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"Die Nibelungen" gehen auf die Bühne

Friedrich Hebbel hat die verstreuten Trümmer einer nur sehr bedingt deutschen Tradition zusammensuchte und daraus Wagners Götterdämmerung und mehr noch die Rezeption der Wagner-Epigonen des 20. Jahrhunderts geschaffen.

Von Cornelie Ueding | 31.01.2011
    "Ich hatte dort Stunden, worin der Unterschied zwischen Leben und Poesie vollständig verschwand ..."

    schwärmte Friedrich Hebbel von seinem ersten längeren Weimar-Aufenthalt im Sommer 1858. Im Hoftheater gab man seine Genoveva und er war zu den glanzvollen Gesellschaften eingeladen, die Franz Liszt und seine fürstliche Geliebte auf der hoch über der Ilm gelegenen Altenburg gaben. Nur dort war man dem Traum von einer kulturellen Erneuerung Weimars nahe. Immer noch. Obwohl das Weimar der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts eher in einer Mischung aus postklassizistischer Mediokrität und Epigonalität dümpelte und viel von seiner früheren Strahlkraft eingebüßt hatte. Doch hier konnte sich Hebbel endlich umworben fühlen, während der Jungdeutsche Heinrich Laube als Wiener Burgtheaterintendant seine Stücke geradezu boykottierte. Und so blieb es dabei, trotz seiner Skepsis: der Freund Franz Dingelstedt inszenierte in Weimar die Uraufführung der Nibelungen, die Hebbel natürlich auch manch anderen Theatern in bedeutenderen Städten angetragen hatte. Vergeblich.

    "Die Aufgabe ist für eine Bühne ersten Ranges nicht leicht, für jede andere aber zu schwer. Der Kraftaufwand würde zum Resultat in keinem Verhältnis stehen und ein halber Erfolg mir unbedingt schaden und ein ganzer kaum nützen."

    Die ersten beiden Teile, Der Gehörnte Siegfried und Siegfrieds Tod brachte Dingelstedt am 31. Januar 1861 mit bewegten Massenszenen und sprachlicher Emphase zur Aufführung: "unzweifelhaft" ein überwältigender Erfolg, wie Hebbel an seine Frau Christine schrieb:

    "... eine Aufmerksamkeit und Totenstille, als ob nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft die Rede wäre, und eine so fest zusammengehaltene Stimmung, dass nicht einmal die Zwerge mit ihren scheußlichen Buckeln und langen Nasen das leiseste Gelächter hervor riefen."

    Bevor im Mai auch der 3. Teil der Nibelungen, Kriemhilds Tod, mit Christine Hebbel in der Hauptrolle im Hoftheater herauskam, wurde Hebbel die Ehre zuteil, "vor dem ganzen Weimarer Hof und der Elite der Stadt" daraus vorzulesen - mit "einem Anflug von der Angst, mit der man zum Examen geht", wie er Dingelstedt gesteht. Seiner Frau berichtete er von dem unvergesslichen Abend, der damit endete, dass der Großherzog

    "... mit bewegter Stimme (sagte): ich halte Ihre Nibelungen für das Höchste, was seit Schiller und Goethe in Deutschland gemacht ist, ich bin als Deutscher Fürst stolz darauf, dass solch ein Werk zu meiner Zeit entstehen konnte ...!"

    Schnell wurden die Nibelungen nun gedruckt und von vielen Theatern nachgespielt; auch Wien konnte sich den Wünschen des Theaterpublikums nicht mehr lange verschließen - und Hebbel gefiel sich im Schatten des großen unbekannten Nibelungendichters.

    "Ich habe die Fabel, die Charaktere und die Situationen entlehnt und bin ... mit einem Uhrmacher zu vergleichen, der ein vortreffliches altes Uhrwerk von Spinngeweb und Staub gesäubert und neu gerichtet hat. Nun zeigt und schlägt es wieder gut, aber er ist darum nicht der Künstler, sondern höchstens der Küster."

    Die Rolle des ehrlichen Handwerkers und dramatischen Uhrmachers muss man freilich als etwas aufgesetzten Bescheidenheitsgestus eines ehrgeizigen Dichters betrachten, dem es um sehr viel mehr ging:

    "Ich denke nämlich nicht Theater- oder Lesefutter zu liefern, sondern in einem einzigen großen Gedicht, dessen Held nicht mehr dieses oder jenes Individuum, sondern die Menschheit selbst ist, und dessen Rahmen nicht einzelne Anekdoten und Vorfälle, sondern die ganze Geschichte umschließt, den Grundstein zu einem ganz neuen, bis jetzt noch nicht da gewesenen Drama zu legen."

    Hohe Ambitionen, die er mit der Wahl des Stoffes einlöste. Umso auffälliger, dass die Geschichte um den Helden Siegfried und seine zum Racheengel mutierende Kriemhild und die düstere nordische Antagonistin Brünhild, die Story um Komplott, Verrat, Rache und die sprichwörtliche Nibelungentreue bei Hebbel allenfalls den Keim zu jener nationalen Ideologisierung in sich trug, die im späten 19. und dann im 20. Jahrhundert, vermittelt durch die Rezeption Wagners, zur mythischen Überhöhung und rassistischen Doktrin wurde. Erst die gegenwärtige Nibelungen-Rezeption kann in der Folge der Postmoderne deren manipulative Wucht und kitschig-militante Aufladung aufbrechen und ironisieren, wie in jüngster Zeit eindrucksvoll Christian Weises Stuttgarter Inszenierung des teilweise von Moritz Rinke überarbeiteten Textes gezeigt hat. Zwischen einen wahnwitzigen Comic-Teil und die antike Tragödie, die in Kriemhilds mörderischer Rache steckt - hat er eine ebenso freche wie kluge Reflexion über die Wirkung von Mythen gestellt.