bezalel-Schule, aus der inzwischen Israels bedeutendste Kunstakademie erwachsen ist. Ein Raum dieser frühen Schule ist im Gropius-Bau mit dem sogenannten "Tränenkrug" und dem monumentalen Gemälde des "Wandernden Juden" nachgestellt worden - denn über diese Institution erfolgte ganz maßgeblich jene Anbindung an die westlich-christliche Bildkultur, die heute so selbstverständlicher Ausdruck israelischer Kunst geworden ist

    Allerdings, und auch dies ist signifikant zu sehen, gab und gibt es in der israelischen Kunst auch immer eine gewisse offensichtliche Abneigung gegenüber der Abstraktion. Dies liegt womöglich daran, dass sich die abstrakte Kunst der europäischen Moderne, also eines Kandinsky oder Malewitsch bewusst ihrer historischen Lesbarkeit eher entzieht, während die Kunst in Israel immer darauf aus ist, Geschichte zu präsentieren. Man sieht große Landschaftspanoramen, aber man spürt immer den historischen Grund dieser Landschaftssicht. Auch die Kriege mit den Nachbarn, der Terror im eigenen Land (wie die Ermordung Rabins) sind beliebte Themen, zumal sich viele zeitgenössische Künstler Israels angeblich politisch eher links verorten. Was hingegen nicht vorkommt sind palästinensische Künstler, die in Israel leben. Sie haben wegen des offiziellen politischen Rahmens von sich aus verzichtet. Ebenso fehlt jene junge israelische Kunstszene, die sich kritisch bis sarkastisch mit der Bedeutung der Shoah für das nationale Selbstverständnis Israel auseinandersetzt. Auch das wäre womöglich dem offiziösen Rang, den dieses Ereignis erhalten hat als abträglich empfunden worden.