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Die neuen Stadtneurotiker - ein Generationenporträt

Frances Ha, mäßig erfolgreiche Tänzerin und Titelfigur des gleichnamigen Films, findet die Welt um sich herum meistens anstrengend. Warum will bloß immer einer irgendetwas von ihr? Regisseur Noah Baumbach hat die Anziehung jener jungen Generation erkannt, die stets alles zergrübelt und wenig dagegen tut.

Von Rüdiger Suchsland | 28.07.2013
    Sich treiben lassen, driften, wer will das nicht manchmal gern? Das kann viel Spaß machen, so lange, wie keiner, auch man selber nicht, andere Ansprüche hat. Solange man nichts weiter will vom Leben, als eben sich treiben lassen.

    "‘Was machst du?’ ist zwar eine dumme Frage, aber ich stell sie."

    "Ich bin Anwalt. Was machst du?"

    "Das ist eine ganz dumme Frage... War nur ‘nen Scherz. Ähm, das ist schwer zu erklären."

    "Weil Du etwas so Kompliziertes machst?"

    "Weil ich es streng genommen gar nicht mache. Ich bin Tänzerin... denk’ ich."

    Frances Ha, die wenig erfolgreiche Tänzerin und Titelfigur dieses Films, ist so eine: Sie lebt in den Tag hinein. Sie trifft Leute, fragt nicht viel, wird nicht viel gefragt. Sie redet eine Menge, und findet die Welt um sie herum latent anstrengend. Warum nur müssen alle irgendetwas von einem wollen? Warum muss das so sein?

    Damit ist die Hauptfigur Frances eine entfernte New Yorker Seelenverwandte des von Tom Schilling gespielten Oh Boys Niko in Jan-Ole Gersters Berliner Drifterdrama - nicht zufällig sind beide Filme im sehr stylischen, aber auch ein bisschen melancholischen Schwarzweiß der frühen Nouvelle Vague gedreht, der vagen Neuen Welle, mit der vor 50 Jahren das Kino noch einmal neu begann. Und vielleicht markieren diese Filme einen heimlichen, verheimlichten Neuanfang des Autorenkinos, das gerade in unseren Tagen alles hinter sich lässt, und sich in den Kellern der Metropolen noch einmal neu erfindet?

    Vielleicht, vielleicht auch nicht? Das Schwarz-Weiß mischt sich in den Herzen zu entschiedenem Grau in Grau, "Und-und " ist das neue "Entweder-oder" – und damit sind beide Filme eben Generationenporträts offenbar von Unzähligen in den Kinosesseln, die versuchen, irgendwo die Zeit festzuhalten, und sich darin, die Herumalbern und der unbeschwerten Jugend nachtrauern, die sie nie hatten. Hauptsache in Bewegung bleiben. Sich nicht festlegen. Erfüllt von einer schwelenden Sehnsucht, die auf irgendetwas zielt, das ganz weit in der Ferne liegt.

    Es handelt sich bei diesen Mitzwanzigern Frances Ha wie Oh Boy Niko um Angehörige der "Generation Why?", wie sie Soziologen und Zeitgeistdiagnostiker längst nennen. Eine Generation, die alles zergrübelt, hinterfragt, nicht wirklich arbeiten will, aber auch nicht nur hedonistisch in den Tag reinleben, sondern mitunter Gutes und Wichtiges tun. Vor allem aber nichts Falsches. Sie wollen alles richtig machen, und bevor das schief geht, machen sie lieber gar nichts.

    Das hat etwas mit der Work-Life-Balance zu tun, der sehr gesunden Hemmung, sich von der Arbeit und törichten Chefs, die für weniger Arbeit viel mehr verdienen, als man selbst, ausbeuten und aufzehren zu lassen. Auch mit der Sehnsucht, sich einfach mal treiben zu lassen, sich nicht immer gleich festlegen zu wollen - das kommt noch früh genug. 30 ist das neue 20.

    Wobei: Vielleicht ist 20 auch das neue 30?

    Ganz so neu ist das Dandyhafte und das Flanieren ja sowieso nicht. Seit 15 Jahren beschäftigt sich zum Beispiel Sofia Coppola in ihren Filmen mit diesem Lebensgefühl des Vagen.

    Man müsste jetzt vielleicht einmal ganz grundsätzlich darüber nachdenken, was diese Figuren und ihre Inaktivität - Passivität ist etwas ganz anderes - über die Gegenwart sagen. Handelt es sich um "Oblomowerei", um einen willensschwachen Charakter, der neurotisch und apathisch ist? Vielleicht ein bisschen. Aber warum ist er das? Die Frage ist die wichtigere, denn wenn man den OH BOY-Niko und das New Yorker Oh-Girl Frances schon verurteilen will, muss man auch die Gesellschaft richten, aus der er stammt.

    Denn in ihren Haltungen steckt viel zu viel Klugheit und Opposition, viel zu viel Gesundheit, um sie als Kranke abzutun.

    Was, mit anderen Worten, haben die unpolitischen Leistungsverweigerer der "Generation Why" mit dem Kapitalismus und seiner Krise zu tun?

    Sie sind nicht diese Krise, sie haben sie nur verstanden. Denn wozu arbeiten und sich entscheiden, wenn die Früchte von Arbeit und Entscheidungshysterie immer nur den anderen zugutekommen, und man selber doch mit leeren Händen dasteht?

    Wenn sich die Welt so schnell verändert, und man zunehmend damit nicht mehr Schritt halten kann, egal wie gut ausgebildet man ist, ist alles egal.

    Gespielt wird Frances mit ihrem seltsamen, männlichen Gang von Greta Gerwig - neben Brit Marling der aktuelle weibliche Shooting Star von Amerikas Kino.

    "Frances Ha" ist ein Generationenporträt über junge Stadtneurotiker, und wirkt durchaus und nicht nur wegen seines Schauplatzes New York wie eine jüngere Variante der Welt von Woody Allen

    "Hast Du je so getan, als würdest Du kämpfen?"

    "Wozu denn?"

    "Weil‘s lustig ist. Macht Spaß."

    "Ist nicht mein Ding."

    Urbane Mittzwanziger sind auch für die Älteren nach wie vor eine repräsentative Generation. Denn sie erinnern uns alle an unsere alten Hoffnungen und Träume und ihr Scheitern, an unseren Hedonismus und unsere Bürgerlichkeit unter der wir leiden und die wir doch nicht loswerden. Luxusprobleme? Was für andere Probleme sollten Luxusgesellschaften auch haben?

    Und wenn Greta Gerwig in "Frances Ha" beschwingt zu David Bowies "Modern Love" durch Brooklyn tanzt, ist der Typus der erwachsenen "Zeitgeist"-Komödie mit Tiefgang nun endlich zurück. Hoffentlich für lange Zeit.